Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
an die d. Ges. von Greifswalde.
"Jm Jahr 1740. kam die berühmte schweitzer-
"sche Dichtkunst zum Vorschein. Des Hrn.
"Gottscheds und seines Wercks ward in dersel-
"ben nur sehr wenig gedacht; jedoch geschahe sol-
"ches allemal in ziemlich spöttischen und gehässi-
"gen Ausdrücken."

Jch muß hierbey erinnern,
daß Hr. Prof. Breitinger, wenn anders die ge-
heimen Nachrichten von einer frühern Trennung,
und einem gegen Hrn. Gottsched gefaßten Grol-
len Grund haben sollten, bey diesem Wercke die
beste Gelegenheit gehabt hätte, sich an Hr. Gott-
sched
zu reiben: da hätte er zeigen können, wie
wenig das Gottschedische Werck den Titel einer
critischen Dichtkunst verdienete, und wie nothwen-
dig es demnach wäre, dasjenige erst noch auszu-
führen, was der Titel desselben zwar versprochen
hatte, aber wircklich nicht leisten können. Die
Gottschedischen Poesien, voraus auch diejenigen,
die er seinen Lehrsätzen als Muster beyzufügen stolz
genug gewesen, hätten ihm Materie zu critischen
Untersuchungen vollauf an die Hand gegeben. Er
hätte alle die Fehler, die erst seither von den Schwei-
zern geoffenbaret worden, und noch tausend andere
in diesem Buche vorstellen können: und damit ich
mich durch ein Exempel noch näher erkläre, wo
hätte er bequemere Exempel schlechter Uebersetzun-
gen, um das Capitel von der Kunst zu übersetzen
critisch zu beleuchten, finden können, als an Hrn.
Gottscheds Uebersetzung von Horazens Dicht-
kunst,
oder der deutschen Jphigenia? Alleindie-
ses alles hat Hr. Breitinger bedächtlich unterlas-
sen; er wollte sich weder durch unzeitiges Loben

ver-
an die d. Geſ. von Greifswalde.
„Jm Jahr 1740. kam die beruͤhmte ſchweitzer-
„ſche Dichtkunſt zum Vorſchein. Des Hrn.
„Gottſcheds und ſeines Wercks ward in derſel-
„ben nur ſehr wenig gedacht; jedoch geſchahe ſol-
„ches allemal in ziemlich ſpoͤttiſchen und gehaͤſſi-
„gen Ausdruͤcken.„

Jch muß hierbey erinnern,
daß Hr. Prof. Breitinger, wenn anders die ge-
heimen Nachrichten von einer fruͤhern Trennung,
und einem gegen Hrn. Gottſched gefaßten Grol-
len Grund haben ſollten, bey dieſem Wercke die
beſte Gelegenheit gehabt haͤtte, ſich an Hr. Gott-
ſched
zu reiben: da haͤtte er zeigen koͤnnen, wie
wenig das Gottſchediſche Werck den Titel einer
critiſchen Dichtkunſt verdienete, und wie nothwen-
dig es demnach waͤre, dasjenige erſt noch auszu-
fuͤhren, was der Titel deſſelben zwar verſprochen
hatte, aber wircklich nicht leiſten koͤnnen. Die
Gottſchediſchen Poeſien, voraus auch diejenigen,
die er ſeinen Lehrſaͤtzen als Muſter beyzufuͤgen ſtolz
genug geweſen, haͤtten ihm Materie zu critiſchen
Unterſuchungen vollauf an die Hand gegeben. Er
haͤtte alle die Fehler, die erſt ſeither von den Schwei-
zern geoffenbaret worden, und noch tauſend andere
in dieſem Buche vorſtellen koͤnnen: und damit ich
mich durch ein Exempel noch naͤher erklaͤre, wo
haͤtte er bequemere Exempel ſchlechter Ueberſetzun-
gen, um das Capitel von der Kunſt zu uͤberſetzen
critiſch zu beleuchten, finden koͤnnen, als an Hrn.
Gottſcheds Ueberſetzung von Horazens Dicht-
kunſt,
oder der deutſchen Jphigenia? Alleindie-
ſes alles hat Hr. Breitinger bedaͤchtlich unterlaſ-
ſen; er wollte ſich weder durch unzeitiges Loben

ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0047" n="45"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">an die d. Ge&#x017F;. von Greifswalde.</hi> </fw><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x201E;Jm Jahr 1740. kam die beru&#x0364;hmte &#x017F;chweitzer-<lb/>
&#x201E;&#x017F;che Dichtkun&#x017F;t zum Vor&#x017F;chein. Des Hrn.<lb/>
&#x201E;Gott&#x017F;cheds und &#x017F;eines Wercks ward in der&#x017F;el-<lb/>
&#x201E;ben nur &#x017F;ehr wenig gedacht; jedoch ge&#x017F;chahe &#x017F;ol-<lb/>
&#x201E;ches allemal in ziemlich &#x017F;po&#x0364;tti&#x017F;chen und geha&#x0364;&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
&#x201E;gen Ausdru&#x0364;cken.&#x201E;</quote>
          </cit>
          <p>Jch muß hierbey erinnern,<lb/>
daß Hr. Prof. <hi rendition="#fr">Breitinger,</hi> wenn anders die ge-<lb/>
heimen Nachrichten von einer fru&#x0364;hern Trennung,<lb/>
und einem gegen Hrn. <hi rendition="#fr">Gott&#x017F;ched</hi> gefaßten Grol-<lb/>
len Grund haben &#x017F;ollten, bey die&#x017F;em Wercke die<lb/>
be&#x017F;te Gelegenheit gehabt ha&#x0364;tte, &#x017F;ich an Hr. <hi rendition="#fr">Gott-<lb/>
&#x017F;ched</hi> zu reiben: da ha&#x0364;tte er zeigen ko&#x0364;nnen, wie<lb/>
wenig das Gott&#x017F;chedi&#x017F;che Werck den Titel einer<lb/>
criti&#x017F;chen Dichtkun&#x017F;t verdienete, und wie nothwen-<lb/>
dig es demnach wa&#x0364;re, dasjenige er&#x017F;t noch auszu-<lb/>
fu&#x0364;hren, was der Titel de&#x017F;&#x017F;elben zwar ver&#x017F;prochen<lb/>
hatte, aber wircklich nicht lei&#x017F;ten ko&#x0364;nnen. Die<lb/>
Gott&#x017F;chedi&#x017F;chen Poe&#x017F;ien, voraus auch diejenigen,<lb/>
die er &#x017F;einen Lehr&#x017F;a&#x0364;tzen als Mu&#x017F;ter beyzufu&#x0364;gen &#x017F;tolz<lb/>
genug gewe&#x017F;en, ha&#x0364;tten ihm Materie zu criti&#x017F;chen<lb/>
Unter&#x017F;uchungen vollauf an die Hand gegeben. Er<lb/>
ha&#x0364;tte alle die Fehler, die er&#x017F;t &#x017F;either von den Schwei-<lb/>
zern geoffenbaret worden, und noch tau&#x017F;end andere<lb/>
in die&#x017F;em Buche vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen: und damit ich<lb/>
mich durch ein Exempel noch na&#x0364;her erkla&#x0364;re, wo<lb/>
ha&#x0364;tte er bequemere Exempel &#x017F;chlechter Ueber&#x017F;etzun-<lb/>
gen, um das Capitel von der Kun&#x017F;t zu u&#x0364;ber&#x017F;etzen<lb/>
criti&#x017F;ch zu beleuchten, finden ko&#x0364;nnen, als an Hrn.<lb/><hi rendition="#fr">Gott&#x017F;cheds</hi> Ueber&#x017F;etzung von <hi rendition="#fr">Horazens Dicht-<lb/>
kun&#x017F;t,</hi> oder der deut&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Jphigenia?</hi> Alleindie-<lb/>
&#x017F;es alles hat Hr. <hi rendition="#fr">Breitinger</hi> beda&#x0364;chtlich unterla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en; er wollte &#x017F;ich weder durch unzeitiges Loben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0047] an die d. Geſ. von Greifswalde. „Jm Jahr 1740. kam die beruͤhmte ſchweitzer- „ſche Dichtkunſt zum Vorſchein. Des Hrn. „Gottſcheds und ſeines Wercks ward in derſel- „ben nur ſehr wenig gedacht; jedoch geſchahe ſol- „ches allemal in ziemlich ſpoͤttiſchen und gehaͤſſi- „gen Ausdruͤcken.„ Jch muß hierbey erinnern, daß Hr. Prof. Breitinger, wenn anders die ge- heimen Nachrichten von einer fruͤhern Trennung, und einem gegen Hrn. Gottſched gefaßten Grol- len Grund haben ſollten, bey dieſem Wercke die beſte Gelegenheit gehabt haͤtte, ſich an Hr. Gott- ſched zu reiben: da haͤtte er zeigen koͤnnen, wie wenig das Gottſchediſche Werck den Titel einer critiſchen Dichtkunſt verdienete, und wie nothwen- dig es demnach waͤre, dasjenige erſt noch auszu- fuͤhren, was der Titel deſſelben zwar verſprochen hatte, aber wircklich nicht leiſten koͤnnen. Die Gottſchediſchen Poeſien, voraus auch diejenigen, die er ſeinen Lehrſaͤtzen als Muſter beyzufuͤgen ſtolz genug geweſen, haͤtten ihm Materie zu critiſchen Unterſuchungen vollauf an die Hand gegeben. Er haͤtte alle die Fehler, die erſt ſeither von den Schwei- zern geoffenbaret worden, und noch tauſend andere in dieſem Buche vorſtellen koͤnnen: und damit ich mich durch ein Exempel noch naͤher erklaͤre, wo haͤtte er bequemere Exempel ſchlechter Ueberſetzun- gen, um das Capitel von der Kunſt zu uͤberſetzen critiſch zu beleuchten, finden koͤnnen, als an Hrn. Gottſcheds Ueberſetzung von Horazens Dicht- kunſt, oder der deutſchen Jphigenia? Alleindie- ſes alles hat Hr. Breitinger bedaͤchtlich unterlaſ- ſen; er wollte ſich weder durch unzeitiges Loben ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/47
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/47>, abgerufen am 28.03.2024.