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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Von der verblümten Schreibart.(*)

DJese verblümte Schreibart bestehet aus
uneigentlichen, figürlichen und verblümten
Ausdrücken und Gleichnissen. Sie ist ein-
gesührt worden, I. den Begriff durch die Ver-
gleichung mit einem andern, der eine gewisse Aehn-
lichkeit damit hat, in ein kläreres Licht zu setzen,
und gleichsam sichtbar zu machen: Opportunus
translationis usus illustrat orationem,
schreibt
Quintilianus; II. den Ausdrücken eine besondere
Kraft, ein Gewicht und einen Nachdruck zu geben, da-
mit sie desto tiefer in das Gemüthe des Lesers eindrin-
gen, wann sie durch ihre reichen Bilder ähnlicher
Dinge die Sinne und das Gemüthe füllen.

Segnius irritant animos demissa per aurem,
Quam quae sunt oculis subjecta fidelibus.
Horat. A. P.

III. Durch die Entdeckung der verborgenen Aehn-
lichkeiten der Dinge den Geist des Menschen zu er-
götzen und zu belustigen. Car nous aimons sui-
vant la remarque d'Aristote, a voir une cho-
se dans une autre, & ce qui ne frappe pas
de soy meme, ni a face decouverte, sur-
prend dans un habit emprunte, & avec une
masque..
Demnach irren diejenigen gröblich,
die sich bereden, daß die Vorstellungen ähnlicher
Dinge, oder die Vergleichungen die Kraft eines
Beweises haben, massen sie alleine dienen zu er-
klären und zu belustigen. Jch habe wahrgenom-
men, daß dieser Jrrwahn bey unsern Poeten ast

allge-
(*) Jst die Fertsetzung der Abhandl. von dem Sinnr.
und Scharssinn, aus der Ankl. des verd. Geschmacks.
[Crit. Samml. III. St.] B
Von der verbluͤmten Schreibart.(*)

DJeſe verbluͤmte Schreibart beſtehet aus
uneigentlichen, figuͤrlichen und verbluͤmten
Ausdruͤcken und Gleichniſſen. Sie iſt ein-
geſuͤhrt worden, I. den Begriff durch die Ver-
gleichung mit einem andern, der eine gewiſſe Aehn-
lichkeit damit hat, in ein klaͤreres Licht zu ſetzen,
und gleichſam ſichtbar zu machen: Opportunus
translationis uſus illuſtrat orationem,
ſchreibt
Quintilianus; II. den Ausdruͤcken eine beſondere
Kraft, ein Gewicht und einen Nachdruck zu geben, da-
mit ſie deſto tiefer in das Gemuͤthe des Leſers eindrin-
gen, wann ſie durch ihre reichen Bilder aͤhnlicher
Dinge die Sinne und das Gemuͤthe fuͤllen.

Segnius irritant animos demiſſa per aurem,
Quam quæ ſunt oculis ſubjecta fidelibus.
Horat. A. P.

III. Durch die Entdeckung der verborgenen Aehn-
lichkeiten der Dinge den Geiſt des Menſchen zu er-
goͤtzen und zu beluſtigen. Car nous aimons ſui-
vant la remarque d’Ariſtote, à voir une cho-
ſe dans une autre, & ce qui ne frappe pas
de ſoy même, ni à face decouverte, ſur-
prend dans un habit emprunté, & avec une
maſque..
Demnach irren diejenigen groͤblich,
die ſich bereden, daß die Vorſtellungen aͤhnlicher
Dinge, oder die Vergleichungen die Kraft eines
Beweiſes haben, maſſen ſie alleine dienen zu er-
klaͤren und zu beluſtigen. Jch habe wahrgenom-
men, daß dieſer Jrrwahn bey unſern Poeten aſt

allge-
(*) Jſt die Fertſetzung der Abhandl. von dem Sinnr.
und Scharſſinn, aus der Ankl. des verd. Geſchmacks.
[Crit. Sam̃l. III. St.] B
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[17/0019] Von der verbluͤmten Schreibart. (*) DJeſe verbluͤmte Schreibart beſtehet aus uneigentlichen, figuͤrlichen und verbluͤmten Ausdruͤcken und Gleichniſſen. Sie iſt ein- geſuͤhrt worden, I. den Begriff durch die Ver- gleichung mit einem andern, der eine gewiſſe Aehn- lichkeit damit hat, in ein klaͤreres Licht zu ſetzen, und gleichſam ſichtbar zu machen: Opportunus translationis uſus illuſtrat orationem, ſchreibt Quintilianus; II. den Ausdruͤcken eine beſondere Kraft, ein Gewicht und einen Nachdruck zu geben, da- mit ſie deſto tiefer in das Gemuͤthe des Leſers eindrin- gen, wann ſie durch ihre reichen Bilder aͤhnlicher Dinge die Sinne und das Gemuͤthe fuͤllen. Segnius irritant animos demiſſa per aurem, Quam quæ ſunt oculis ſubjecta fidelibus. Horat. A. P. III. Durch die Entdeckung der verborgenen Aehn- lichkeiten der Dinge den Geiſt des Menſchen zu er- goͤtzen und zu beluſtigen. Car nous aimons ſui- vant la remarque d’Ariſtote, à voir une cho- ſe dans une autre, & ce qui ne frappe pas de ſoy même, ni à face decouverte, ſur- prend dans un habit emprunté, & avec une maſque.. Demnach irren diejenigen groͤblich, die ſich bereden, daß die Vorſtellungen aͤhnlicher Dinge, oder die Vergleichungen die Kraft eines Beweiſes haben, maſſen ſie alleine dienen zu er- klaͤren und zu beluſtigen. Jch habe wahrgenom- men, daß dieſer Jrrwahn bey unſern Poeten aſt allge- (*) Jſt die Fertſetzung der Abhandl. von dem Sinnr. und Scharſſinn, aus der Ankl. des verd. Geſchmacks. [Crit. Sam̃l. III. St.] B

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/19>, abgerufen am 28.03.2024.