Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Die damaligen Kinder sind seitdem lange Jungen und
Mädchen geworden, meistens treten bejahrte Personen
auf, und die wenigen Kinder spielen zu altklug. Mich
lockte eigentlich ein Stück, von dem man seit einiger
Zeit viel gesprochen, ein buckliges Lustspiel. Es heißt:
Mayeux ou le bossu a la mode. Mayeux
ist eine Pariser Volks-Tradition von einem geistrei¬
chen Buckel, dem man alle mögliche guten Einfälle
aufgebürdet! Ich weiß nicht, ob ein solcher Mayeux
wirklich einmal gelebt, oder ob er blos ein Geschöpf
der Phantasie ist. Aber seit der letzten Revolution
wurde dieser Mayeux wieder aus der Vergessenheit
hervorgerufen, und man legte ihm in Liedern und
Bildern die witzigsten Worte in den Mund. Das
Vaudeville, von welchem hier die Rede, ist mit Geist
und Laune geschrieben; auch haben nicht weniger als
drei dramatische Dichter daran gearbeitet. Mayeux
ist ein kleiner verwachsener Kerl, voll scharfer, doch
gutmüthiger Laune, der im Juli mitgefochten, und
trotz seiner verkrüppelten Gestalt als Grenadier unter
der Nationalgarde dient. Es gehört nun viel Fein¬
heit und Gewandtheit dazu, diesen Charakter und
diese Misgestalt so zu behandeln, daß er Lachen er¬
regt, ohne sich lächerlich zu machen. Davor müsse
man sich hüten; denn das wäre auf die Revolution
und auf die Nationalgarde zurück gefallen. Den Ver¬
fassern ist es gelungen. Aber es wurde bei Comte

Die damaligen Kinder ſind ſeitdem lange Jungen und
Mädchen geworden, meiſtens treten bejahrte Perſonen
auf, und die wenigen Kinder ſpielen zu altklug. Mich
lockte eigentlich ein Stück, von dem man ſeit einiger
Zeit viel geſprochen, ein buckliges Luſtſpiel. Es heißt:
Mayeux ou le bossu à la mode. Mayeux
iſt eine Pariſer Volks-Tradition von einem geiſtrei¬
chen Buckel, dem man alle mögliche guten Einfälle
aufgebürdet! Ich weiß nicht, ob ein ſolcher Mayeux
wirklich einmal gelebt, oder ob er blos ein Geſchöpf
der Phantaſie iſt. Aber ſeit der letzten Revolution
wurde dieſer Mayeux wieder aus der Vergeſſenheit
hervorgerufen, und man legte ihm in Liedern und
Bildern die witzigſten Worte in den Mund. Das
Vaudeville, von welchem hier die Rede, iſt mit Geiſt
und Laune geſchrieben; auch haben nicht weniger als
drei dramatiſche Dichter daran gearbeitet. Mayeux
iſt ein kleiner verwachſener Kerl, voll ſcharfer, doch
gutmüthiger Laune, der im Juli mitgefochten, und
trotz ſeiner verkrüppelten Geſtalt als Grenadier unter
der Nationalgarde dient. Es gehört nun viel Fein¬
heit und Gewandtheit dazu, dieſen Charakter und
dieſe Misgeſtalt ſo zu behandeln, daß er Lachen er¬
regt, ohne ſich lächerlich zu machen. Davor müſſe
man ſich hüten; denn das wäre auf die Revolution
und auf die Nationalgarde zurück gefallen. Den Ver¬
faſſern iſt es gelungen. Aber es wurde bei Comte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="102"/>
Die damaligen Kinder &#x017F;ind &#x017F;eitdem lange Jungen und<lb/>
Mädchen geworden, mei&#x017F;tens treten bejahrte Per&#x017F;onen<lb/>
auf, und die wenigen Kinder &#x017F;pielen zu altklug. Mich<lb/>
lockte eigentlich ein Stück, von dem man &#x017F;eit einiger<lb/>
