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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
einfachere Vertretung durch Geschäftsträger und Consuln vor.
Ein groszes stehendes Heer ist mit ihr geradezu unverträg-
lich. Es wäre eine stete Bedrohung ihrer Sicherheit und ihrer
Freiheit. Dagegen bedarf sie einer breiten und tüchtigen
Volks- und Landwehr. Weniger ausgebildet ist in ihr die
Concentration aller Kräfte als die Selbstbestimmung und freie
Bewegung aller Theile.

Alle Anstalten, welche der groszen Menge dienen, sind
in ihr durchweg gut, oft vortrefflich bestellt. Wir finden in
den Demokratien meistens zahlreiche gemeinnützige und wohl-
thätige Anstalten, gute Straszen und Verkehrsmittel, zahl-
reiche Volksschulen, muntere Volksfeste u. s. f., und dabei
weniger bureaukratische Plage als anderwärts.

Dagegen bedarf es gröszerer Anstrengung, als in andern
Verfassungen, damit der Stat auch für die höheren Bedürf-
nisse der Kunst und der Wissenschaft sorge. Es ist ein
Zeichen einer hohen Civilisationsstufe, auf die ein Volk sich
emporgearbeitet hat, wenn es durch die Befriedigung auch
dieser Dinge, die dem allgemeinen Verständnisz ferner stehen,
sich selber ehrt; denn nur die gebildete Einsicht weisz den
Werth zu schätzen, welchen die Pflege dieser geistigen Güter
auch für die allgemeine Volkswohlfahrt hat.

Das Bewusztsein männlicher Freiheit, welches die ganze
Verfassung hervorgebracht und darin einen Ausdruck gefunden
hat, hebt die zahlreichen Mittelclassen, auf die sie vornehm-
lich gestützt ist, empor, steigert durch mittelbare oder un-
mittelbare Uebung in Statssachen die geistige Entwicklung
und kräftigt den Charakter der Bürger. Die allgemeine Vater-
landsliebe hat hier eine breite Unterlage und einen weiten
Spielraum; und in Krisen zeigt sich die freie Bürgerschaft auch
zu groszen Opfern bereit. Weniger bietet die Verfassung den
aristokratischen Naturen Gelegenheit zu freier Entfaltung, und
diesen gegenüber verhält sich das Volk oft misztrauisch oder
feindlich. Aber auch solche Naturen können unter der Vor-

Sechstes Buch. Die Statsformen.
einfachere Vertretung durch Geschäftsträger und Consuln vor.
Ein groszes stehendes Heer ist mit ihr geradezu unverträg-
lich. Es wäre eine stete Bedrohung ihrer Sicherheit und ihrer
Freiheit. Dagegen bedarf sie einer breiten und tüchtigen
Volks- und Landwehr. Weniger ausgebildet ist in ihr die
Concentration aller Kräfte als die Selbstbestimmung und freie
Bewegung aller Theile.

Alle Anstalten, welche der groszen Menge dienen, sind
in ihr durchweg gut, oft vortrefflich bestellt. Wir finden in
den Demokratien meistens zahlreiche gemeinnützige und wohl-
thätige Anstalten, gute Straszen und Verkehrsmittel, zahl-
reiche Volksschulen, muntere Volksfeste u. s. f., und dabei
weniger bureaukratische Plage als anderwärts.

Dagegen bedarf es gröszerer Anstrengung, als in andern
Verfassungen, damit der Stat auch für die höheren Bedürf-
nisse der Kunst und der Wissenschaft sorge. Es ist ein
Zeichen einer hohen Civilisationsstufe, auf die ein Volk sich
emporgearbeitet hat, wenn es durch die Befriedigung auch
dieser Dinge, die dem allgemeinen Verständnisz ferner stehen,
sich selber ehrt; denn nur die gebildete Einsicht weisz den
Werth zu schätzen, welchen die Pflege dieser geistigen Güter
auch für die allgemeine Volkswohlfahrt hat.

Das Bewusztsein männlicher Freiheit, welches die ganze
Verfassung hervorgebracht und darin einen Ausdruck gefunden
hat, hebt die zahlreichen Mittelclassen, auf die sie vornehm-
lich gestützt ist, empor, steigert durch mittelbare oder un-
mittelbare Uebung in Statssachen die geistige Entwicklung
und kräftigt den Charakter der Bürger. Die allgemeine Vater-
landsliebe hat hier eine breite Unterlage und einen weiten
Spielraum; und in Krisen zeigt sich die freie Bürgerschaft auch
zu groszen Opfern bereit. Weniger bietet die Verfassung den
aristokratischen Naturen Gelegenheit zu freier Entfaltung, und
diesen gegenüber verhält sich das Volk oft misztrauisch oder
feindlich. Aber auch solche Naturen können unter der Vor-

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[554/0572] Sechstes Buch. Die Statsformen. einfachere Vertretung durch Geschäftsträger und Consuln vor. Ein groszes stehendes Heer ist mit ihr geradezu unverträg- lich. Es wäre eine stete Bedrohung ihrer Sicherheit und ihrer Freiheit. Dagegen bedarf sie einer breiten und tüchtigen Volks- und Landwehr. Weniger ausgebildet ist in ihr die Concentration aller Kräfte als die Selbstbestimmung und freie Bewegung aller Theile. Alle Anstalten, welche der groszen Menge dienen, sind in ihr durchweg gut, oft vortrefflich bestellt. Wir finden in den Demokratien meistens zahlreiche gemeinnützige und wohl- thätige Anstalten, gute Straszen und Verkehrsmittel, zahl- reiche Volksschulen, muntere Volksfeste u. s. f., und dabei weniger bureaukratische Plage als anderwärts. Dagegen bedarf es gröszerer Anstrengung, als in andern Verfassungen, damit der Stat auch für die höheren Bedürf- nisse der Kunst und der Wissenschaft sorge. Es ist ein Zeichen einer hohen Civilisationsstufe, auf die ein Volk sich emporgearbeitet hat, wenn es durch die Befriedigung auch dieser Dinge, die dem allgemeinen Verständnisz ferner stehen, sich selber ehrt; denn nur die gebildete Einsicht weisz den Werth zu schätzen, welchen die Pflege dieser geistigen Güter auch für die allgemeine Volkswohlfahrt hat. Das Bewusztsein männlicher Freiheit, welches die ganze Verfassung hervorgebracht und darin einen Ausdruck gefunden hat, hebt die zahlreichen Mittelclassen, auf die sie vornehm- lich gestützt ist, empor, steigert durch mittelbare oder un- mittelbare Uebung in Statssachen die geistige Entwicklung und kräftigt den Charakter der Bürger. Die allgemeine Vater- landsliebe hat hier eine breite Unterlage und einen weiten Spielraum; und in Krisen zeigt sich die freie Bürgerschaft auch zu groszen Opfern bereit. Weniger bietet die Verfassung den aristokratischen Naturen Gelegenheit zu freier Entfaltung, und diesen gegenüber verhält sich das Volk oft misztrauisch oder feindlich. Aber auch solche Naturen können unter der Vor-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/572>, abgerufen am 24.04.2024.