Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

als sei alles schon ganz nah der Verklärung ins ewige Blau und
schwebe nur noch wie ein zartes silbernes Wölkchen, wie jenes
dort drüben im Glast verzitternde Silberschiff, daran hin .....

Du und ich, -- wir sind ein paar vernünftige Menschen,
nicht wahr, die sich verstehen? Laß uns einen Bund schließen,
daß wir durch kein Gestrüpp und keine noch so tollen Gespenster
uns abschrecken lassen wollen, ein Stück Wahrheitsweg mit¬
einander zu wandern. Vom Blau zum Blau. Was dazwischen
liegt, das wollen wir mit gutem Mut und dem Humor schlichten
Kinderfriedens hinnehmen.

Von der Liebe wollen wir reden.

Von der Liebe im All, so weit wir Menschen von heute
dieses All, mutig und bescheiden zugleich, umfassen. Eine
andere Stunde steht über uns, mit anderen Zeichen, als sie
über jenem alten Minucius Felix stand. Auch er, wenn er
mit den Freunden am Strande von Ostia von seinem Gotte
sprach, dachte an die Liebe dabei. Aber die Liebe war ihm
ein übernatürliches Wunder geworden. Auf Erden, in der ge¬
fallenen, sündigen, gequälten Menschheit schien die eigene Liebe
damals bankerott und tot. Aus einem mystischen Blau jenseits
alles Wirklichen und Bekannten sollte sie erst neu wieder herab¬
gestiegen sein, -- im Gegensatz zur Natur, in Umkehrung ihres
innersten Lebens. Kein Band zwischen hier und dort, die
natürliche Entwickelung Sünde und Verfall, das ganze Licht
allein in jenem mystischen, weltabgekehrten Dämmerblau.

Zweitausend Jahre aber bald wieder -- seitdem! Und in
der Menschheit junger, feuriger Geist, der sich aufwärts ringt, --
Forschung, -- Erkenntnis, -- das Ahnen und Ergreifen der
alten Wirklichkeitswelt als einen neuen Besitz, -- zum erstenmal
mit ganzer Kraft erwacht das Bewußtsein von einer Welt ohne
Vorhang, ohne Riß, ohne mystisches Zweierlei.

Sieh dir das weiße Kirchlein da drüben zwischen den
rabenschwarzen Cypressen an. Das ist die verklungene Zeit,
noch hineinragend in unseren Tag. In dem gelblichen Türmchen

als ſei alles ſchon ganz nah der Verklärung ins ewige Blau und
ſchwebe nur noch wie ein zartes ſilbernes Wölkchen, wie jenes
dort drüben im Glaſt verzitternde Silberſchiff, daran hin .....

Du und ich, — wir ſind ein paar vernünftige Menſchen,
nicht wahr, die ſich verſtehen? Laß uns einen Bund ſchließen,
daß wir durch kein Geſtrüpp und keine noch ſo tollen Geſpenſter
uns abſchrecken laſſen wollen, ein Stück Wahrheitsweg mit¬
einander zu wandern. Vom Blau zum Blau. Was dazwiſchen
liegt, das wollen wir mit gutem Mut und dem Humor ſchlichten
Kinderfriedens hinnehmen.

Von der Liebe wollen wir reden.

Von der Liebe im All, ſo weit wir Menſchen von heute
dieſes All, mutig und beſcheiden zugleich, umfaſſen. Eine
andere Stunde ſteht über uns, mit anderen Zeichen, als ſie
über jenem alten Minucius Felix ſtand. Auch er, wenn er
mit den Freunden am Strande von Oſtia von ſeinem Gotte
ſprach, dachte an die Liebe dabei. Aber die Liebe war ihm
ein übernatürliches Wunder geworden. Auf Erden, in der ge¬
fallenen, ſündigen, gequälten Menſchheit ſchien die eigene Liebe
damals bankerott und tot. Aus einem myſtiſchen Blau jenſeits
alles Wirklichen und Bekannten ſollte ſie erſt neu wieder herab¬
geſtiegen ſein, — im Gegenſatz zur Natur, in Umkehrung ihres
innerſten Lebens. Kein Band zwiſchen hier und dort, die
natürliche Entwickelung Sünde und Verfall, das ganze Licht
allein in jenem myſtiſchen, weltabgekehrten Dämmerblau.

