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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Cap. Entwicklungsgesch. der Statsidee. III. Die moderne Statsidee.

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Antiker Stat.

1. Der antike Stat erkennt
noch nicht die persönlichen
Menschenrechte
und daher
auch nicht die individuel-
len Freiheitsrechte
an.
In allen antiken Staten be-
stand mindestens die Hälfte
der Bevölkerung aus recht-
losen Sclaven und nur die
kleinere Hälfte aus freien
Bürgern
. Der Landbau, die
Viehzucht, das Handwerk, der
häusliche Gesindedienst und
sogar ein groszer Theil des
Handels wurden vorzugsweise
von Sclaven besorgt. In Folge
dessen wurde die Arbeit gering
geachtet, und die Arbeiter
galten wenig. Die Sclaven
waren nur durch ihren Herrn
mit dem State verbunden. Sie
hatten keinen Antheil an dem
State, kein Vaterland. Die
Menschenrechte waren ihnen
fast gänzlich versagt. Die Sitte
freilich war oft besser als das
Gesetz, aber auch die bessern
thatsächlichen Zustände waren
unsicher und konnten plötzlich
ein Ende nehmen mit Schrecken.
Von Zeit zu Zeit brachen Scla-
venaufstände los und wurden
dann blutig niedergeworfen.


[Spaltenumbruch]

Moderner Stat.

1. Der moderne Stat erkennt
die Menschenrechte in
Jedermann an. Ueberall
hat er die Sclaverei aufgeho-
ben als ein Unrecht, und so-
gar die mildere Hörigkeit
und die Erbunterthänig-
keit
beseitigt, als eine Misz-
achtung der natürlichen Frei-
heit der Person
. Der
Mensch hat kein Eigenthum
über den Menschen, denn nie
ist der Mensch eine Sache,
sondern immer eine Person,
d. h. ein Rechtswesen. Es
gibt nur freie Arbeit, und sie
wird geschätzt. Auch die po-
litische Theilnahme an dem
State ist allen Volksclassen
zugänglich, und das statliche
Stimmrecht ist auch auf die
Arbeiter und die Dienstboten
ausgebreitet worden. Die Ge-
fahr von Sclavenaufständen ist
verschwunden. Der ganze Stat
ruht auf breiterer Grundlage.
Seine Wurzeln sind über die
ganze Bevölkerung ausgedehnt.


Sechstes Cap. Entwicklungsgesch. der Statsidee. III. Die moderne Statsidee.

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Antiker Stat.

1. Der antike Stat erkennt
noch nicht die persönlichen
Menschenrechte
und daher
auch nicht die individuel-
len Freiheitsrechte
an.
In allen antiken Staten be-
stand mindestens die Hälfte
der Bevölkerung aus recht-
losen Sclaven und nur die
kleinere Hälfte aus freien
Bürgern
. Der Landbau, die
Viehzucht, das Handwerk, der
häusliche Gesindedienst und
sogar ein groszer Theil des
Handels wurden vorzugsweise
von Sclaven besorgt. In Folge
dessen wurde die Arbeit gering
geachtet, und die Arbeiter
galten wenig. Die Sclaven
waren nur durch ihren Herrn
mit dem State verbunden. Sie
hatten keinen Antheil an dem
State, kein Vaterland. Die
Menschenrechte waren ihnen
fast gänzlich versagt. Die Sitte
freilich war oft besser als das
Gesetz, aber auch die bessern
thatsächlichen Zustände waren
unsicher und konnten plötzlich
ein Ende nehmen mit Schrecken.
Von Zeit zu Zeit brachen Scla-
venaufstände los und wurden
dann blutig niedergeworfen.


[Spaltenumbruch]

Moderner Stat.

1. Der moderne Stat erkennt
die Menschenrechte in
Jedermann an. Ueberall
hat er die Sclaverei aufgeho-
ben als ein Unrecht, und so-
gar die mildere Hörigkeit
und die Erbunterthänig-
keit
beseitigt, als eine Misz-
achtung der natürlichen Frei-
heit der Person
. Der
Mensch hat kein Eigenthum
über den Menschen, denn nie
ist der Mensch eine Sache,
sondern immer eine Person,
d. h. ein Rechtswesen. Es
gibt nur freie Arbeit, und sie
wird geschätzt. Auch die po-
litische Theilnahme an dem
State ist allen Volksclassen
zugänglich, und das statliche
Stimmrecht ist auch auf die
Arbeiter und die Dienstboten
ausgebreitet worden. Die Ge-
fahr von Sclavenaufständen ist
verschwunden. Der ganze Stat
ruht auf breiterer Grundlage.
Seine Wurzeln sind über die
ganze Bevölkerung ausgedehnt.


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[61/0079] Sechstes Cap. Entwicklungsgesch. der Statsidee. III. Die moderne Statsidee. Antiker Stat. 1. Der antike Stat erkennt noch nicht die persönlichen Menschenrechte und daher auch nicht die individuel- len Freiheitsrechte an. In allen antiken Staten be- stand mindestens die Hälfte der Bevölkerung aus recht- losen Sclaven und nur die kleinere Hälfte aus freien Bürgern. Der Landbau, die Viehzucht, das Handwerk, der häusliche Gesindedienst und sogar ein groszer Theil des Handels wurden vorzugsweise von Sclaven besorgt. In Folge dessen wurde die Arbeit gering geachtet, und die Arbeiter galten wenig. Die Sclaven waren nur durch ihren Herrn mit dem State verbunden. Sie hatten keinen Antheil an dem State, kein Vaterland. Die Menschenrechte waren ihnen fast gänzlich versagt. Die Sitte freilich war oft besser als das Gesetz, aber auch die bessern thatsächlichen Zustände waren unsicher und konnten plötzlich ein Ende nehmen mit Schrecken. Von Zeit zu Zeit brachen Scla- venaufstände los und wurden dann blutig niedergeworfen. Moderner Stat. 1. Der moderne Stat erkennt die Menschenrechte in Jedermann an. Ueberall hat er die Sclaverei aufgeho- ben als ein Unrecht, und so- gar die mildere Hörigkeit und die Erbunterthänig- keit beseitigt, als eine Misz- achtung der natürlichen Frei- heit der Person. Der Mensch hat kein Eigenthum über den Menschen, denn nie ist der Mensch eine Sache, sondern immer eine Person, d. h. ein Rechtswesen. Es gibt nur freie Arbeit, und sie wird geschätzt. Auch die po- litische Theilnahme an dem State ist allen Volksclassen zugänglich, und das statliche Stimmrecht ist auch auf die Arbeiter und die Dienstboten ausgebreitet worden. Die Ge- fahr von Sclavenaufständen ist verschwunden. Der ganze Stat ruht auf breiterer Grundlage. Seine Wurzeln sind über die ganze Bevölkerung ausgedehnt.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/79>, abgerufen am 19.04.2024.