Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
von David.
Jmmittelst bringet zu, des Landes süsse Leben
Hie anzuschauen recht, davon dann wird gegeben1450.
Von ihr ein solcher Schluß, daß sie den Hof veracht,
Wann sie die Dienstbarkeit mit dieser Ruh betracht.
Der Hof der ist ein Band der unsern Willen zwinget,
Und übergüldte Qual für reine Lust uns bringet.
Es dienet alles da, es dienet Herr und Knecht,
Der Knechte Dienst uns selbst die freye Herrschafft schwächt.
Es muß oft unser Will nach ihrem Willen gehen,
Und dem der mich bedient muß ich zu Dienste stehen.
Jch bin des Knechtes Knecht, und hab den Willen nicht,
Daß was derselbe will, ich ohne Müh verricht.1460.
So waren Michals Wort, Zeruja wollt bestreiten,
Der Hof der gienge für, und wäre auch bey weiten
Geprießner als das Land. Doch Michal blieb dabey,
Bey Hofe lebt man streng, im Felde lebt man frey.
Hierauf geht nun die Reis nach der verlaßnen Hölen,
Allwo Thalmais sich und Merob hefftig quälen,
Weil sie als sie erwacht, die Michal funden nicht,
Und finden keinen auch der ihnen was bericht,
Wo ihre Schwester sey. Von David seinem Knaben,
Der weil sein Herr war aus, die Aufsicht muste haben1470.
Auf die geliebte Heerd, erfahren sie zuletzt,
Was ihre Sorg vermehrt und sie in Unruh setzt;
Daß nemlich Michal sey mit Davld auf dem Wagen
Gefahren in das Feld. Was will man hievon sagen?
Spricht Merob gantz bestürtzt; Jndem schaut sie sich um,
Und schallt ihr für das Ohr der Michal ihre Stimm,
Sie eilet nach dem Ton, und sieht den Wagen kommen,
Jn welchem sie nun kaum Zeruja mit vernommen,
Da
V. 1453. Der Hof, der ist ein Band, der unsern Willen zwinget.)
[Spaltenumbruch] Dieser moralische Lehrsatz hätte
eine ungleich grössere Lebhaftig-
keit erhalten, wann er als eine
Folge und Frucht der Liebe Mi-
chals zu dem Schäfer David ein-
geführt worden wäre, indem nem-
lich Michal alles das vor ange-
nehm und liebenswürdig angese-
[Spaltenumbruch] hen, was mit ihrem Geliebten ei-
nige Verwandschaft hatte; und
ihre Aussprüche nach der Vor-
schrift ihrer Leidenschaft gegeben.
So wie dieser Satz hier ange-
bracht ist, hat er ein allzu dogma-
tisches Aussehen.
von David.
Jmmittelſt bringet zu, des Landes ſuͤſſe Leben
Hie anzuſchauen recht, davon dann wird gegeben1450.
Von ihr ein ſolcher Schluß, daß ſie den Hof veracht,
Wann ſie die Dienſtbarkeit mit dieſer Ruh betracht.
Der Hof der iſt ein Band der unſern Willen zwinget,
Und uͤberguͤldte Qual fuͤr reine Luſt uns bringet.
Es dienet alles da, es dienet Herr und Knecht,
Der Knechte Dienſt uns ſelbſt die freye Herrſchafft ſchwaͤcht.
Es muß oft unſer Will nach ihrem Willen gehen,
Und dem der mich bedient muß ich zu Dienſte ſtehen.
Jch bin des Knechtes Knecht, und hab den Willen nicht,
Daß was derſelbe will, ich ohne Muͤh verricht.1460.
So waren Michals Wort, Zeruja wollt beſtreiten,
Der Hof der gienge fuͤr, und waͤre auch bey weiten
Geprießner als das Land. Doch Michal blieb dabey,
Bey Hofe lebt man ſtreng, im Felde lebt man frey.
Hierauf geht nun die Reis nach der verlaßnen Hoͤlen,
Allwo Thalmais ſich und Merob hefftig quaͤlen,
Weil ſie als ſie erwacht, die Michal funden nicht,
Und finden keinen auch der ihnen was bericht,
Wo ihre Schweſter ſey. Von David ſeinem Knaben,
Der weil ſein Herr war aus, die Aufſicht muſte haben1470.
Auf die geliebte Heerd, erfahren ſie zuletzt,
Was ihre Sorg vermehrt und ſie in Unruh ſetzt;
Daß nemlich Michal ſey mit Davld auf dem Wagen
Gefahren in das Feld. Was will man hievon ſagen?
