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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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eine poetische Erzehlung.
formieret, oder wann ihr an einen redlichen Freund
sinnen wollet. Mit was vor Schmertzen mangle
ich die Lust, die mir eure Liebe stündlich zu machen
bemühet war. Jch würde ungerecht seyn, Mei-
ne Freunde, wenn ich ohne Ursache unsern Um-
gang getrennet hätte. Jch schien nicht standhaft
zu seyn; aber ich mußte doch einmahl scheiden; be-
dencket, daß wir nicht immer einander umfangen
konnten. Allein ich habe vergebliche Furcht. Jhr
habet selbst, obgleich ungerne, die Nothwendig-
keit meines Scheidens erkennt. Jhr werdet mich
eben sowohl abwesend lieben, als anwesend. Jhr
habet ja selbst meine Abreise besorget, selbst das
Schiff angeordnet, selbst eure getreuesten und er-
fahrensten Knechte mir mitgegeben, die euch den
baldigen Bericht bringen sollten, daß Arion ver-
gnügt bey seinem Periander sey. Ach Periander,
Mein König, Mein Freund, darf ich hoffen,
daß mein Anblick dein grosses Hertz so rühren wer-
de, als mein Abscheid es gethan hat? Hoffen,
daß meine Laute noch fähig sey dich zu ermuntern,
dein sorgenvolles Gemüthe zu erheitern, und zu-
gleich die Schaar deiner Diener freudig zu ma-
chen? Die Ehrfurcht gegen dir allein machet, daß
ich meine neue Geliebte habe verlassen können. Jch
weiß, wie freundlich dein Begrüssen seyn wird,
wie sorgfältig dein Fragen nach meinen Zufällen,
seit dem du mich so ungerne aus deinen Armen weg-
gelassen. Künftig widme ich mich gantz dir allein.
Er ist der Anfang meines Glückes. - - -

Dieses sagte Arion, das aufrichtige Hertz, als
ein Geschrey von vermischten Stimmen, ein na-

hes
E 5

eine poetiſche Erzehlung.
formieret, oder wann ihr an einen redlichen Freund
ſinnen wollet. Mit was vor Schmertzen mangle
ich die Luſt, die mir eure Liebe ſtuͤndlich zu machen
bemuͤhet war. Jch wuͤrde ungerecht ſeyn, Mei-
ne Freunde, wenn ich ohne Urſache unſern Um-
gang getrennet haͤtte. Jch ſchien nicht ſtandhaft
zu ſeyn; aber ich mußte doch einmahl ſcheiden; be-
dencket, daß wir nicht immer einander umfangen
konnten. Allein ich habe vergebliche Furcht. Jhr
habet ſelbſt, obgleich ungerne, die Nothwendig-
keit meines Scheidens erkennt. Jhr werdet mich
eben ſowohl abweſend lieben, als anweſend. Jhr
habet ja ſelbſt meine Abreiſe beſorget, ſelbſt das
Schiff angeordnet, ſelbſt eure getreueſten und er-
fahrenſten Knechte mir mitgegeben, die euch den
baldigen Bericht bringen ſollten, daß Arion ver-
gnuͤgt bey ſeinem Periander ſey. Ach Periander,
Mein Koͤnig, Mein Freund, darf ich hoffen,
daß mein Anblick dein groſſes Hertz ſo ruͤhren wer-
de, als mein Abſcheid es gethan hat? Hoffen,
daß meine Laute noch faͤhig ſey dich zu ermuntern,
dein ſorgenvolles Gemuͤthe zu erheitern, und zu-
gleich die Schaar deiner Diener freudig zu ma-
chen? Die Ehrfurcht gegen dir allein machet, daß
ich meine neue Geliebte habe verlaſſen koͤnnen. Jch
weiß, wie freundlich dein Begruͤſſen ſeyn wird,
wie ſorgfaͤltig dein Fragen nach meinen Zufaͤllen,
ſeit dem du mich ſo ungerne aus deinen Armen weg-
gelaſſen. Kuͤnftig widme ich mich gantz dir allein.
Er iſt der Anfang meines Gluͤckes. ‒ ‒ ‒

Dieſes ſagte Arion, das aufrichtige Hertz, als
ein Geſchrey von vermiſchten Stimmen, ein na-

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[73/0075] eine poetiſche Erzehlung. formieret, oder wann ihr an einen redlichen Freund ſinnen wollet. Mit was vor Schmertzen mangle ich die Luſt, die mir eure Liebe ſtuͤndlich zu machen bemuͤhet war. Jch wuͤrde ungerecht ſeyn, Mei- ne Freunde, wenn ich ohne Urſache unſern Um- gang getrennet haͤtte. Jch ſchien nicht ſtandhaft zu ſeyn; aber ich mußte doch einmahl ſcheiden; be- dencket, daß wir nicht immer einander umfangen konnten. Allein ich habe vergebliche Furcht. Jhr habet ſelbſt, obgleich ungerne, die Nothwendig- keit meines Scheidens erkennt. Jhr werdet mich eben ſowohl abweſend lieben, als anweſend. Jhr habet ja ſelbſt meine Abreiſe beſorget, ſelbſt das Schiff angeordnet, ſelbſt eure getreueſten und er- fahrenſten Knechte mir mitgegeben, die euch den baldigen Bericht bringen ſollten, daß Arion ver- gnuͤgt bey ſeinem Periander ſey. Ach Periander, Mein Koͤnig, Mein Freund, darf ich hoffen, daß mein Anblick dein groſſes Hertz ſo ruͤhren wer- de, als mein Abſcheid es gethan hat? Hoffen, daß meine Laute noch faͤhig ſey dich zu ermuntern, dein ſorgenvolles Gemuͤthe zu erheitern, und zu- gleich die Schaar deiner Diener freudig zu ma- chen? Die Ehrfurcht gegen dir allein machet, daß ich meine neue Geliebte habe verlaſſen koͤnnen. Jch weiß, wie freundlich dein Begruͤſſen ſeyn wird, wie ſorgfaͤltig dein Fragen nach meinen Zufaͤllen, ſeit dem du mich ſo ungerne aus deinen Armen weg- gelaſſen. Kuͤnftig widme ich mich gantz dir allein. Er iſt der Anfang meines Gluͤckes. ‒ ‒ ‒ Dieſes ſagte Arion, das aufrichtige Hertz, als ein Geſchrey von vermiſchten Stimmen, ein na- hes E 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/75>, abgerufen am 29.03.2024.