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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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hinein treiben Millionen und Abermillionen jäh abgelegter
Eier. Auf diese Eier wirkt der freie Samen wie ein goldener
Lebensquell: indem er sie umhüllt, umfängt, förmlich in sich
hineintrinkt, dringt in jede Eizelle eine winzige Samenzelle ein,
verschmilzt mit ihr und vollendet sie zu der eigentlich neuschaffenden
Kraft, die ein neues Wesen aus ihr hervorblühen läßt.

Ein Schauspiel ohnegleichen.

Die Zeugung zu einem Gesamtakt erweitert, unter dessen
Zuckungen, dessen wilden Ergießungen der Ozean schwillt und gärt.
Jedes Individuum gemeinsam schwimmend in der Lebenskraft
von Millionen und gebend und nehmend im allgemeinen Quell.

So malte sich naiver Sinn einst die Schöpfung: daß die
Kraft eines Gottes zu einer hohen Weihestunde unendlichen
Samen alles Lebendigen ausgoß in die tote Öde des Ozeans.
Aus Wolkenhöhen warf Brahma das goldene Ei, das in Gott
befruchtet den farbentrunkenen Schleier des Lebens gebar .....

Aber keine Dichterphantasie konnte das Groteske, die ganze
derbe Ungeheuerlichkeit solchen Aktes ahnen, wie sie die Natur
in die Wirklichkeit dieser Fisch-Orgie legt.

Erhabene, komische und grausige Momente fließen darin
zusammen. Über diesen silbernen Knäuel liebestoller Fische
deren Kraft wie ein Wolkenbruch in unausgesetzten Strömen
niedergeht, über die Millionen funkelnder, zuckend bewegter
Leiber, wollüstig schwänzelnder Flossen und großer regungs¬
loser, wie sehnend bang erstarrter Augen brechen alle Plagen
Ägyptens herein. Sie, die einzeln so federleicht in die Tiefe
entglitten, wahre Seiltänzer ihres Elements, -- als dicht ge¬
keilte, in wildem Liebessturm verkettete Masse sind sie jetzt so
gut wie wehrlos und allem Unheil bloßgestellt. Und das
Unheil ist da. Wilde Räuber nahen in Scharen der großen
Liebesinsel, gelockt schon von weitem durch den hellen Schein,
der in die Nebel wie eine selbst entzündete Hochzeitsfackel glüht.

Ihnen ist dieser meilenlange Brautknäuel nichts anderes als
eine riesige, sehr erwünschte Vorratskammer lebendigen Fleisches.

hinein treiben Millionen und Abermillionen jäh abgelegter
Eier. Auf dieſe Eier wirkt der freie Samen wie ein goldener
Lebensquell: indem er ſie umhüllt, umfängt, förmlich in ſich
hineintrinkt, dringt in jede Eizelle eine winzige Samenzelle ein,
verſchmilzt mit ihr und vollendet ſie zu der eigentlich neuſchaffenden
Kraft, die ein neues Weſen aus ihr hervorblühen läßt.

Ein Schauſpiel ohnegleichen.

Die Zeugung zu einem Geſamtakt erweitert, unter deſſen
Zuckungen, deſſen wilden Ergießungen der Ozean ſchwillt und gärt.
Jedes Individuum gemeinſam ſchwimmend in der Lebenskraft
von Millionen und gebend und nehmend im allgemeinen Quell.

So malte ſich naiver Sinn einſt die Schöpfung: daß die
Kraft eines Gottes zu einer hohen Weiheſtunde unendlichen
Samen alles Lebendigen ausgoß in die tote Öde des Ozeans.
Aus Wolkenhöhen warf Brahma das goldene Ei, das in Gott
befruchtet den farbentrunkenen Schleier des Lebens gebar .....

Aber keine Dichterphantaſie konnte das Groteske, die ganze
derbe Ungeheuerlichkeit ſolchen Aktes ahnen, wie ſie die Natur
in die Wirklichkeit dieſer Fiſch-Orgie legt.

