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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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D. Die Fernwaffen. 7. Das Faustrohr und die Pistole.
sitzen schon einen Holzschaft, welcher geradelaufend als ein Fortsatz
des Laufes anzusehen ist und zur Verstärkung dicht mit Nägeln besetzt
wurde. Sie wurden mit der Lunte abgeschossen, was für den Reiter
ungemein schwierig und selbst gefährlich war. Um 1530 erscheinen
in Deutschland die ersten Faustrohre, welche mit der ausgestreckten
Hand abgefeuert werden; ihr erstes Auftreten hatte eine nicht un-
bedeutende Umwandlung in der Bewaffnung des Reisigen zur Folge.
Das Faustrohr erwies sich nämlich als eine ganz vorzügliche Waffe
für den Nahkampf, es machte die Schlagwaffen, wie Kolben, Hämmer
und Streithaken, entbehrlich, weshalb diese auch allgemach aus der
Reiterei verschwanden. Nur in den orientalischen Ländern, in Ungarn,
Polen und Russland etc., deren Bewohner mit ungemeiner Zähigkeit
an den überlieferten kriegerischen Einrichtungen hingen, blieb die
Schlagwaffe noch bis über das 17. Jahrhundert hinaus im Ge-
brauche. In den Heeren Süd- und Westeuropas aber legten die
Führer und Rottmeister ihre Kolben und Hämmer ab, die in letzter
Zeit ohnehin nur noch die Bedeutung von Würdezeichen hatten.
Dafür erhielt nun jeder reisige Mann zwei Faustrohre, welche am
vorderen Sattelbogen in Hulftern geführt wurden. Diese Faustrohre
hatten eine ungleiche Länge, das kürzere, gewöhnlich Fäustling oder
Puffer genannt, war nur für ganz geringe Distanzen brauchbar; es
diente auch nur im Handgemenge, wo es nicht selten auch nach
Entladung den Dienst eines Streitkolbens verrichtete; das längere, das
eigentliche Faustrohr, konnte auf 50--80 Schritte eine ansehnliche
Wirkung ausüben. Bei dieser Waffe erwies sich das Radschloss als
ungemein vorteilhaft, da der Reiter sich zum Abfeuern nur einer
Hand zu bedienen brauchte.

Die ältesten Faustrohre mit Radschlössern bildeten sich, was die
Form des Schaftes betrifft, aus den petrinals heraus; sie haben einen
noch geraden oder nur wenig nach abwärts gesenkten Kolben (Hand-
griff), an dessen Ende eine kugelförmige Verstärkung, die sogenannte
Afterkugel, sich befindet. Gegen 1560 senkt sich der Handgriff
an deutschen Faustrohren immer mehr nach abwärts, so dass
dieser mit der Laufrichtung einen Winkel von 50--60° bildet.
(Fig. 562) Von Spanien aus kamen um 1550 Handgriffformen in
Aufnahme, welche geschweift gebildet und nach rückwärts schmal
zugeschnitten sind. Die Italiener bildeten ihre Formen den Deutschen
ähnlich, nur ist der Handgriff weit länger und schlanker, geradelaufend
und endet mit einer eiförmigen Afterkugel oder mit geschweifter Ver-
stärkung. (Fig. 563.) Ähnliche Formen werden von 1580 an viel-
fach auch in Deutschland und den Niederlanden erzeugt. Ziel-
vorrichtungen finden sich sehr selten, ebenso gezogene Läufe. Sehr
früh begegnet man der Sperrvorrichtung an den Radschlössern. Das
Bestreben, die Arbeit des Landens möglichst zu erleichtern, hatte schon
um 1540 dahin geführt, Faustrohre mit Hinterladeeinrichtung zu

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D. Die Fernwaffen. 7. Das Faustrohr und die Pistole.
sitzen schon einen Holzschaft, welcher geradelaufend als ein Fortsatz
des Laufes anzusehen ist und zur Verstärkung dicht mit Nägeln besetzt
wurde. Sie wurden mit der Lunte abgeschossen, was für den Reiter
ungemein schwierig und selbst gefährlich war. Um 1530 erscheinen
in Deutschland die ersten Faustrohre, welche mit der ausgestreckten
Hand abgefeuert werden; ihr erstes Auftreten hatte eine nicht un-
bedeutende Umwandlung in der Bewaffnung des Reisigen zur Folge.
Das Faustrohr erwies sich nämlich als eine ganz vorzügliche Waffe
für den Nahkampf, es machte die Schlagwaffen, wie Kolben, Hämmer
und Streithaken, entbehrlich, weshalb diese auch allgemach aus der
Reiterei verschwanden. Nur in den orientalischen Ländern, in Ungarn,
Polen und Ruſsland etc., deren Bewohner mit ungemeiner Zähigkeit
an den überlieferten kriegerischen Einrichtungen hingen, blieb die
Schlagwaffe noch bis über das 17. Jahrhundert hinaus im Ge-
brauche. In den Heeren Süd- und Westeuropas aber legten die
Führer und Rottmeister ihre Kolben und Hämmer ab, die in letzter
Zeit ohnehin nur noch die Bedeutung von Würdezeichen hatten.
Dafür erhielt nun jeder reisige Mann zwei Faustrohre, welche am
vorderen Sattelbogen in Hulftern geführt wurden. Diese Faustrohre
hatten eine ungleiche Länge, das kürzere, gewöhnlich Fäustling oder
Puffer genannt, war nur für ganz geringe Distanzen brauchbar; es
diente auch nur im Handgemenge, wo es nicht selten auch nach
Entladung den Dienst eines Streitkolbens verrichtete; das längere, das
eigentliche Faustrohr, konnte auf 50—80 Schritte eine ansehnliche
Wirkung ausüben. Bei dieser Waffe erwies sich das Radschloſs als
ungemein vorteilhaft, da der Reiter sich zum Abfeuern nur einer
Hand zu bedienen brauchte.

