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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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von David.
Jst mir mein Sinn zu hoch ihn von dir abzukehren.
Kanst du, ohn daß dein Hertz dich quälet, ihn begehren,
So siehe nicht auf mich. Du hast ja Recht dazu;
Verlasse Adriel und baue Davids Ruh.
Jch muß, Thalmais sprach, in diesen tollen Sachen,
So traurig ich auch bin, doch euer beyder lachen.630.
Jhr wollt nicht was ihr sagt, du hassest Adriel,
Doch schwere ich bey Gott, ihn liebet deine Seel:
Dich aber Michal plagt die Eifersucht dermassen,
Daß du in gutem Ernst den David meinst zu lassen,
Und
V. 631. 632. Jch muß, Thalmais sprach, in diesen tollen Sachen
So traurig ich auch bin, doch euer beyder lachen.)
[Spaltenumbruch] Weil der Poet es hier selbst
durch die Thalmais bekennen
läßt, daß die Liebe eine lächerli-
che Neigung sey, so wundert uns
desto mehr, daß er ihr in einem
Gedichte, wo nur die erhabensten
Empfindungen und Hertzensge-
dancken herrschen sollen, so viel
Platz eingeräumt hat. Wenn er
nicht in dem Vortrage seines
Vorhabens gesagt hätte, daß er
die hohen Wercke und den Lebens-
lauf Davids besingen wollte, so
könnte ich glauben, er hätte nichts
anders im Willen gehabt, als Da-
vids Vermählung mit der Michal
zu singen; und dieses hätte er
der Natur dieser Materie gemäß
nicht in einem heroischen Gedich-
te, sondern bloß in einem ver-
mischten heroisch-comischen thun
wollen. Mit dieser Absicht wäre
denn geschickt zusammengehan-
gen, daß er in dem ersten B.
die drey Printzeßinnen in Davids
Höle gebracht, in dem zweyten
den Sieg über Goliath beschrie-
ben, welcher ihm ein Recht auf
Sauls Tochter erworben, und in
dem dritten alle die Liebes-Sym-
ptomata aus einander gesetzt, wel-
[Spaltenumbruch] che bey der Michal und der Merob
entstanden. Auch die Geschichte
von Adriel im zweyten B. wä-
re dann desto weniger überflüßig,
weil sie uns mit Merobs Hertzen
bekannt machete, die ihr Vater
erstlich dem David vermählen
wollte. Jn diesem Falle hätten
wir nicht zu befürchten, daß das
Gedichte zu einer übermässigen
und das Gedächtniß betäubenden
Länge angewachsen wäre, denn
dem Poeten wäre izo nichts wei-
ters übrig geblieben, als das
Räthsel von der Merob und der
Michal Liebe aufzulösen, u. die er-
stere dem Adriel vermählen zu
lassen, welches zwar nach Sauls
Vorhaben dem David leid thun
sollen, aber in der That zu Be-
förderung der Liebe Michals ge-
dienet hätte, welche nun nichts
weiter gehindert, als daß David
die von Saul ihm auferlegte Mor-
gengabe von hundert Vorhäuten
eroberte. Jn drey oder vier Bü-
chern hätte dieses alles ausge-
führt werden können, wann der
Poet gleich die Weitläuffigkeit
hätte gebrauchen wollen, mit wel-
cher er angefangen hat.
F 2
von David.
Jſt mir mein Sinn zu hoch ihn von dir abzukehren.
Kanſt du, ohn daß dein Hertz dich quaͤlet, ihn begehren,
So ſiehe nicht auf mich. Du haſt ja Recht dazu;
Verlaſſe Adriel und baue Davids Ruh.
Jch muß, Thalmais ſprach, in dieſen tollen Sachen,
So traurig ich auch bin, doch euer beyder lachen.630.
Jhr wollt nicht was ihr ſagt, du haſſeſt Adriel,
Doch ſchwere ich bey Gott, ihn liebet deine Seel:
Dich aber Michal plagt die Eiferſucht dermaſſen,
Daß du in gutem Ernſt den David meinſt zu laſſen,
Und
V. 631. 632. Jch muß, Thalmais ſprach, in dieſen tollen Sachen
So traurig ich auch bin, doch euer beyder lachen.)
[Spaltenumbruch] Weil der Poet es hier ſelbſt
durch die Thalmais bekennen
laͤßt, daß die Liebe eine laͤcherli-
che Neigung ſey, ſo wundert uns
deſto mehr, daß er ihr in einem
Gedichte, wo nur die erhabenſten
Empfindungen und Hertzensge-
dancken herrſchen ſollen, ſo viel
Platz eingeraͤumt hat. Wenn er
nicht in dem Vortrage ſeines
Vorhabens geſagt haͤtte, daß er
die hohen Wercke und den Lebens-
lauf Davids beſingen wollte, ſo
koͤnnte ich glauben, er haͤtte nichts
anders im Willen gehabt, als Da-
vids Vermaͤhlung mit der Michal
zu ſingen; und dieſes haͤtte er
der Natur dieſer Materie gemaͤß
nicht in einem heroiſchen Gedich-
te, ſondern bloß in einem ver-
miſchten heroiſch-comiſchen thun
wollen. Mit dieſer Abſicht waͤre
denn geſchickt zuſammengehan-
gen, daß er in dem erſten B.
