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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

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des deutschen Witzes.
"Gottsched von den meisten Materien, die in
"dessen Dichtkunst fehlen sollen, schon vor sechs
"und acht Jahren wollen haben reden hören."

Und etwas ferner:

"Und in der That sagen
"die Leute, deren ich gedacht habe, daß es
"eben bey der Ausübung gewesen sey, wo er
"mit ihnen davon gesprochen hätte."

Es feh-
let auch diesem Beweise im geringsten nichts,
als einestheils, daß er die Anzahl dieser Zeugen
von einer so geheimen Wahrheit nicht mit Nah-
men entdeckt, deren ohne Zweifel mehr als drey-
mahl drey gewesen sind; und anderntheils, daß
er das Factum, welches er mit einer Betheu-
rung bekräftiget, um etwas zweideutig ausdrückt;
massen das haben wollen reden hören nicht noth-
wendig sagt, daß sie ihn würcklich von diesen
Materien reden gehört haben: Denn wenn sei-
ne Betheurung nur dahin gehen sollte, zu be-
kräftigen, daß es würcklich schon vor 6. und 8.
Jahren in Leipzig Leute gegeben, die diese Un-
vollkommenheiten und Mängel in der Gottsche-
dischen Dichtkunst angemercket, und daher Hrn.
Prof. Gottsched selbst mündlich darüber anzuhö-
ren Lust bezeuget haben, so wäre dieses für Hrn.
Gottsched eben nicht so gar rühmlich, zumahl
da er auch in der zweiten und verbesserten Auf-
lage seines Buchs diese Mängel und Unvollkom-
menheiten gelassen hat, wie er sie in der ersten
Herausgabe gefunden hat. Sonst ist freylich
diese Art des Beweises an sich selbst unwider-
sprechlich. Ein Buch, das vornehmlich zur öf-
fentlichen Vorlesung bestimmet ist, kan ohne die
mündliche Erklärung nicht als ein Gantzes ange-

sehen,
D 2
des deutſchen Witzes.
„Gottſched von den meiſten Materien, die in
„deſſen Dichtkunſt fehlen ſollen, ſchon vor ſechs
„und acht Jahren wollen haben reden hoͤren.„

Und etwas ferner:

„Und in der That ſagen
„die Leute, deren ich gedacht habe, daß es
„eben bey der Ausuͤbung geweſen ſey, wo er
„mit ihnen davon geſprochen haͤtte.„

Es feh-
let auch dieſem Beweiſe im geringſten nichts,
als einestheils, daß er die Anzahl dieſer Zeugen
von einer ſo geheimen Wahrheit nicht mit Nah-
men entdeckt, deren ohne Zweifel mehr als drey-
mahl drey geweſen ſind; und anderntheils, daß
er das Factum, welches er mit einer Betheu-
rung bekraͤftiget, um etwas zweideutig ausdruͤckt;
maſſen das haben wollen reden hoͤren nicht noth-
wendig ſagt, daß ſie ihn wuͤrcklich von dieſen
Materien reden gehoͤrt haben: Denn wenn ſei-
ne Betheurung nur dahin gehen ſollte, zu be-
kraͤftigen, daß es wuͤrcklich ſchon vor 6. und 8.
Jahren in Leipzig Leute gegeben, die dieſe Un-
vollkommenheiten und Maͤngel in der Gottſche-
diſchen Dichtkunſt angemercket, und daher Hrn.
Prof. Gottſched ſelbſt muͤndlich daruͤber anzuhoͤ-
ren Luſt bezeuget haben, ſo waͤre dieſes fuͤr Hrn.
Gottſched eben nicht ſo gar ruͤhmlich, zumahl
da er auch in der zweiten und verbeſſerten Auf-
lage ſeines Buchs dieſe Maͤngel und Unvollkom-
menheiten gelaſſen hat, wie er ſie in der erſten
Herausgabe gefunden hat. Sonſt iſt freylich
dieſe Art des Beweiſes an ſich ſelbſt unwider-
ſprechlich. Ein Buch, das vornehmlich zur oͤf-
fentlichen Vorleſung beſtimmet iſt, kan ohne die
muͤndliche Erklaͤrung nicht als ein Gantzes ange-

ſehen,
D 2
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[51/0051] des deutſchen Witzes. „Gottſched von den meiſten Materien, die in „deſſen Dichtkunſt fehlen ſollen, ſchon vor ſechs „und acht Jahren wollen haben reden hoͤren.„ Und etwas ferner: „Und in der That ſagen „die Leute, deren ich gedacht habe, daß es „eben bey der Ausuͤbung geweſen ſey, wo er „mit ihnen davon geſprochen haͤtte.„ Es feh- let auch dieſem Beweiſe im geringſten nichts, als einestheils, daß er die Anzahl dieſer Zeugen von einer ſo geheimen Wahrheit nicht mit Nah- men entdeckt, deren ohne Zweifel mehr als drey- mahl drey geweſen ſind; und anderntheils, daß er das Factum, welches er mit einer Betheu- rung bekraͤftiget, um etwas zweideutig ausdruͤckt; maſſen das haben wollen reden hoͤren nicht noth- wendig ſagt, daß ſie ihn wuͤrcklich von dieſen Materien reden gehoͤrt haben: Denn wenn ſei- ne Betheurung nur dahin gehen ſollte, zu be- kraͤftigen, daß es wuͤrcklich ſchon vor 6. und 8. Jahren in Leipzig Leute gegeben, die dieſe Un- vollkommenheiten und Maͤngel in der Gottſche- diſchen Dichtkunſt angemercket, und daher Hrn. Prof. Gottſched ſelbſt muͤndlich daruͤber anzuhoͤ- ren Luſt bezeuget haben, ſo waͤre dieſes fuͤr Hrn. Gottſched eben nicht ſo gar ruͤhmlich, zumahl da er auch in der zweiten und verbeſſerten Auf- lage ſeines Buchs dieſe Maͤngel und Unvollkom- menheiten gelaſſen hat, wie er ſie in der erſten Herausgabe gefunden hat. Sonſt iſt freylich dieſe Art des Beweiſes an ſich ſelbſt unwider- ſprechlich. Ein Buch, das vornehmlich zur oͤf- fentlichen Vorleſung beſtimmet iſt, kan ohne die muͤndliche Erklaͤrung nicht als ein Gantzes ange- ſehen, D 2

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/51>, abgerufen am 24.04.2024.