Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Schreibart
mit Wissenschaften bereichert ist, viele Schwie-
rigkeiten sinden. Diese Hindernisse sind durch
das Bestreben derer, welche des Poeten Gedan-
ken bey ihren kurtzen Einsichten und grossen Eigen-
dünckel mit verkehrten Auslegungen verstellet ha-
ben, noch mehr verstärket worden. Eben dieser
schädlichen Bemühung habe ich meine Arbeit ent-
gegengesetzet, und das gute Zutrauen, das ich in
die Verstandes- und Geistes-Kräfte der Deut-
schen setze, läßt mich nicht zweifeln, daß sie nicht
die natürlichen Eindrücke von Miltons Vorstellun-
gen nach ihrer vollen Macht mit Vergnügen bey
sich empfinden, und mit ihrem Beyfall die stoltze
Vermessenheit derjenigen zu Schande machen wer-
den, welche den Verstand und das Hertz der Na-
tion nach ihrer eigenen Blödigkeit und Kaltsinnig-
keit schätzen. Mithin ist mir noch ein Vorurtheil
wider Miltons Gedichte zu bestreiten übrig geblie-
ben, welches man den Leichtgläubigen mit aller
Macht beyzubringen gearbeitet hat. Solches ist
von einigen besondern Eigenschaften hergenommen,
die man in Miltons Sprache wahrnimmt. Jch
muß mich darum befleissen die wahre Beschaffen-
heit der miltonischen Schreibart mit einer sorgfäl-
tigen Genauigkeit zu untersuchen. Jn den An-
merckungen über des Poeten Erfindungen habe
ich nichts davon gesagt, damit ich den Leser nicht
allzuweit von den Sachen abführete. Jch dachte,
daß es sich besser in einer absonderlichen Schrift
schickete, wo man es lieber in einem fort lesen
würde.

Alles, oder das meiste, was Milton in der Spra-
che besonders hat, beruhet darauf, daß er die Ei-

genschaf-

Von der Schreibart
mit Wiſſenſchaften bereichert iſt, viele Schwie-
rigkeiten ſinden. Dieſe Hinderniſſe ſind durch
das Beſtreben derer, welche des Poeten Gedan-
ken bey ihren kurtzen Einſichten und groſſen Eigen-
duͤnckel mit verkehrten Auslegungen verſtellet ha-
ben, noch mehr verſtaͤrket worden. Eben dieſer
ſchaͤdlichen Bemuͤhung habe ich meine Arbeit ent-
gegengeſetzet, und das gute Zutrauen, das ich in
die Verſtandes- und Geiſtes-Kraͤfte der Deut-
ſchen ſetze, laͤßt mich nicht zweifeln, daß ſie nicht
die natuͤrlichen Eindruͤcke von Miltons Vorſtellun-
gen nach ihrer vollen Macht mit Vergnuͤgen bey
ſich empfinden, und mit ihrem Beyfall die ſtoltze
Vermeſſenheit derjenigen zu Schande machen wer-
den, welche den Verſtand und das Hertz der Na-
tion nach ihrer eigenen Bloͤdigkeit und Kaltſinnig-
keit ſchaͤtzen. Mithin iſt mir noch ein Vorurtheil
wider Miltons Gedichte zu beſtreiten uͤbrig geblie-
ben, welches man den Leichtglaͤubigen mit aller
Macht beyzubringen gearbeitet hat. Solches iſt
von einigen beſondern Eigenſchaften hergenommen,
die man in Miltons Sprache wahrnimmt. Jch
muß mich darum befleiſſen die wahre Beſchaffen-
heit der miltoniſchen Schreibart mit einer ſorgfaͤl-
tigen Genauigkeit zu unterſuchen. Jn den An-
merckungen uͤber des Poeten Erfindungen habe
ich nichts davon geſagt, damit ich den Leſer nicht
allzuweit von den Sachen abfuͤhrete. Jch dachte,
daß es ſich beſſer in einer abſonderlichen Schrift
ſchickete, wo man es lieber in einem fort leſen
wuͤrde.

Alles, oder das meiſte, was Milton in der Spra-
che beſonders hat, beruhet darauf, daß er die Ei-