Zeit viel ge&#x017F;prochen, ein buckliges Lu&#x017F;t&#x017F;piel. Es heißt:<lb/><hi rendition="#aq #g">Mayeux ou le bossu à la mode.</hi> Mayeux<lb/>
i&#x017F;t eine Pari&#x017F;er Volks-Tradition von einem gei&#x017F;trei¬<lb/>
chen Buckel, dem man alle mögliche guten Einfälle<lb/>
aufgebürdet! Ich weiß nicht, ob ein &#x017F;olcher Mayeux<lb/>
wirklich einmal gelebt, oder ob er blos ein Ge&#x017F;chöpf<lb/>
der Phanta&#x017F;ie i&#x017F;t. Aber &#x017F;eit der letzten Revolution<lb/>
wurde die&#x017F;er Mayeux wieder aus der Verge&#x017F;&#x017F;enheit<lb/>
hervorgerufen, und man legte ihm in Liedern und<lb/>
Bildern die witzig&#x017F;ten Worte in den Mund. Das<lb/>
Vaudeville, von welchem hier die Rede, i&#x017F;t mit Gei&#x017F;t<lb/>
und Laune ge&#x017F;chrieben; auch haben nicht weniger als<lb/>
drei dramati&#x017F;che Dichter daran gearbeitet. Mayeux<lb/>
i&#x017F;t ein kleiner verwach&#x017F;ener Kerl, voll &#x017F;charfer, doch<lb/>
gutmüthiger Laune, der im Juli mitgefochten, und<lb/>
trotz &#x017F;einer verkrüppelten Ge&#x017F;talt als Grenadier unter<lb/>
der Nationalgarde dient. Es gehört nun viel Fein¬<lb/>
heit und Gewandtheit dazu, die&#x017F;en Charakter und<lb/>
die&#x017F;e Misge&#x017F;talt &#x017F;o zu behandeln, daß er Lachen er¬<lb/>
regt, ohne &#x017F;ich lächerlich zu machen. Davor mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
man &#x017F;ich hüten; denn das wäre auf die Revolution<lb/>
und auf die Nationalgarde zurück gefallen. Den Ver¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ern i&#x017F;t es gelungen. Aber es wurde bei Comte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0116] Die damaligen Kinder ſind ſeitdem lange Jungen und Mädchen geworden, meiſtens treten bejahrte Perſonen auf, und die wenigen Kinder ſpielen zu altklug. Mich lockte eigentlich ein Stück, von dem man ſeit einiger Zeit viel geſprochen, ein buckliges Luſtſpiel. Es heißt: Mayeux ou le bossu à la mode. Mayeux iſt eine Pariſer Volks-Tradition von einem geiſtrei¬ chen Buckel, dem man alle mögliche guten Einfälle aufgebürdet! Ich weiß nicht, ob ein ſolcher Mayeux wirklich einmal gelebt, oder ob er blos ein Geſchöpf der Phantaſie iſt. Aber ſeit der letzten Revolution wurde dieſer Mayeux wieder aus der Vergeſſenheit hervorgerufen, und man legte ihm in Liedern und Bildern die witzigſten Worte in den Mund. Das Vaudeville, von welchem hier die Rede, iſt mit Geiſt und Laune geſchrieben; auch haben nicht weniger als drei dramatiſche Dichter daran gearbeitet. Mayeux iſt ein kleiner verwachſener Kerl, voll ſcharfer, doch gutmüthiger Laune, der im Juli mitgefochten, und trotz ſeiner verkrüppelten Geſtalt als Grenadier unter der Nationalgarde dient. Es gehört nun viel Fein¬ heit und Gewandtheit dazu, dieſen Charakter und dieſe Misgeſtalt ſo zu behandeln, daß er Lachen er¬ regt, ohne ſich lächerlich zu machen. Davor müſſe man ſich hüten; denn das wäre auf die Revolution und auf die Nationalgarde zurück gefallen. Den Ver¬ faſſern iſt es gelungen. Aber es wurde bei Comte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/116
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/116>, abgerufen am 19.04.2024.