Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
gesprochen hatten. Allmählich änderte sich auch in den mei-
sten Staten die Sitte. Die Könige fingen an, die Justiz ganz
den Gerichtshöfen zu überlassen und sich nur die Bestätigung
insbesondere von Todesurtheilen vorzubehalten.



Siebentes Capitel.
Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten.

Erst der modernen Statenbildung gehört der Gedanke
an, dasz die objective Unterscheidung der statlichen
Functionen
auch eine subjective Sonderung der Organe
verlange, welchen diese Functionen zukommen.

Zuerst hat Montesquieu das moderne Princip mit Nach-
druck und mit Erfolg verkündet. Er verlangt die Scheidung
auch der Personen, welche die verschiedenen öffentlichen
Functionen ausüben, im Namen der Freiheit der Bürger und
im Interesse ihrer Sicherheit: "Wenn in derselben Person
oder in demselben Körper die gesetzgebende Gewalt und die
vollziehende vereinigt sind, so gibt es keine Freiheit, denn
Jeder musz fürchten, dasz der herschende Fürst oder Senat
tyrannische Gesetze gebe und sie tyrannisch vollziehe. Es
gibt ebenso wenig Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht
von der gesetzgebenden und der vollziehenden getrennt wird,
denn wäre sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so
wäre das Urtheil über das Leben und die Freiheit der Bür-
ger willkürlich; wäre sie mit der vollziehenden Gewalt ver-
bunden, so hätte der Richter die Gewalt eines Unterdrückers." 1

Allerdings ist die persönliche Freiheit gefährdet, wenn
ein Uebermasz von Macht in Eine Hand gelegt ist. Indem
man die verschiedenen Zweige der Gewalt unterscheidet, be-

1 Esprit des Lois XI. 6. Bluntschli, Gesch. des allg. Statsr. S. 267.

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
gesprochen hatten. Allmählich änderte sich auch in den mei-
sten Staten die Sitte. Die Könige fingen an, die Justiz ganz
den Gerichtshöfen zu überlassen und sich nur die Bestätigung
insbesondere von Todesurtheilen vorzubehalten.



Siebentes Capitel.
Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten.

Erst der modernen Statenbildung gehört der Gedanke
an, dasz die objective Unterscheidung der statlichen
Functionen
auch eine subjective Sonderung der Organe
verlange, welchen diese Functionen zukommen.

Zuerst hat Montesquieu das moderne Princip mit Nach-
druck und mit Erfolg verkündet. Er verlangt die Scheidung
auch der Personen, welche die verschiedenen öffentlichen
Functionen ausüben, im Namen der Freiheit der Bürger und
im Interesse ihrer Sicherheit: „Wenn in derselben Person
oder in demselben Körper die gesetzgebende Gewalt und die
vollziehende vereinigt sind, so gibt es keine Freiheit, denn
Jeder musz fürchten, dasz der herschende Fürst oder Senat
tyrannische Gesetze gebe und sie tyrannisch vollziehe. Es
gibt ebenso wenig Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht
von der gesetzgebenden und der vollziehenden getrennt wird,
denn wäre sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so
wäre das Urtheil über das Leben und die Freiheit der Bür-
ger willkürlich; wäre sie mit der vollziehenden Gewalt ver-
bunden, so hätte der Richter die Gewalt eines Unterdrückers.“ 1

Allerdings ist die persönliche Freiheit gefährdet, wenn
ein Uebermasz von Macht in Eine Hand gelegt ist. Indem
man die verschiedenen Zweige der Gewalt unterscheidet, be-

