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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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I. Die Schutzwaffen.

Bevor wir in eine Betrachtung der Wandlungen jener Schutz-
waffe eingehen, welche der Krieger unmittelbar am Körper selbst
getragen hat und die man unter der generellen Bezeichnung Harnisch
zusammenfasst, sehen wir uns veranlasst, einer möglichen irrigen Auf-
fassung zu begegnen, als sei mit den gegebenen Typen namentlich
der älteren Perioden, etwa bis ins 14. Jahrhundert, mehr als ein
nur im allgemeinen orientierendes Beispiel der Tracht gegeben. Je
höher wir in den Zeiten hinaufrücken, in denen zahllose Volksstämme
auf die Weltbühne treten, deren Kulturzustand von verschiedenen
Zentren beeinflusst war, desto mehr müssen wir von einer einheit-
lichen Physiognomie der Kriegstracht absehen. Wenn wir bedenken,
dass die Völker des europäischen Nordens eine in sich abgeschlossene
Kultur mit sich brachten, jene des Ostens in dem Grade und der
Art ihrer Entwickelung die grössten Verschiedenheiten merkbar werden
lassen, dass die Einflüsse des Orients auf den Occident, der Antike
auf die barbarische Welt in tausendfachen Nüancen zu Tage treten, so
kann von einer äusserlichen Uniformität des Menschen in Bezug auf
seine kriegerische Tracht keine Rede sein. Hier ist die Gestalt der
Äusserlichkeit so sehr von dem Grade der Entwickelung der Technik,
den religiösen- und Stammesgewohnheiten, den Ansichten des einzelnen
abhängig, dass jeder der zahllosen Volksstämme zwar einen Haupt-
typus für sich bilden kann, der aber bis zu den einzelnen Individuen
herab millionenmal variiert.

Für die Epoche der Völkerwanderung standen uns bis jetzt nur
spärliche Materialien zu Gebote, um die Tracht des Kriegers beur-
teilen zu können. Originale Stücke sind nur wenige, und diese in
Trümmern auf uns gekommen, und bildliche Darstellungen waren ja
selbst in jener Zeit äusserst selten. Griechische und römische Kunst
waren im Entschlafen, und jene der Barbaren stand noch auf zu ge-
ringer Stufe, und war in dem Wirrsal der Zeit so wenig in Übung,
dass es begreiflich erscheint, wenn uns bis jetzt bildliche Belege nicht
untergekommen sind. Helme, Schildreste, Spiesse, Schwerter, welche
dieser Periode angehörend, in Deutschland, Italien und Frankreich
aus dem Boden gegraben wurden, zeigen merkwürdigerweise mehr
orientalischen Einfluss, als jenen der Antike, und dennoch ist der
letztere zweifelsohne bis ins 8. Jahrhundert, ja noch bis zu den,
Ottonen, in den genannten Ländern in Tracht und Bewaffnung
herrschend gewesen.

Wenn uns gerade für das Ausleben des antiken Einflusses Belege
fehlen, so sind wir anderseits für den orientalischen durch in den
letzten Jahrzehnten gemachte Bildfunde bereichert worden.

Der eine ist eine kleine bronzene Reiterfigur, einen finnländischen
Krieger darstellend, die wenn nicht vor, doch sicher in die Periode
der Völkerwanderung zu reihen ist. Der Reiter trägt den kleinen,
spitzen Helm, der, wie wir sehen, vom Altertum bis in die Neuzeit

I. Die Schutzwaffen.

Bevor wir in eine Betrachtung der Wandlungen jener Schutz-
waffe eingehen, welche der Krieger unmittelbar am Körper selbst
getragen hat und die man unter der generellen Bezeichnung Harnisch
zusammenfaſst, sehen wir uns veranlaſst, einer möglichen irrigen Auf-
fassung zu begegnen, als sei mit den gegebenen Typen namentlich
der älteren Perioden, etwa bis ins 14. Jahrhundert, mehr als ein
nur im allgemeinen orientierendes Beispiel der Tracht gegeben. Je
höher wir in den Zeiten hinaufrücken, in denen zahllose Volksstämme
auf die Weltbühne treten, deren Kulturzustand von verschiedenen
Zentren beeinfluſst war, desto mehr müssen wir von einer einheit-
lichen Physiognomie der Kriegstracht absehen. Wenn wir bedenken,
daſs die Völker des europäischen Nordens eine in sich abgeschlossene
Kultur mit sich brachten, jene des Ostens in dem Grade und der
Art ihrer Entwickelung die gröſsten Verschiedenheiten merkbar werden
lassen, daſs die Einflüsse des Orients auf den Occident, der Antike
auf die barbarische Welt in tausendfachen Nüancen zu Tage treten, so
kann von einer äuſserlichen Uniformität des Menschen in Bezug auf
seine kriegerische Tracht keine Rede sein. Hier ist die Gestalt der
Äuſserlichkeit so sehr von dem Grade der Entwickelung der Technik,
den religiösen- und Stammesgewohnheiten, den Ansichten des einzelnen
abhängig, daſs jeder der zahllosen Volksstämme zwar einen Haupt-
typus für sich bilden kann, der aber bis zu den einzelnen Individuen
herab millionenmal variiert.

