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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
wohl diesen Act ein Specialgesetz genannt, ein Ausdruck,
welcher indessen besser vermieden wird, da er in der Regel
nicht durch den gesetzgebenden Körper, sondern in Monarchien
durch den Monarchen, in Republiken bald durch die Regie-
rung bald durch die Volkswahl geübt wird. Dieser Act ist
selbst in dem immerhin seltenen Falle, wo demselben eine
Unterhandlung und ein wirklicher Vertrag, z. B. mit einem
Ausländer, dessen Dienste ein Stat zu erwerben wünscht, vor-
hergeht, wesentlich ein einseitiger Willensact der über-
geordneten
Statsgewalt, und nie kann aus jenem Vertrage
eine Civilklage auf wirkliche Anstellung gegeben und das
Decret etwa durch gerichtlichen Zwang dem State abgedrungen
werden. Vielmehr berechtigt auch dann ein solcher Vertrag
nur zu einer Entschädigungsforderung von ganz privatrecht-
lichem Inhalt, wenn das Anstellungsdecret vom State nicht
vollzogen werden sollte.

Das Wesen ferner des Statsdienstes liegt in den Func-
tionen
, welche vom State aus bestimmt werden und einen
öffentlichen, organischen Charakter haben. Das Amt
besteht nur, insofern der Stat zu seinem Leben seiner bedarf,
in keiner Beziehung aber um des Individuums willen,

sten, die sonderbar genug das römische Privatrecht für uns sogar in einem
Verhältnisse als maszgebend ansahen, wo die Römer selbst in ihrem State
nie daran gedacht, dasselbe anzuwenden; aber er behauptet doch, der
Statsdienst werde durch Vertrag, nur keinen obligatorischen einge-
gangen. Dieser Vertrag nämlich "gehe der Bestallung als causa prae-
cedens voran, wie der Investitur bei dem Lehen der Lehensvertrag." Aber
diese Ansicht ist ebenfalls irrig. Vorhergehende Verträge der Art kommen
in der Wirklichkeit nur ausnahmsweise vor, denn die Anfrage, ob je-
mand ein Amt annehmen würde, und die Zusage desselben bewirkt noch
keinen Vertrag. Ein solcher Vertrag müszte somit fingirt werden, und
dafür gibt es keinen Grund. Wo er aber ausnahmsweise vorkommt, da
wirkt er auch nur privat-, nicht statsrechtlich, gehört also nicht hieher.
Die Annahme der Anstellung, welche dieser nachfolgt, und die Ablehnung
derselben sind zwar freilich Willensacte des Individuums, welches das
Amt übernimmt oder ausschlägt. Aber sie ändern den obrigkeitlichen
Charakter des Decretes nicht.

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
wohl diesen Act ein Specialgesetz genannt, ein Ausdruck,
welcher indessen besser vermieden wird, da er in der Regel
nicht durch den gesetzgebenden Körper, sondern in Monarchien
durch den Monarchen, in Republiken bald durch die Regie-
rung bald durch die Volkswahl geübt wird. Dieser Act ist
selbst in dem immerhin seltenen Falle, wo demselben eine
Unterhandlung und ein wirklicher Vertrag, z. B. mit einem
Ausländer, dessen Dienste ein Stat zu erwerben wünscht, vor-
hergeht, wesentlich ein einseitiger Willensact der über-
geordneten
Statsgewalt, und nie kann aus jenem Vertrage
eine Civilklage auf wirkliche Anstellung gegeben und das
Decret etwa durch gerichtlichen Zwang dem State abgedrungen
werden. Vielmehr berechtigt auch dann ein solcher Vertrag
nur zu einer Entschädigungsforderung von ganz privatrecht-
lichem Inhalt, wenn das Anstellungsdecret vom State nicht
vollzogen werden sollte.