genſchaf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="76"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Schreibart</hi></fw><lb/>
mit Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften bereichert i&#x017F;t, viele Schwie-<lb/>
rigkeiten &#x017F;inden. Die&#x017F;e Hinderni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind durch<lb/>
das Be&#x017F;treben derer, welche des Poeten Gedan-<lb/>
ken bey ihren kurtzen Ein&#x017F;ichten und gro&#x017F;&#x017F;en Eigen-<lb/>
du&#x0364;nckel mit verkehrten Auslegungen ver&#x017F;tellet ha-<lb/>
ben, noch mehr ver&#x017F;ta&#x0364;rket worden. Eben die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;dlichen Bemu&#x0364;hung habe ich meine Arbeit ent-<lb/>
gegenge&#x017F;etzet, und das gute Zutrauen, das ich in<lb/>
die Ver&#x017F;tandes- und Gei&#x017F;tes-Kra&#x0364;fte der Deut-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;etze, la&#x0364;ßt mich nicht zweifeln, daß &#x017F;ie nicht<lb/>
die natu&#x0364;rlichen Eindru&#x0364;cke von Miltons Vor&#x017F;tellun-<lb/>
gen nach ihrer vollen Macht mit Vergnu&#x0364;gen bey<lb/>
&#x017F;ich empfinden, und mit ihrem Beyfall die &#x017F;toltze<lb/>
Verme&#x017F;&#x017F;enheit derjenigen zu Schande machen wer-<lb/>
den, welche den Ver&#x017F;tand und das Hertz der Na-<lb/>
tion nach ihrer eigenen Blo&#x0364;digkeit und Kalt&#x017F;innig-<lb/>
keit &#x017F;cha&#x0364;tzen. Mithin i&#x017F;t mir noch ein Vorurtheil<lb/>
wider Miltons Gedichte zu be&#x017F;treiten u&#x0364;brig geblie-<lb/>
ben, welches man den Leichtgla&#x0364;ubigen mit aller<lb/>
Macht beyzubringen gearbeitet hat. Solches i&#x017F;t<lb/>
von einigen be&#x017F;ondern Eigen&#x017F;chaften hergenommen,<lb/>
die man in Miltons Sprache wahrnimmt. Jch<lb/>
muß mich darum beflei&#x017F;&#x017F;en die wahre Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heit der miltoni&#x017F;chen Schreibart mit einer &#x017F;orgfa&#x0364;l-<lb/>
tigen Genauigkeit zu unter&#x017F;uchen. Jn den An-<lb/>
merckungen u&#x0364;ber des Poeten Erfindungen habe<lb/>
ich nichts davon ge&#x017F;agt, damit ich den Le&#x017F;er nicht<lb/>
allzuweit von den Sachen abfu&#x0364;hrete. Jch dachte,<lb/>
daß es &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er in einer ab&#x017F;onderlichen Schrift<lb/>
&#x017F;chickete, wo man es lieber in einem fort le&#x017F;en<lb/>
wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Alles, oder das mei&#x017F;te, was Milton in der Spra-<lb/>
che be&#x017F;onders hat, beruhet darauf, daß er die Ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen&#x017F;chaf-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0078] Von der Schreibart mit Wiſſenſchaften bereichert iſt, viele Schwie- rigkeiten ſinden. Dieſe Hinderniſſe ſind durch das Beſtreben derer, welche des Poeten Gedan- ken bey ihren kurtzen Einſichten und groſſen Eigen- duͤnckel mit verkehrten Auslegungen verſtellet ha- ben, noch mehr verſtaͤrket worden. Eben dieſer ſchaͤdlichen Bemuͤhung habe ich meine Arbeit ent- gegengeſetzet, und das gute Zutrauen, das ich in die Verſtandes- und Geiſtes-Kraͤfte der Deut- ſchen ſetze, laͤßt mich nicht zweifeln, daß ſie nicht die natuͤrlichen Eindruͤcke von Miltons Vorſtellun- gen nach ihrer vollen Macht mit Vergnuͤgen bey ſich empfinden, und mit ihrem Beyfall die ſtoltze Vermeſſenheit derjenigen zu Schande machen wer- den, welche den Verſtand und das Hertz der Na- tion nach ihrer eigenen Bloͤdigkeit und Kaltſinnig- keit ſchaͤtzen. Mithin iſt mir noch ein Vorurtheil wider Miltons Gedichte zu beſtreiten uͤbrig geblie- ben, welches man den Leichtglaͤubigen mit aller Macht beyzubringen gearbeitet hat. Solches iſt von einigen beſondern Eigenſchaften hergenommen, die man in Miltons Sprache wahrnimmt. Jch muß mich darum befleiſſen die wahre Beſchaffen- heit der miltoniſchen Schreibart mit einer ſorgfaͤl- tigen Genauigkeit zu unterſuchen. Jn den An- merckungen uͤber des Poeten Erfindungen habe ich nichts davon geſagt, damit ich den Leſer nicht allzuweit von den Sachen abfuͤhrete. Jch dachte, daß es ſich beſſer in einer abſonderlichen Schrift ſchickete, wo man es lieber in einem fort leſen wuͤrde. Alles, oder das meiſte, was Milton in der Spra- che beſonders hat, beruhet darauf, daß er die Ei- genſchaf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/78
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/78>, abgerufen am 19.04.2024.