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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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Versuch eines Gedichtes
Nichts war ihm ungewohnt, der Hof, die Stadt, das Feld,
Es galt ihm alles gleich, wozu man ihn erwehlt.
Der vor dem König stuhnd, dient nunmehr seinen Schafen,
Statt weicher Federbett will er in Hürden schlafen,
Des Hofes hoher Schein hat ihn nicht so verblendt,
Daß er nicht wie zuvor die Schäferfreude kennt.240.
Er ist hie mehr vergnügt, er ist hie mehr sein eigen,
Hie thut er was er will, hie darff er sich nicht neigen
Für diesem oder dem, sein Wort das führt er frey,
Und sorgt nicht ob es so noch so zu deuten sey.
Hie hat er keinen Streit, er weiß von keinem Neiden,
Er darff hie seinen Leib, wie ihm gefällt, bekleiden.
Die Mahlzeit richt er zu, wo es ihm selbst beliebt,
Bald unter einem Baum, allwo es Schatten giebt,
Bald wenn die Sonne nicht die heissen Strahlen schiesset,
Steht ihm ein grünes Thal, das da ein Bach umfliesset,
Zu seinem Tisch bereit; er isset was er mag,250.
Und trinckt nicht über Durst, folgt der Gesundheit nach.
Er gehet zu der Ruh, wenn sich die Sonn verliehret,
Und stehet wieder auf, wenn sie den Himmel zieret.
Niemahls ist er allein, denn Gott der alles füllt,
Hat ihn mit seinem Licht, und Gnaden-Geist umhüllt.
Denselben lobet er in diesen grünen Auen
Mit manchem Kunst-Gebäud. Jn Gott sich zu erbauen,
Jst
V. 252. Er isset was er mag, und trinckt nicht über Durst.)
[Spaltenumbruch] Jn Opitzen Zlatna und dem
Lobe des Feld-Lebens würde diese
Beschreibung der Land-Ruhe
trefflich gut stehen; ich will sie
auch in dem Epischen Gedichte
nicht verwerffen, wann sie in ein
paar Zeilen gebracht wird, und
keinen Theil der Haupt-Hand-
lung ausmachet; diese muß nach
der Natur des Epischen Gedich-
tes edel und erhaben seyn. Jch
verstehe eine Erhabenheit, die in
den Unternehmungen einer krie-
gerischen Dapferkeit, in ausneh-
menden Thaten der Großmuth,
der Liebe zum Vaterland, zur Re-
[Spaltenumbruch] ligion, der Klugheit in Staats-
Sachen, der Höflichkeit und der-
gleichen besteht. Wer sich vorge-
nommen hat den Lebens-Lauf ei-
nes Helden zu beschreiben, wird
nothwendig eine Menge schlech-
terer und unwürdiger Tha-
ten darinnen antreffen, welche
die Hoheit des Epischen Gedich-
tes unterbrechen, allermassen die
Menschlichkeit nicht zuläßt, daß
ein Held durch eine lebenslange
Folge und Reihe von grossen und
erhabenen Umständen und Hand-
lungen fortgeführt werde.
Verſuch eines Gedichtes
Nichts war ihm ungewohnt, der Hof, die Stadt, das Feld,
Es galt ihm alles gleich, wozu man ihn erwehlt.
Der vor dem Koͤnig ſtuhnd, dient nunmehr ſeinen Schafen,
Statt weicher Federbett will er in Huͤrden ſchlafen,
Des Hofes hoher Schein hat ihn nicht ſo verblendt,
Daß er nicht wie zuvor die Schaͤferfreude kennt.240.
Er iſt hie mehr vergnuͤgt, er iſt hie mehr ſein eigen,
Hie thut er was er will, hie darff er ſich nicht neigen
Fuͤr dieſem oder dem, ſein Wort das fuͤhrt er frey,
Und ſorgt nicht ob es ſo noch ſo zu deuten ſey.
Hie hat er keinen Streit, er weiß von keinem Neiden,
Er darff hie ſeinen Leib, wie ihm gefaͤllt, bekleiden.
Die Mahlzeit richt er zu, wo es ihm ſelbſt beliebt,
Bald unter einem Baum, allwo es Schatten giebt,
Bald wenn die Sonne nicht die heiſſen Strahlen ſchieſſet,
Steht ihm ein gruͤnes Thal, das da ein Bach umflieſſet,
Zu ſeinem Tiſch bereit; er iſſet was er mag,250.
Und trinckt nicht uͤber Durſt, folgt der Geſundheit nach.
Er gehet zu der Ruh, wenn ſich die Sonn verliehret,
Und ſtehet wieder auf, wenn ſie den Himmel zieret.
Niemahls iſt er allein, denn Gott der alles fuͤllt,
Hat ihn mit ſeinem Licht, und Gnaden-Geiſt umhuͤllt.
Denſelben lobet er in dieſen gruͤnen Auen
Mit manchem Kunſt-Gebaͤud. Jn Gott ſich zu erbauen,
Jſt
V. 252. Er iſſet was er mag, und trinckt nicht uͤber Durſt.)
[Spaltenumbruch] Jn Opitzen Zlatna und dem
Lobe des Feld-Lebens wuͤrde dieſe
Beſchreibung der Land-Ruhe
trefflich gut ſtehen; ich will ſie
auch in dem Epiſchen Gedichte
nicht verwerffen, wann ſie in ein
paar Zeilen gebracht wird, und
keinen Theil der Haupt-Hand-
lung ausmachet; dieſe muß nach
der Natur des Epiſchen Gedich-
tes edel und erhaben ſeyn. Jch
verſtehe eine Erhabenheit, die in
den Unternehmungen einer krie-
geriſchen Dapferkeit, in ausneh-
menden Thaten der Großmuth,
der Liebe zum Vaterland, zur Re-
[Spaltenumbruch] ligion, der Klugheit in Staats-
Sachen, der Hoͤflichkeit und der-
gleichen beſteht. Wer ſich vorge-
nommen hat den Lebens-Lauf ei-
nes Helden zu beſchreiben, wird
nothwendig eine Menge ſchlech-
terer und unwuͤrdiger Tha-
ten darinnen antreffen, welche
die Hoheit des Epiſchen Gedich-
tes unterbrechen, allermaſſen die
Menſchlichkeit nicht zulaͤßt, daß
ein Held durch eine lebenslange
Folge und Reihe von groſſen und
erhabenen Umſtaͤnden und Hand-
lungen fortgefuͤhrt werde.
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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/28>, abgerufen am 28.03.2024.