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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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an die d. Ges. von Greifswalde.
und dar in ihren Spottschriften etwas rechts darauf
zu gute thun: So daß nicht ohne Grund zu besor-
gen ist, sie werden noch behaupten dürffen, es
sey nicht unmöglich, daß ein Buch viel gelesen
werde, und doch noch unbekannt sey: Nachdem
sie sich unterstanden haben zu behaupten, daß öf-
ters das schlechteste Buch von der Welt den stärcke-
sten Abgang und einen allgemeinen Beyfall erhal-
ten könne. Und was werden dann eure sonst
freygebige Versprechungen von dem eben so gefäl-
ligen Urtheil der künftigen Zeiten für ein Ansehen
behalten?

II. Was war es nothwendig die zwo ersten
Auflagen meiner Critischen Dichtkunst, deren Ge-
dächtniß ich nur überhaupt und der Zahl nach zu er-
halten suche, aus der Vergessenheit, in die ich
sie durch die wichtigen Veränderungen und Ver-
besserungen der dritten Herausgabe gestürtzt zu ha-
ben verhoffete, wieder hervorzuziehen, und ihre
Mängel in Vergleichung mit der Vollkommenheit
dieser letztern aller Welt zu offenbaren. Jch hat-
te mich versichert, es könnte keinem meiner Schü-
ler und Verehrer verborgen seyn, daß ich es mit
meinen Schriften lediglich wollte gehalten wissen,
wie mit einem Testament, da allezeit das spätere
die vorhergehenden aufhebet, und alleine rechts-
gültig bleibet. Und was vor Absichten kan man
wohl demjenigen zutrauen, der ein veraltetes und
an dem Rechten ungültiges Testament wieder aus
dem Staube hervorziehet, anders, als daß er
mit Fleiß den Neid derjenigen, die sich durch die
neue testamentliche Verordnung verkürtzt zu seyn

glau-
A 5

an die d. Geſ. von Greifswalde.
und dar in ihren Spottſchriften etwas rechts darauf
zu gute thun: So daß nicht ohne Grund zu beſor-
gen iſt, ſie werden noch behaupten duͤrffen, es
ſey nicht unmoͤglich, daß ein Buch viel geleſen
werde, und doch noch unbekannt ſey: Nachdem
ſie ſich unterſtanden haben zu behaupten, daß oͤf-
ters das ſchlechteſte Buch von der Welt den ſtaͤrcke-
ſten Abgang und einen allgemeinen Beyfall erhal-
ten koͤnne. Und was werden dann eure ſonſt
freygebige Verſprechungen von dem eben ſo gefaͤl-
ligen Urtheil der kuͤnftigen Zeiten fuͤr ein Anſehen
behalten?

II. Was war es nothwendig die zwo erſten
Auflagen meiner Critiſchen Dichtkunſt, deren Ge-
daͤchtniß ich nur uͤberhaupt und der Zahl nach zu er-
halten ſuche, aus der Vergeſſenheit, in die ich
ſie durch die wichtigen Veraͤnderungen und Ver-
beſſerungen der dritten Herausgabe geſtuͤrtzt zu ha-
ben verhoffete, wieder hervorzuziehen, und ihre
Maͤngel in Vergleichung mit der Vollkommenheit
dieſer letztern aller Welt zu offenbaren. Jch hat-
te mich verſichert, es koͤnnte keinem meiner Schuͤ-
ler und Verehrer verborgen ſeyn, daß ich es mit
meinen Schriften lediglich wollte gehalten wiſſen,
wie mit einem Teſtament, da allezeit das ſpaͤtere
die vorhergehenden aufhebet, und alleine rechts-
guͤltig bleibet. Und was vor Abſichten kan man
wohl demjenigen zutrauen, der ein veraltetes und
an dem Rechten unguͤltiges Teſtament wieder aus
dem Staube hervorziehet, anders, als daß er
mit Fleiß den Neid derjenigen, die ſich durch die
neue teſtamentliche Verordnung verkuͤrtzt zu ſeyn

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[9/0011] an die d. Geſ. von Greifswalde. und dar in ihren Spottſchriften etwas rechts darauf zu gute thun: So daß nicht ohne Grund zu beſor- gen iſt, ſie werden noch behaupten duͤrffen, es ſey nicht unmoͤglich, daß ein Buch viel geleſen werde, und doch noch unbekannt ſey: Nachdem ſie ſich unterſtanden haben zu behaupten, daß oͤf- ters das ſchlechteſte Buch von der Welt den ſtaͤrcke- ſten Abgang und einen allgemeinen Beyfall erhal- ten koͤnne. Und was werden dann eure ſonſt freygebige Verſprechungen von dem eben ſo gefaͤl- ligen Urtheil der kuͤnftigen Zeiten fuͤr ein Anſehen behalten? II. Was war es nothwendig die zwo erſten Auflagen meiner Critiſchen Dichtkunſt, deren Ge- daͤchtniß ich nur uͤberhaupt und der Zahl nach zu er- halten ſuche, aus der Vergeſſenheit, in die ich ſie durch die wichtigen Veraͤnderungen und Ver- beſſerungen der dritten Herausgabe geſtuͤrtzt zu ha- ben verhoffete, wieder hervorzuziehen, und ihre Maͤngel in Vergleichung mit der Vollkommenheit dieſer letztern aller Welt zu offenbaren. Jch hat- te mich verſichert, es koͤnnte keinem meiner Schuͤ- ler und Verehrer verborgen ſeyn, daß ich es mit meinen Schriften lediglich wollte gehalten wiſſen, wie mit einem Teſtament, da allezeit das ſpaͤtere die vorhergehenden aufhebet, und alleine rechts- guͤltig bleibet. Und was vor Abſichten kan man wohl demjenigen zutrauen, der ein veraltetes und an dem Rechten unguͤltiges Teſtament wieder aus dem Staube hervorziehet, anders, als daß er mit Fleiß den Neid derjenigen, die ſich durch die neue teſtamentliche Verordnung verkuͤrtzt zu ſeyn glau- A 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/11>, abgerufen am 20.04.2024.