Für die Epoche der Völkerwanderung standen uns bis jetzt nur
spärliche Materialien zu Gebote, um die Tracht des Kriegers beur-
teilen zu können. Originale Stücke sind nur wenige, und diese in
Trümmern auf uns gekommen, und bildliche Darstellungen waren ja
selbst in jener Zeit äuſserst selten. Griechische und römische Kunst
waren im Entschlafen, und jene der Barbaren stand noch auf zu ge-
ringer Stufe, und war in dem Wirrsal der Zeit so wenig in Übung,
daſs es begreiflich erscheint, wenn uns bis jetzt bildliche Belege nicht
untergekommen sind. Helme, Schildreste, Spieſse, Schwerter, welche
dieser Periode angehörend, in Deutschland, Italien und Frankreich
aus dem Boden gegraben wurden, zeigen merkwürdigerweise mehr
orientalischen Einfluſs, als jenen der Antike, und dennoch ist der
letztere zweifelsohne bis ins 8. Jahrhundert, ja noch bis zu den,
Ottonen, in den genannten Ländern in Tracht und Bewaffnung
herrschend gewesen.

Wenn uns gerade für das Ausleben des antiken Einflusses Belege
fehlen, so sind wir anderseits für den orientalischen durch in den
letzten Jahrzehnten gemachte Bildfunde bereichert worden.

Der eine ist eine kleine bronzene Reiterfigur, einen finnländischen
Krieger darstellend, die wenn nicht vor, doch sicher in die Periode
der Völkerwanderung zu reihen ist. Der Reiter trägt den kleinen,
spitzen Helm, der, wie wir sehen, vom Altertum bis in die Neuzeit

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[122/0140] I. Die Schutzwaffen. Bevor wir in eine Betrachtung der Wandlungen jener Schutz- waffe eingehen, welche der Krieger unmittelbar am Körper selbst getragen hat und die man unter der generellen Bezeichnung Harnisch zusammenfaſst, sehen wir uns veranlaſst, einer möglichen irrigen Auf- fassung zu begegnen, als sei mit den gegebenen Typen namentlich der älteren Perioden, etwa bis ins 14. Jahrhundert, mehr als ein nur im allgemeinen orientierendes Beispiel der Tracht gegeben. Je höher wir in den Zeiten hinaufrücken, in denen zahllose Volksstämme auf die Weltbühne treten, deren Kulturzustand von verschiedenen Zentren beeinfluſst war, desto mehr müssen wir von einer einheit- lichen Physiognomie der Kriegstracht absehen. Wenn wir bedenken, daſs die Völker des europäischen Nordens eine in sich abgeschlossene Kultur mit sich brachten, jene des Ostens in dem Grade und der Art ihrer Entwickelung die gröſsten Verschiedenheiten merkbar werden lassen, daſs die Einflüsse des Orients auf den Occident, der Antike auf die barbarische Welt in tausendfachen Nüancen zu Tage treten, so kann von einer äuſserlichen Uniformität des Menschen in Bezug auf seine kriegerische Tracht keine Rede sein. Hier ist die Gestalt der Äuſserlichkeit so sehr von dem Grade der Entwickelung der Technik, den religiösen- und Stammesgewohnheiten, den Ansichten des einzelnen abhängig, daſs jeder der zahllosen Volksstämme zwar einen Haupt- typus für sich bilden kann, der aber bis zu den einzelnen Individuen herab millionenmal variiert. Für die Epoche der Völkerwanderung standen uns bis jetzt nur spärliche Materialien zu Gebote, um die Tracht des Kriegers beur- teilen zu können. Originale Stücke sind nur wenige, und diese in Trümmern auf uns gekommen, und bildliche Darstellungen waren ja selbst in jener Zeit äuſserst selten. Griechische und römische Kunst waren im Entschlafen, und jene der Barbaren stand noch auf zu ge- ringer Stufe, und war in dem Wirrsal der Zeit so wenig in Übung, daſs es begreiflich erscheint, wenn uns bis jetzt bildliche Belege nicht untergekommen sind. Helme, Schildreste, Spieſse, Schwerter, welche dieser Periode angehörend, in Deutschland, Italien und Frankreich aus dem Boden gegraben wurden, zeigen merkwürdigerweise mehr orientalischen Einfluſs, als jenen der Antike, und dennoch ist der letztere zweifelsohne bis ins 8. Jahrhundert, ja noch bis zu den, Ottonen, in den genannten Ländern in Tracht und Bewaffnung herrschend gewesen. Wenn uns gerade für das Ausleben des antiken Einflusses Belege fehlen, so sind wir anderseits für den orientalischen durch in den letzten Jahrzehnten gemachte Bildfunde bereichert worden. Der eine ist eine kleine bronzene Reiterfigur, einen finnländischen Krieger darstellend, die wenn nicht vor, doch sicher in die Periode der Völkerwanderung zu reihen ist. Der Reiter trägt den kleinen, spitzen Helm, der, wie wir sehen, vom Altertum bis in die Neuzeit

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/140>, abgerufen am 28.03.2024.