Spricht Merob gantz beſtuͤrtzt; Jndem ſchaut ſie ſich um,
Und ſchallt ihr fuͤr das Ohr der Michal ihre Stimm,
Sie eilet nach dem Ton, und ſieht den Wagen kommen,
Jn welchem ſie nun kaum Zeruja mit vernommen,
Da
V. 1453. Der Hof, der iſt ein Band, der unſern Willen zwinget.)
[Spaltenumbruch] Dieſer moraliſche Lehrſatz haͤtte
eine ungleich groͤſſere Lebhaftig-
keit erhalten, wann er als eine
Folge und Frucht der Liebe Mi-
chals zu dem Schaͤfer David ein-
gefuͤhrt worden waͤre, indem nem-
lich Michal alles das vor ange-
nehm und liebenswuͤrdig angeſe-
[Spaltenumbruch] hen, was mit ihrem Geliebten ei-
nige Verwandſchaft hatte; und
ihre Ausſpruͤche nach der Vor-
ſchrift ihrer Leidenſchaft gegeben.
So wie dieſer Satz hier ange-
bracht iſt, hat er ein allzu dogma-
tiſches Ausſehen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0063" n="63"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">von David.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <l>Jmmittel&#x017F;t bringet zu, des Landes &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Leben</l><lb/>
          <l>Hie anzu&#x017F;chauen recht, davon dann wird gegeben<note place="right">1450.</note></l><lb/>
          <l>Von ihr ein &#x017F;olcher Schluß, daß &#x017F;ie den Hof veracht,</l><lb/>
          <l>Wann &#x017F;ie die Dien&#x017F;tbarkeit mit die&#x017F;er Ruh betracht.</l><lb/>
          <l>Der Hof der i&#x017F;t ein Band der un&#x017F;ern Willen zwinget,<note place="foot">V. 1453. Der Hof, der i&#x017F;t ein Band, der un&#x017F;ern Willen zwinget.)<lb/><cb/>
Die&#x017F;er morali&#x017F;che Lehr&#x017F;atz ha&#x0364;tte<lb/>
eine ungleich gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Lebhaftig-<lb/>
keit erhalten, wann er als eine<lb/>
Folge und Frucht der Liebe Mi-<lb/>
chals zu dem Scha&#x0364;fer David ein-<lb/>
gefu&#x0364;hrt worden wa&#x0364;re, indem nem-<lb/>
lich Michal alles das vor ange-<lb/>
nehm und liebenswu&#x0364;rdig ange&#x017F;e-<lb/><cb/>
hen, was mit ihrem Geliebten ei-<lb/>
nige Verwand&#x017F;chaft hatte; und<lb/>
ihre Aus&#x017F;pru&#x0364;che nach der Vor-<lb/>
&#x017F;chrift ihrer Leiden&#x017F;chaft gegeben.<lb/>
So wie die&#x017F;er Satz hier ange-<lb/>
bracht i&#x017F;t, hat er ein allzu dogma-<lb/>
ti&#x017F;ches Aus&#x017F;ehen.</note></l><lb/>
          <l>Und u&#x0364;bergu&#x0364;ldte Qual fu&#x0364;r reine Lu&#x017F;t uns bringet.</l><lb/>
          <l>Es dienet alles da, es dienet Herr und Knecht,</l><lb/>
          <l>Der Knechte Dien&#x017F;t uns &#x017F;elb&#x017F;t die freye Herr&#x017F;chafft &#x017F;chwa&#x0364;cht.</l><lb/>
          <l>Es muß oft un&#x017F;er Will nach ihrem Willen gehen,</l><lb/>
          <l>Und dem der mich bedient muß ich zu Dien&#x017F;te &#x017F;tehen.</l><lb/>
          <l>Jch bin des Knechtes Knecht, und hab den Willen nicht,</l><lb/>
          <l>Daß was der&#x017F;elbe will, ich ohne Mu&#x0364;h verricht.<note place="right">1460.</note></l><lb/>
          <l>So waren Michals Wort, Zeruja wollt be&#x017F;treiten,</l><lb/>
          <l>Der Hof der gienge fu&#x0364;r, und wa&#x0364;re auch bey weiten</l><lb/>
          <l>Geprießner als das Land. Doch Michal blieb dabey,</l><lb/>
          <l>Bey Hofe lebt man &#x017F;treng, im Felde lebt man frey.</l><lb/>
          <l>Hierauf geht nun die Reis nach der verlaßnen Ho&#x0364;len,</l><lb/>
          <l>Allwo Thalmais &#x017F;ich und Merob hefftig qua&#x0364;len,</l><lb/>