1 Esprit des Lois XI. 6. Bluntschli, Gesch. des allg. Statsr. S. 267.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0606" n="588"/><fw place="top" type="header">Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.</fw><lb/>
gesprochen hatten. Allmählich änderte sich auch in den mei-<lb/>
sten Staten die Sitte. Die Könige fingen an, die Justiz ganz<lb/>
den Gerichtshöfen zu überlassen und sich nur die Bestätigung<lb/>
insbesondere von Todesurtheilen vorzubehalten.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>Siebentes Capitel.<lb/><hi rendition="#b">Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten.</hi></head><lb/>
          <p>Erst der modernen Statenbildung gehört der Gedanke<lb/>
an, dasz die <hi rendition="#g">objective Unterscheidung</hi> der <hi rendition="#g">statlichen<lb/>
Functionen</hi> auch eine <hi rendition="#g">subjective Sonderung</hi> der <hi rendition="#g">Organe</hi><lb/>
verlange, welchen diese Functionen zukommen.</p><lb/>
          <p>Zuerst hat <hi rendition="#g">Montesquieu</hi> das moderne Princip mit Nach-<lb/>
druck und mit Erfolg verkündet. Er verlangt die Scheidung<lb/>
auch der Personen, welche die verschiedenen öffentlichen<lb/>
Functionen ausüben, im Namen der Freiheit der Bürger und<lb/>
im Interesse ihrer Sicherheit: &#x201E;Wenn in derselben Person<lb/>
oder in demselben Körper die gesetzgebende Gewalt und die<lb/>
vollziehende vereinigt sind, so gibt es keine Freiheit, denn<lb/>
Jeder musz fürchten, dasz der herschende Fürst oder Senat<lb/>
tyrannische Gesetze gebe und sie tyrannisch vollziehe. Es<lb/>
gibt ebenso wenig Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht<lb/>
von der gesetzgebenden und der vollziehenden getrennt wird,<lb/>
denn wäre sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so<lb/>
wäre das Urtheil über das Leben und die Freiheit der Bür-<lb/>
ger willkürlich; wäre sie mit der vollziehenden Gewalt ver-<lb/>
bunden, so hätte der Richter die Gewalt eines Unterdrückers.&#x201C; <note place="foot" n="1">Esprit des Lois XI. 6. <hi rendition="#g">Bluntschli</hi>, Gesch. des allg. Statsr. S. 267.</note></p><lb/>
          <p>Allerdings ist die persönliche Freiheit gefährdet, wenn<lb/>
ein Uebermasz von Macht in Eine Hand gelegt ist. Indem<lb/>
man die verschiedenen Zweige der Gewalt unterscheidet, be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[588/0606] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. gesprochen hatten. Allmählich änderte sich auch in den mei- sten Staten die Sitte. Die Könige fingen an, die Justiz ganz den Gerichtshöfen zu überlassen und sich nur die Bestätigung insbesondere von Todesurtheilen vorzubehalten. Siebentes Capitel. Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten. Erst der modernen Statenbildung gehört der Gedanke an, dasz die objective Unterscheidung der statlichen Functionen auch eine subjective Sonderung der Organe verlange, welchen diese Functionen zukommen. Zuerst hat Montesquieu das moderne Princip mit Nach- druck und mit Erfolg verkündet. Er verlangt die Scheidung auch der Personen, welche die verschiedenen öffentlichen Functionen ausüben, im Namen der Freiheit der Bürger und im Interesse ihrer Sicherheit: „Wenn in derselben Person oder in demselben Körper die gesetzgebende Gewalt und die vollziehende vereinigt sind, so gibt es keine Freiheit, denn Jeder musz fürchten, dasz der herschende Fürst oder Senat tyrannische Gesetze gebe und sie tyrannisch vollziehe. Es gibt ebenso wenig Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und der vollziehenden getrennt wird, denn wäre sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so wäre das Urtheil über das Leben und die Freiheit der Bür- ger willkürlich; wäre sie mit der vollziehenden Gewalt ver- bunden, so hätte der Richter die Gewalt eines Unterdrückers.“ 1 Allerdings ist die persönliche Freiheit gefährdet, wenn ein Uebermasz von Macht in Eine Hand gelegt ist. Indem man die verschiedenen Zweige der Gewalt unterscheidet, be- 1 Esprit des Lois XI. 6. Bluntschli, Gesch. des allg. Statsr. S. 267.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/606
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/606>, abgerufen am 18.04.2024.