Die ältesten Faustrohre mit Radschlössern bildeten sich, was die
Form des Schaftes betrifft, aus den petrinals heraus; sie haben einen
noch geraden oder nur wenig nach abwärts gesenkten Kolben (Hand-
griff), an dessen Ende eine kugelförmige Verstärkung, die sogenannte
Afterkugel, sich befindet. Gegen 1560 senkt sich der Handgriff
an deutschen Faustrohren immer mehr nach abwärts, so daſs
dieser mit der Laufrichtung einen Winkel von 50—60° bildet.
(Fig. 562) Von Spanien aus kamen um 1550 Handgriffformen in
Aufnahme, welche geschweift gebildet und nach rückwärts schmal
zugeschnitten sind. Die Italiener bildeten ihre Formen den Deutschen
ähnlich, nur ist der Handgriff weit länger und schlanker, geradelaufend
und endet mit einer eiförmigen Afterkugel oder mit geschweifter Ver-
stärkung. (Fig. 563.) Ähnliche Formen werden von 1580 an viel-
fach auch in Deutschland und den Niederlanden erzeugt. Ziel-
vorrichtungen finden sich sehr selten, ebenso gezogene Läufe. Sehr
früh begegnet man der Sperrvorrichtung an den Radschlössern. Das
Bestreben, die Arbeit des Landens möglichst zu erleichtern, hatte schon
um 1540 dahin geführt, Faustrohre mit Hinterladeeinrichtung zu

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[483/0501] D. Die Fernwaffen. 7. Das Faustrohr und die Pistole. sitzen schon einen Holzschaft, welcher geradelaufend als ein Fortsatz des Laufes anzusehen ist und zur Verstärkung dicht mit Nägeln besetzt wurde. Sie wurden mit der Lunte abgeschossen, was für den Reiter ungemein schwierig und selbst gefährlich war. Um 1530 erscheinen in Deutschland die ersten Faustrohre, welche mit der ausgestreckten Hand abgefeuert werden; ihr erstes Auftreten hatte eine nicht un- bedeutende Umwandlung in der Bewaffnung des Reisigen zur Folge. Das Faustrohr erwies sich nämlich als eine ganz vorzügliche Waffe für den Nahkampf, es machte die Schlagwaffen, wie Kolben, Hämmer und Streithaken, entbehrlich, weshalb diese auch allgemach aus der Reiterei verschwanden. Nur in den orientalischen Ländern, in Ungarn, Polen und Ruſsland etc., deren Bewohner mit ungemeiner Zähigkeit an den überlieferten kriegerischen Einrichtungen hingen, blieb die Schlagwaffe noch bis über das 17. Jahrhundert hinaus im Ge- brauche. In den Heeren Süd- und Westeuropas aber legten die Führer und Rottmeister ihre Kolben und Hämmer ab, die in letzter Zeit ohnehin nur noch die Bedeutung von Würdezeichen hatten. Dafür erhielt nun jeder reisige Mann zwei Faustrohre, welche am vorderen Sattelbogen in Hulftern geführt wurden. Diese Faustrohre hatten eine ungleiche Länge, das kürzere, gewöhnlich Fäustling oder Puffer genannt, war nur für ganz geringe Distanzen brauchbar; es diente auch nur im Handgemenge, wo es nicht selten auch nach Entladung den Dienst eines Streitkolbens verrichtete; das längere, das eigentliche Faustrohr, konnte auf 50—80 Schritte eine ansehnliche Wirkung ausüben. Bei dieser Waffe erwies sich das Radschloſs als ungemein vorteilhaft, da der Reiter sich zum Abfeuern nur einer Hand zu bedienen brauchte. Die ältesten Faustrohre mit Radschlössern bildeten sich, was die Form des Schaftes betrifft, aus den petrinals heraus; sie haben einen noch geraden oder nur wenig nach abwärts gesenkten Kolben (Hand- griff), an dessen Ende eine kugelförmige Verstärkung, die sogenannte Afterkugel, sich befindet. Gegen 1560 senkt sich der Handgriff an deutschen Faustrohren immer mehr nach abwärts, so daſs dieser mit der Laufrichtung einen Winkel von 50—60° bildet. (Fig. 562) Von Spanien aus kamen um 1550 Handgriffformen in Aufnahme, welche geschweift gebildet und nach rückwärts schmal zugeschnitten sind. Die Italiener bildeten ihre Formen den Deutschen ähnlich, nur ist der Handgriff weit länger und schlanker, geradelaufend und endet mit einer eiförmigen Afterkugel oder mit geschweifter Ver- stärkung. (Fig. 563.) Ähnliche Formen werden von 1580 an viel- fach auch in Deutschland und den Niederlanden erzeugt. Ziel- vorrichtungen finden sich sehr selten, ebenso gezogene Läufe. Sehr früh begegnet man der Sperrvorrichtung an den Radschlössern. Das Bestreben, die Arbeit des Landens möglichst zu erleichtern, hatte schon um 1540 dahin geführt, Faustrohre mit Hinterladeeinrichtung zu 31*

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/501>, abgerufen am 28.03.2024.