Erhabene, komiſche und grauſige Momente fließen darin
zuſammen. Über dieſen ſilbernen Knäuel liebestoller Fiſche
deren Kraft wie ein Wolkenbruch in unausgeſetzten Strömen
niedergeht, über die Millionen funkelnder, zuckend bewegter
Leiber, wollüſtig ſchwänzelnder Floſſen und großer regungs¬
loſer, wie ſehnend bang erſtarrter Augen brechen alle Plagen
Ägyptens herein. Sie, die einzeln ſo federleicht in die Tiefe
entglitten, wahre Seiltänzer ihres Elements, — als dicht ge¬
keilte, in wildem Liebesſturm verkettete Maſſe ſind ſie jetzt ſo
gut wie wehrlos und allem Unheil bloßgeſtellt. Und das
Unheil iſt da. Wilde Räuber nahen in Scharen der großen
Liebesinſel, gelockt ſchon von weitem durch den hellen Schein,
der in die Nebel wie eine ſelbſt entzündete Hochzeitsfackel glüht.

Ihnen iſt dieſer meilenlange Brautknäuel nichts anderes als
eine rieſige, ſehr erwünſchte Vorratskammer lebendigen Fleiſches.

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[20/0036] hinein treiben Millionen und Abermillionen jäh abgelegter Eier. Auf dieſe Eier wirkt der freie Samen wie ein goldener Lebensquell: indem er ſie umhüllt, umfängt, förmlich in ſich hineintrinkt, dringt in jede Eizelle eine winzige Samenzelle ein, verſchmilzt mit ihr und vollendet ſie zu der eigentlich neuſchaffenden Kraft, die ein neues Weſen aus ihr hervorblühen läßt. Ein Schauſpiel ohnegleichen. Die Zeugung zu einem Geſamtakt erweitert, unter deſſen Zuckungen, deſſen wilden Ergießungen der Ozean ſchwillt und gärt. Jedes Individuum gemeinſam ſchwimmend in der Lebenskraft von Millionen und gebend und nehmend im allgemeinen Quell. So malte ſich naiver Sinn einſt die Schöpfung: daß die Kraft eines Gottes zu einer hohen Weiheſtunde unendlichen Samen alles Lebendigen ausgoß in die tote Öde des Ozeans. Aus Wolkenhöhen warf Brahma das goldene Ei, das in Gott befruchtet den farbentrunkenen Schleier des Lebens gebar ..... Aber keine Dichterphantaſie konnte das Groteske, die ganze derbe Ungeheuerlichkeit ſolchen Aktes ahnen, wie ſie die Natur in die Wirklichkeit dieſer Fiſch-Orgie legt. Erhabene, komiſche und grauſige Momente fließen darin zuſammen. Über dieſen ſilbernen Knäuel liebestoller Fiſche deren Kraft wie ein Wolkenbruch in unausgeſetzten Strömen niedergeht, über die Millionen funkelnder, zuckend bewegter Leiber, wollüſtig ſchwänzelnder Floſſen und großer regungs¬ loſer, wie ſehnend bang erſtarrter Augen brechen alle Plagen Ägyptens herein. Sie, die einzeln ſo federleicht in die Tiefe entglitten, wahre Seiltänzer ihres Elements, — als dicht ge¬ keilte, in wildem Liebesſturm verkettete Maſſe ſind ſie jetzt ſo gut wie wehrlos und allem Unheil bloßgeſtellt. Und das Unheil iſt da. Wilde Räuber nahen in Scharen der großen Liebesinſel, gelockt ſchon von weitem durch den hellen Schein, der in die Nebel wie eine ſelbſt entzündete Hochzeitsfackel glüht. Ihnen iſt dieſer meilenlange Brautknäuel nichts anderes als eine rieſige, ſehr erwünſchte Vorratskammer lebendigen Fleiſches.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/36>, abgerufen am 18.04.2024.