Das Wesen ferner des Statsdienstes liegt in den Func-
tionen
, welche vom State aus bestimmt werden und einen
öffentlichen, organischen Charakter haben. Das Amt
besteht nur, insofern der Stat zu seinem Leben seiner bedarf,
in keiner Beziehung aber um des Individuums willen,

sten, die sonderbar genug das römische Privatrecht für uns sogar in einem
Verhältnisse als maszgebend ansahen, wo die Römer selbst in ihrem State
nie daran gedacht, dasselbe anzuwenden; aber er behauptet doch, der
Statsdienst werde durch Vertrag, nur keinen obligatorischen einge-
gangen. Dieser Vertrag nämlich „gehe der Bestallung als causa prae-
cedens voran, wie der Investitur bei dem Lehen der Lehensvertrag.“ Aber
diese Ansicht ist ebenfalls irrig. Vorhergehende Verträge der Art kommen
in der Wirklichkeit nur ausnahmsweise vor, denn die Anfrage, ob je-
mand ein Amt annehmen würde, und die Zusage desselben bewirkt noch
keinen Vertrag. Ein solcher Vertrag müszte somit fingirt werden, und
dafür gibt es keinen Grund. Wo er aber ausnahmsweise vorkommt, da
wirkt er auch nur privat-, nicht statsrechtlich, gehört also nicht hieher.
Die Annahme der Anstellung, welche dieser nachfolgt, und die Ablehnung
derselben sind zwar freilich Willensacte des Individuums, welches das
Amt übernimmt oder ausschlägt. Aber sie ändern den obrigkeitlichen
Charakter des Decretes nicht.
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[604/0622] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. wohl diesen Act ein Specialgesetz genannt, ein Ausdruck, welcher indessen besser vermieden wird, da er in der Regel nicht durch den gesetzgebenden Körper, sondern in Monarchien durch den Monarchen, in Republiken bald durch die Regie- rung bald durch die Volkswahl geübt wird. Dieser Act ist selbst in dem immerhin seltenen Falle, wo demselben eine Unterhandlung und ein wirklicher Vertrag, z. B. mit einem Ausländer, dessen Dienste ein Stat zu erwerben wünscht, vor- hergeht, wesentlich ein einseitiger Willensact der über- geordneten Statsgewalt, und nie kann aus jenem Vertrage eine Civilklage auf wirkliche Anstellung gegeben und das Decret etwa durch gerichtlichen Zwang dem State abgedrungen werden. Vielmehr berechtigt auch dann ein solcher Vertrag nur zu einer Entschädigungsforderung von ganz privatrecht- lichem Inhalt, wenn das Anstellungsdecret vom State nicht vollzogen werden sollte. Das Wesen ferner des Statsdienstes liegt in den Func- tionen, welche vom State aus bestimmt werden und einen öffentlichen, organischen Charakter haben. Das Amt besteht nur, insofern der Stat zu seinem Leben seiner bedarf, in keiner Beziehung aber um des Individuums willen, 6 6 sten, die sonderbar genug das römische Privatrecht für uns sogar in einem Verhältnisse als maszgebend ansahen, wo die Römer selbst in ihrem State nie daran gedacht, dasselbe anzuwenden; aber er behauptet doch, der Statsdienst werde durch Vertrag, nur keinen obligatorischen einge- gangen. Dieser Vertrag nämlich „gehe der Bestallung als causa prae- cedens voran, wie der Investitur bei dem Lehen der Lehensvertrag.“ Aber diese Ansicht ist ebenfalls irrig. Vorhergehende Verträge der Art kommen in der Wirklichkeit nur ausnahmsweise vor, denn die Anfrage, ob je- mand ein Amt annehmen würde, und die Zusage desselben bewirkt noch keinen Vertrag. Ein solcher Vertrag müszte somit fingirt werden, und dafür gibt es keinen Grund. Wo er aber ausnahmsweise vorkommt, da wirkt er auch nur privat-, nicht statsrechtlich, gehört also nicht hieher. Die Annahme der Anstellung, welche dieser nachfolgt, und die Ablehnung derselben sind zwar freilich Willensacte des Individuums, welches das Amt übernimmt oder ausschlägt. Aber sie ändern den obrigkeitlichen Charakter des Decretes nicht.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/622>, abgerufen am 19.04.2024.