die drey Printzeßinnen in Davids
Hoͤle gebracht, in dem zweyten
den Sieg uͤber Goliath beſchrie-
ben, welcher ihm ein Recht auf
Sauls Tochter erworben, und in
dem dritten alle die Liebes-Sym-
ptomata aus einander geſetzt, wel-
[Spaltenumbruch] che bey der Michal und der Merob
entſtanden. Auch die Geſchichte
von Adriel im zweyten B. waͤ-
re dann deſto weniger uͤberfluͤßig,
weil ſie uns mit Merobs Hertzen
bekannt machete, die ihr Vater
erſtlich dem David vermaͤhlen
wollte. Jn dieſem Falle haͤtten
wir nicht zu befuͤrchten, daß das
Gedichte zu einer uͤbermaͤſſigen
und das Gedaͤchtniß betaͤubenden
Laͤnge angewachſen waͤre, denn
dem Poeten waͤre izo nichts wei-
ters uͤbrig geblieben, als das
Raͤthſel von der Merob und der
Michal Liebe aufzuloͤſen, u. die er-
ſtere dem Adriel vermaͤhlen zu
laſſen, welches zwar nach Sauls
Vorhaben dem David leid thun
ſollen, aber in der That zu Be-
foͤrderung der Liebe Michals ge-
dienet haͤtte, welche nun nichts
weiter gehindert, als daß David
die von Saul ihm auferlegte Mor-
gengabe von hundert Vorhaͤuten
eroberte. Jn drey oder vier Buͤ-
chern haͤtte dieſes alles ausge-
fuͤhrt werden koͤnnen, wann der
Poet gleich die Weitlaͤuffigkeit
haͤtte gebrauchen wollen, mit wel-
cher er angefangen hat.
F 2
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[83/0083] von David. Jſt mir mein Sinn zu hoch ihn von dir abzukehren. Kanſt du, ohn daß dein Hertz dich quaͤlet, ihn begehren, So ſiehe nicht auf mich. Du haſt ja Recht dazu; Verlaſſe Adriel und baue Davids Ruh. Jch muß, Thalmais ſprach, in dieſen tollen Sachen, So traurig ich auch bin, doch euer beyder lachen. Jhr wollt nicht was ihr ſagt, du haſſeſt Adriel, Doch ſchwere ich bey Gott, ihn liebet deine Seel: Dich aber Michal plagt die Eiferſucht dermaſſen, Daß du in gutem Ernſt den David meinſt zu laſſen, Und V. 631. 632. Jch muß, Thalmais ſprach, in dieſen tollen Sachen So traurig ich auch bin, doch euer beyder lachen.) Weil der Poet es hier ſelbſt durch die Thalmais bekennen laͤßt, daß die Liebe eine laͤcherli- che Neigung ſey, ſo wundert uns deſto mehr, daß er ihr in einem Gedichte, wo nur die erhabenſten Empfindungen und Hertzensge- dancken herrſchen ſollen, ſo viel Platz eingeraͤumt hat. Wenn er nicht in dem Vortrage ſeines Vorhabens geſagt haͤtte, daß er die hohen Wercke und den Lebens- lauf Davids beſingen wollte, ſo koͤnnte ich glauben, er haͤtte nichts anders im Willen gehabt, als Da- vids Vermaͤhlung mit der Michal zu ſingen; und dieſes haͤtte er der Natur dieſer Materie gemaͤß nicht in einem heroiſchen Gedich- te, ſondern bloß in einem ver- miſchten heroiſch-comiſchen thun wollen. Mit dieſer Abſicht waͤre denn geſchickt zuſammengehan- gen, daß er in dem erſten B. die drey Printzeßinnen in Davids Hoͤle gebracht, in dem zweyten den Sieg uͤber Goliath beſchrie- ben, welcher ihm ein Recht auf Sauls Tochter erworben, und in dem dritten alle die Liebes-Sym- ptomata aus einander geſetzt, wel- che bey der Michal und der Merob entſtanden. Auch die Geſchichte von Adriel im zweyten B. waͤ- re dann deſto weniger uͤberfluͤßig, weil ſie uns mit Merobs Hertzen bekannt machete, die ihr Vater erſtlich dem David vermaͤhlen wollte. Jn dieſem Falle haͤtten wir nicht zu befuͤrchten, daß das Gedichte zu einer uͤbermaͤſſigen und das Gedaͤchtniß betaͤubenden Laͤnge angewachſen waͤre, denn dem Poeten waͤre izo nichts wei- ters uͤbrig geblieben, als das Raͤthſel von der Merob und der Michal Liebe aufzuloͤſen, u. die er- ſtere dem Adriel vermaͤhlen zu laſſen, welches zwar nach Sauls Vorhaben dem David leid thun ſollen, aber in der That zu Be- foͤrderung der Liebe Michals ge- dienet haͤtte, welche nun nichts weiter gehindert, als daß David die von Saul ihm auferlegte Mor- gengabe von hundert Vorhaͤuten eroberte. Jn drey oder vier Buͤ- chern haͤtte dieſes alles ausge- fuͤhrt werden koͤnnen, wann der Poet gleich die Weitlaͤuffigkeit haͤtte gebrauchen wollen, mit wel- cher er angefangen hat. F 2

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/83>, abgerufen am 28.04.2024.