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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Ein blaßgelber, schwarzstreifiger Segelfalter schwebt träu¬
merisch ab und zu. Vom Meere ein ganz leiser Wind, leise
und doch groß in dieser Stille, in dieser Höhe, wo alles von
unendlicher Seeweite kommt und zu unendlichen Himmels¬
weiten geht.

Und nun das Meer selbst. Milchig lichtblau in diesem
Mittagsglast, mit fast ganz weißen Windstreifen, gegen die
Hochsee zu völlig in weißen Duft mit dem unendlich zart wei߬
blauen Licht des Horizontes verschwimmend. Nur da, wo die
Sonne darüber steht, eine Glorie von Silber, -- vorne Silber¬
flitterchen, getrennt blitzend im weichen süßen Blau -- viel
ferner draußen ein Riesensee von reinem, leise glimmendem
Silber ohne jedes Blau.

In diese einige Silbermasse mitten hinein zieht jetzt gerade
ein kleines Segelboot. Selbst Silber, bloß einen leisen Ton
undurchsichtiger, schwebt es wie fremdes Licht im Licht, geister¬
haft abgelöst von aller harten Farbenwelt wie der Fliegende
Holländer eines ewigen glitzernden Sonnentraums, der nur auf¬
taucht in solcher Mittagsstunde, wenn der Silberglanz zwischen
Himmel und Ozean fast über die Kraft eines menschlichen
Auges geht .....

Hier laß uns von der Liebe reden.

Kennst du ein altes Buch, aus frühen Tagen des Christen¬
tums: den philosophischen Dialog "Oktavius" des Minucius
Felix? Vielleicht die liebenswürdigste jungchristliche Apologie,
schlicht, ohne Bekehrungseifer. In einer Zeit der Stürme, da
die Erde unter den Waffen des Cäsars bebte und der neue
Glaube vor den Panthern der Arena lag, führt der Philosoph
seine Freunde ans blaue Meer, an den Strand bei Ostia.
Sie lagern sich im weichen Sande, suchen bunte Muscheln und
werfen um die Wette flache Steine, die hüpfend über den
Silberplan des windstillen Spiegels fliehen. In der Stille
dieses einfachen Naturbildes scheint aller Sturm und Staub der
Welt verweht, wie hinter eine unsichtbare Schranke zauberhaft

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Ein blaßgelber, ſchwarzſtreifiger Segelfalter ſchwebt träu¬
meriſch ab und zu. Vom Meere ein ganz leiſer Wind, leiſe
und doch groß in dieſer Stille, in dieſer Höhe, wo alles von
unendlicher Seeweite kommt und zu unendlichen Himmels¬
weiten geht.

Und nun das Meer ſelbſt. Milchig lichtblau in dieſem
Mittagsglaſt, mit faſt ganz weißen Windſtreifen, gegen die
Hochſee zu völlig in weißen Duft mit dem unendlich zart wei߬
blauen Licht des Horizontes verſchwimmend. Nur da, wo die
Sonne darüber ſteht, eine Glorie von Silber, — vorne Silber¬
flitterchen, getrennt blitzend im weichen ſüßen Blau — viel
ferner draußen ein Rieſenſee von reinem, leiſe glimmendem
Silber ohne jedes Blau.

In dieſe einige Silbermaſſe mitten hinein zieht jetzt gerade
ein kleines Segelboot. Selbſt Silber, bloß einen leiſen Ton
undurchſichtiger, ſchwebt es wie fremdes Licht im Licht, geiſter¬
haft abgelöſt von aller harten Farbenwelt wie der Fliegende
Holländer eines ewigen glitzernden Sonnentraums, der nur auf¬
taucht in ſolcher Mittagsſtunde, wenn der Silberglanz zwiſchen
Himmel und Ozean faſt über die Kraft eines menſchlichen
Auges geht .....

Hier laß uns von der Liebe reden.

Kennſt du ein altes Buch, aus frühen Tagen des Chriſten¬
tums: den philoſophiſchen Dialog „Oktavius“ des Minucius
Felix? Vielleicht die liebenswürdigſte jungchriſtliche Apologie,
ſchlicht, ohne Bekehrungseifer. In einer Zeit der Stürme, da
die Erde unter den Waffen des Cäſars bebte und der neue
Glaube vor den Panthern der Arena lag, führt der Philoſoph
ſeine Freunde ans blaue Meer, an den Strand bei Oſtia.
Sie lagern ſich im weichen Sande, ſuchen bunte Muſcheln und
werfen um die Wette flache Steine, die hüpfend über den
Silberplan des windſtillen Spiegels fliehen. In der Stille
dieſes einfachen Naturbildes ſcheint aller Sturm und Staub der
Welt verweht, wie hinter eine unſichtbare Schranke zauberhaft

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[3/0019] Ein blaßgelber, ſchwarzſtreifiger Segelfalter ſchwebt träu¬ meriſch ab und zu. Vom Meere ein ganz leiſer Wind, leiſe und doch groß in dieſer Stille, in dieſer Höhe, wo alles von unendlicher Seeweite kommt und zu unendlichen Himmels¬ weiten geht. Und nun das Meer ſelbſt. Milchig lichtblau in dieſem Mittagsglaſt, mit faſt ganz weißen Windſtreifen, gegen die Hochſee zu völlig in weißen Duft mit dem unendlich zart wei߬ blauen Licht des Horizontes verſchwimmend. Nur da, wo die Sonne darüber ſteht, eine Glorie von Silber, — vorne Silber¬ flitterchen, getrennt blitzend im weichen ſüßen Blau — viel ferner draußen ein Rieſenſee von reinem, leiſe glimmendem Silber ohne jedes Blau. In dieſe einige Silbermaſſe mitten hinein zieht jetzt gerade ein kleines Segelboot. Selbſt Silber, bloß einen leiſen Ton undurchſichtiger, ſchwebt es wie fremdes Licht im Licht, geiſter¬ haft abgelöſt von aller harten Farbenwelt wie der Fliegende Holländer eines ewigen glitzernden Sonnentraums, der nur auf¬ taucht in ſolcher Mittagsſtunde, wenn der Silberglanz zwiſchen Himmel und Ozean faſt über die Kraft eines menſchlichen Auges geht ..... Hier laß uns von der Liebe reden. Kennſt du ein altes Buch, aus frühen Tagen des Chriſten¬ tums: den philoſophiſchen Dialog „Oktavius“ des Minucius Felix? Vielleicht die liebenswürdigſte jungchriſtliche Apologie, ſchlicht, ohne Bekehrungseifer. In einer Zeit der Stürme, da die Erde unter den Waffen des Cäſars bebte und der neue Glaube vor den Panthern der Arena lag, führt der Philoſoph ſeine Freunde ans blaue Meer, an den Strand bei Oſtia. Sie lagern ſich im weichen Sande, ſuchen bunte Muſcheln und werfen um die Wette flache Steine, die hüpfend über den Silberplan des windſtillen Spiegels fliehen. In der Stille dieſes einfachen Naturbildes ſcheint aller Sturm und Staub der Welt verweht, wie hinter eine unſichtbare Schranke zauberhaft 1*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/19>, abgerufen am 28.03.2024.