Zweitauſend Jahre aber bald wieder — ſeitdem! Und in
der Menſchheit junger, feuriger Geiſt, der ſich aufwärts ringt, —
Forſchung, — Erkenntnis, — das Ahnen und Ergreifen der
alten Wirklichkeitswelt als einen neuen Beſitz, — zum erſtenmal
mit ganzer Kraft erwacht das Bewußtſein von einer Welt ohne
Vorhang, ohne Riß, ohne myſtiſches Zweierlei.

Sieh dir das weiße Kirchlein da drüben zwiſchen den
rabenſchwarzen Cypreſſen an. Das iſt die verklungene Zeit,
noch hineinragend in unſeren Tag. In dem gelblichen Türmchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="5"/>
als &#x017F;ei alles &#x017F;chon ganz nah der Verklärung ins ewige Blau und<lb/>
&#x017F;chwebe nur noch wie ein zartes &#x017F;ilbernes Wölkchen, wie jenes<lb/>
dort drüben im Gla&#x017F;t verzitternde Silber&#x017F;chiff, daran hin .....</p><lb/>
        <p>Du und ich, &#x2014; wir &#x017F;ind ein paar vernünftige Men&#x017F;chen,<lb/>
nicht wahr, die &#x017F;ich ver&#x017F;tehen? Laß uns einen Bund &#x017F;chließen,<lb/>
daß wir durch kein Ge&#x017F;trüpp und keine noch &#x017F;o tollen Ge&#x017F;pen&#x017F;ter<lb/>
uns ab&#x017F;chrecken la&#x017F;&#x017F;en wollen, ein Stück Wahrheitsweg mit¬<lb/>
einander zu wandern. Vom Blau zum Blau. Was dazwi&#x017F;chen<lb/>
liegt, das wollen wir mit gutem Mut und dem Humor &#x017F;chlichten<lb/>
Kinderfriedens hinnehmen.</p><lb/>
        <p>Von der Liebe wollen wir reden.</p><lb/>
        <p>Von der Liebe im All, &#x017F;o weit wir Men&#x017F;chen von heute<lb/>
die&#x017F;es All, mutig und be&#x017F;cheiden zugleich, umfa&#x017F;&#x017F;en. Eine<lb/>
andere Stunde &#x017F;teht über uns, mit anderen Zeichen, als &#x017F;ie<lb/>
über jenem alten Minucius Felix &#x017F;tand. Auch er, wenn er<lb/>
mit den Freunden am Strande von O&#x017F;tia von &#x017F;einem Gotte<lb/>
&#x017F;prach, dachte an die Liebe dabei. Aber die Liebe war ihm<lb/>
ein übernatürliches Wunder geworden. Auf Erden, in der ge¬<lb/>
fallenen, &#x017F;ündigen, gequälten Men&#x017F;chheit &#x017F;chien die eigene Liebe<lb/>
damals bankerott und tot. Aus einem my&#x017F;ti&#x017F;chen Blau jen&#x017F;eits<lb/>
alles Wirklichen und Bekannten &#x017F;ollte &#x017F;ie er&#x017F;t neu wieder herab¬<lb/>
ge&#x017F;tiegen &#x017F;ein, &#x2014; im Gegen&#x017F;atz zur Natur, in Umkehrung ihres<lb/>
inner&#x017F;ten Lebens. Kein Band zwi&#x017F;chen hier und dort, die<lb/>
natürliche Entwickelung Sünde und Verfall, das ganze Licht<lb/>
allein in jenem my&#x017F;ti&#x017F;chen, weltabgekehrten Dämmerblau.</p><lb/>
        <p>Zweitau&#x017F;end Jahre aber bald wieder &#x2014; &#x017F;eitdem! Und in<lb/>
der Men&#x017F;chheit junger, feuriger Gei&#x017F;t, der &#x017F;ich aufwärts ringt, &#x2014;<lb/>
