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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Gerichtshöfe wurden "Cours souveraines" genannt. Es gab so
eine grosze Zahl souveräner Aemter und Körperschaften inner-
halb des Stats. Aber allmählich gestand man diesen Namen
nicht mehr den bloszen Aemtern und Stellen der verschiede-
nen Verwaltungszweige, sondern nur noch der Einen höch-
sten das Ganze beherrschenden Statsgewalt zu. Daher wurde
nun der Begriff höher gefaszt und bedeutete nun die concen-
trirte Fülle der Statsmacht.

Die Begriffsbestimmung war ganz beherrscht von der cen-
tralisirenden Richtung der französischen Politik seit dem
sechszehnten Jahrhundert und dem Streben der französischen
Könige nach absoluter Gewalt. Bodin hatte die Souveränetät
erklärt als absolute und immerwährende Statsmacht ("puis-
sance absolue et perpetuelle d'une Republique"). Auch nach-
her verstand man die Souveränetät in diesem absoluten Sinne.
Nicht etwa nur der König Ludwig XIV., der sich selber den
Stat nannte, ganz ebenso der jacobinische Convent der fran-
zösischen Republik von 1793 schrieb sich die Statsgewalt als
eine allmächtige zu. 1 Beide mit Unrecht. Der moderne Re-
präsentativstat weisz nichts von einer absoluten Statsgewalt
und eine absolute Unabhängigkeit gibt es überall nicht auf
Erden. Weder die politische Freiheit noch das Recht der
übrigen Organe und Bestandtheile des States vertragen sich
mit einer solchen schrankenlosen Souveränetät, und wo immer
Menschen versucht haben dieselbe zu üben, da hat auch die
Geschichte solche Anmaszung verurtheilt. Selbst dem State
als einem Ganzen kommt solche Allmacht nicht zu; denn
auch er ist nach auszen durch das Recht der übrigen Staten

1 Thiers, hist. de la Revol.
franc. II, p. 200 von der Ansicht der
Jacobiner: "Die Nation kann nie auf ihre Befugnisz verzichten: Alles zu
thun und Alles zu wollen zu jeder Zeit; diese Befugnisz begründet ihre
Allmacht
(sa toute-puissance), und diese ist unveräuszerlich. Die Na-
tion hat sich daher Ludwig XIV. nicht verpflichten können." Indessen
hat damals schon der Abt Sieyes den Irrthum erkannt. Bluntschli,
Gesch. d. Statsw. S. 326.

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Gerichtshöfe wurden „Cours souveraines“ genannt. Es gab so
eine grosze Zahl souveräner Aemter und Körperschaften inner-
halb des Stats. Aber allmählich gestand man diesen Namen
nicht mehr den bloszen Aemtern und Stellen der verschiede-
nen Verwaltungszweige, sondern nur noch der Einen höch-
sten das Ganze beherrschenden Statsgewalt zu. Daher wurde
nun der Begriff höher gefaszt und bedeutete nun die concen-
trirte Fülle der Statsmacht.

Die Begriffsbestimmung war ganz beherrscht von der cen-
tralisirenden Richtung der französischen Politik seit dem
sechszehnten Jahrhundert und dem Streben der französischen
Könige nach absoluter Gewalt. Bodin hatte die Souveränetät
erklärt als absolute und immerwährende Statsmacht („puis-
sance absolue et perpétuelle d'une République“). Auch nach-
her verstand man die Souveränetät in diesem absoluten Sinne.
Nicht etwa nur der König Ludwig XIV., der sich selber den
Stat nannte, ganz ebenso der jacobinische Convent der fran-
zösischen Republik von 1793 schrieb sich die Statsgewalt als
eine allmächtige zu. 1 Beide mit Unrecht. Der moderne Re-
präsentativstat weisz nichts von einer absoluten Statsgewalt
und eine absolute Unabhängigkeit gibt es überall nicht auf
Erden. Weder die politische Freiheit noch das Recht der
übrigen Organe und Bestandtheile des States vertragen sich
mit einer solchen schrankenlosen Souveränetät, und wo immer
Menschen versucht haben dieselbe zu üben, da hat auch die
Geschichte solche Anmaszung verurtheilt. Selbst dem State
als einem Ganzen kommt solche Allmacht nicht zu; denn
auch er ist nach auszen durch das Recht der übrigen Staten

1 Thiers, hist. de la Révol.
franç. II, p. 200 von der Ansicht der
Jacobiner: „Die Nation kann nie auf ihre Befugnisz verzichten: Alles zu
thun und Alles zu wollen zu jeder Zeit; diese Befugnisz begründet ihre
Allmacht
(sa toute-puissance), und diese ist unveräuszerlich. Die Na-
tion hat sich daher Ludwig XIV. nicht verpflichten können.“ Indessen
hat damals schon der Abt Sieyes den Irrthum erkannt. Bluntschli,
Gesch. d. Statsw. S. 326.
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[562/0580] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. Gerichtshöfe wurden „Cours souveraines“ genannt. Es gab so eine grosze Zahl souveräner Aemter und Körperschaften inner- halb des Stats. Aber allmählich gestand man diesen Namen nicht mehr den bloszen Aemtern und Stellen der verschiede- nen Verwaltungszweige, sondern nur noch der Einen höch- sten das Ganze beherrschenden Statsgewalt zu. Daher wurde nun der Begriff höher gefaszt und bedeutete nun die concen- trirte Fülle der Statsmacht. Die Begriffsbestimmung war ganz beherrscht von der cen- tralisirenden Richtung der französischen Politik seit dem sechszehnten Jahrhundert und dem Streben der französischen Könige nach absoluter Gewalt. Bodin hatte die Souveränetät erklärt als absolute und immerwährende Statsmacht („puis- sance absolue et perpétuelle d'une République“). Auch nach- her verstand man die Souveränetät in diesem absoluten Sinne. Nicht etwa nur der König Ludwig XIV., der sich selber den Stat nannte, ganz ebenso der jacobinische Convent der fran- zösischen Republik von 1793 schrieb sich die Statsgewalt als eine allmächtige zu. 1 Beide mit Unrecht. Der moderne Re- präsentativstat weisz nichts von einer absoluten Statsgewalt und eine absolute Unabhängigkeit gibt es überall nicht auf Erden. Weder die politische Freiheit noch das Recht der übrigen Organe und Bestandtheile des States vertragen sich mit einer solchen schrankenlosen Souveränetät, und wo immer Menschen versucht haben dieselbe zu üben, da hat auch die Geschichte solche Anmaszung verurtheilt. Selbst dem State als einem Ganzen kommt solche Allmacht nicht zu; denn auch er ist nach auszen durch das Recht der übrigen Staten 1 Thiers, hist. de la Révol. franç. II, p. 200 von der Ansicht der Jacobiner: „Die Nation kann nie auf ihre Befugnisz verzichten: Alles zu thun und Alles zu wollen zu jeder Zeit; diese Befugnisz begründet ihre Allmacht (sa toute-puissance), und diese ist unveräuszerlich. Die Na- tion hat sich daher Ludwig XIV. nicht verpflichten können.“ Indessen hat damals schon der Abt Sieyes den Irrthum erkannt. Bluntschli, Gesch. d. Statsw. S. 326.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/580>, abgerufen am 28.03.2024.