          <l>Weil &#x017F;ie als &#x017F;ie erwacht, die Michal funden nicht,</l><lb/>
          <l>Und finden keinen auch der ihnen was bericht,</l><lb/>
          <l>Wo ihre Schwe&#x017F;ter &#x017F;ey. Von David &#x017F;einem Knaben,</l><lb/>
          <l>Der weil &#x017F;ein Herr war aus, die Auf&#x017F;icht mu&#x017F;te haben<note place="right">1470.</note></l><lb/>
          <l>Auf die geliebte Heerd, erfahren &#x017F;ie zuletzt,</l><lb/>
          <l>Was ihre Sorg vermehrt und &#x017F;ie in Unruh &#x017F;etzt;</l><lb/>
          <l>Daß nemlich Michal &#x017F;ey mit Davld auf dem Wagen</l><lb/>
          <l>Gefahren in das Feld. Was will man hievon &#x017F;agen?</l><lb/>
          <l>Spricht Merob gantz be&#x017F;tu&#x0364;rtzt; Jndem &#x017F;chaut &#x017F;ie &#x017F;ich um,</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;challt ihr fu&#x0364;r das Ohr der Michal ihre Stimm,</l><lb/>
          <l>Sie eilet nach dem Ton, und &#x017F;ieht den Wagen kommen,</l><lb/>
          <l>Jn welchem &#x017F;ie nun kaum Zeruja mit vernommen,</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Da</fw><lb/><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0063] von David. Jmmittelſt bringet zu, des Landes ſuͤſſe Leben Hie anzuſchauen recht, davon dann wird gegeben Von ihr ein ſolcher Schluß, daß ſie den Hof veracht, Wann ſie die Dienſtbarkeit mit dieſer Ruh betracht. Der Hof der iſt ein Band der unſern Willen zwinget, Und uͤberguͤldte Qual fuͤr reine Luſt uns bringet. Es dienet alles da, es dienet Herr und Knecht, Der Knechte Dienſt uns ſelbſt die freye Herrſchafft ſchwaͤcht. Es muß oft unſer Will nach ihrem Willen gehen, Und dem der mich bedient muß ich zu Dienſte ſtehen. Jch bin des Knechtes Knecht, und hab den Willen nicht, Daß was derſelbe will, ich ohne Muͤh verricht. So waren Michals Wort, Zeruja wollt beſtreiten, Der Hof der gienge fuͤr, und waͤre auch bey weiten Geprießner als das Land. Doch Michal blieb dabey, Bey Hofe lebt man ſtreng, im Felde lebt man frey. Hierauf geht nun die Reis nach der verlaßnen Hoͤlen, Allwo Thalmais ſich und Merob hefftig quaͤlen, Weil ſie als ſie erwacht, die Michal funden nicht, Und finden keinen auch der ihnen was bericht, Wo ihre Schweſter ſey. Von David ſeinem Knaben, Der weil ſein Herr war aus, die Aufſicht muſte haben Auf die geliebte Heerd, erfahren ſie zuletzt, Was ihre Sorg vermehrt und ſie in Unruh ſetzt; Daß nemlich Michal ſey mit Davld auf dem Wagen Gefahren in das Feld. Was will man hievon ſagen? Spricht Merob gantz beſtuͤrtzt; Jndem ſchaut ſie ſich um, Und ſchallt ihr fuͤr das Ohr der Michal ihre Stimm, Sie eilet nach dem Ton, und ſieht den Wagen kommen, Jn welchem ſie nun kaum Zeruja mit vernommen, Da V. 1453. Der Hof, der iſt ein Band, der unſern Willen zwinget.) Dieſer moraliſche Lehrſatz haͤtte eine ungleich groͤſſere Lebhaftig- keit erhalten, wann er als eine Folge und Frucht der Liebe Mi- chals zu dem Schaͤfer David ein- gefuͤhrt worden waͤre, indem nem- lich Michal alles das vor ange- nehm und liebenswuͤrdig angeſe- hen, was mit ihrem Geliebten ei- nige Verwandſchaft hatte; und ihre Ausſpruͤche nach der Vor- ſchrift ihrer Leidenſchaft gegeben. So wie dieſer Satz hier ange- bracht iſt, hat er ein allzu dogma- tiſches Ausſehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/63
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/63>, abgerufen am 28.04.2024.