For&#x017F;chung, &#x2014; Erkenntnis, &#x2014; das Ahnen und Ergreifen der<lb/>
alten Wirklichkeitswelt als einen neuen Be&#x017F;itz, &#x2014; zum er&#x017F;tenmal<lb/>
mit ganzer Kraft erwacht das Bewußt&#x017F;ein von einer Welt ohne<lb/>
Vorhang, ohne Riß, ohne my&#x017F;ti&#x017F;ches Zweierlei.</p><lb/>
        <p>Sieh dir das weiße Kirchlein da drüben zwi&#x017F;chen den<lb/>
raben&#x017F;chwarzen Cypre&#x017F;&#x017F;en an. Das i&#x017F;t die verklungene Zeit,<lb/>
noch hineinragend in un&#x017F;eren Tag. In dem gelblichen Türmchen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0021] als ſei alles ſchon ganz nah der Verklärung ins ewige Blau und ſchwebe nur noch wie ein zartes ſilbernes Wölkchen, wie jenes dort drüben im Glaſt verzitternde Silberſchiff, daran hin ..... Du und ich, — wir ſind ein paar vernünftige Menſchen, nicht wahr, die ſich verſtehen? Laß uns einen Bund ſchließen, daß wir durch kein Geſtrüpp und keine noch ſo tollen Geſpenſter uns abſchrecken laſſen wollen, ein Stück Wahrheitsweg mit¬ einander zu wandern. Vom Blau zum Blau. Was dazwiſchen liegt, das wollen wir mit gutem Mut und dem Humor ſchlichten Kinderfriedens hinnehmen. Von der Liebe wollen wir reden. Von der Liebe im All, ſo weit wir Menſchen von heute dieſes All, mutig und beſcheiden zugleich, umfaſſen. Eine andere Stunde ſteht über uns, mit anderen Zeichen, als ſie über jenem alten Minucius Felix ſtand. Auch er, wenn er mit den Freunden am Strande von Oſtia von ſeinem Gotte ſprach, dachte an die Liebe dabei. Aber die Liebe war ihm ein übernatürliches Wunder geworden. Auf Erden, in der ge¬ fallenen, ſündigen, gequälten Menſchheit ſchien die eigene Liebe damals bankerott und tot. Aus einem myſtiſchen Blau jenſeits alles Wirklichen und Bekannten ſollte ſie erſt neu wieder herab¬ geſtiegen ſein, — im Gegenſatz zur Natur, in Umkehrung ihres innerſten Lebens. Kein Band zwiſchen hier und dort, die natürliche Entwickelung Sünde und Verfall, das ganze Licht allein in jenem myſtiſchen, weltabgekehrten Dämmerblau. Zweitauſend Jahre aber bald wieder — ſeitdem! Und in der Menſchheit junger, feuriger Geiſt, der ſich aufwärts ringt, — Forſchung, — Erkenntnis, — das Ahnen und Ergreifen der alten Wirklichkeitswelt als einen neuen Beſitz, — zum erſtenmal mit ganzer Kraft erwacht das Bewußtſein von einer Welt ohne Vorhang, ohne Riß, ohne myſtiſches Zweierlei. Sieh dir das weiße Kirchlein da drüben zwiſchen den rabenſchwarzen Cypreſſen an. Das iſt die verklungene Zeit, noch hineinragend in unſeren Tag. In dem gelblichen Türmchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/21
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/21>, abgerufen am 19.04.2024.