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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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gekommen, holt er dabei so weit aus, als beschreibe
er Sitten und Gebräuche der Hottentotten. Eine
ganze Reisebeschreibung schickt er voraus, erzählt wie
er in früher Jugend -- Jugend hat keine Tugend --
aus Uebermuth und Zufall in das ferne wilde Land
gerathen; kurz, gibt sich die größte Mühe zu er¬
klären und zu entschuldigen, daß er, ein feiner Mann
der großen Welt, einige Male ein grobes Bürger¬
haus besucht. In Paris sind die Straßen Provin¬
zen, und man lernt viel Geographie und Statistik
aus Kocks Romanen. Es gehen an uns vorüber:
un riche passementier de la rue St. Martin --
un riche epicier de la rue aux ours -- un table¬
teier de la rue St
. Denis -- un parfumeur de
la rue St
. Avoie -- mit Weibern, Töchtern, Kin¬
dermädchen, Kommis. Und ihre Sonntags-Partieen
auf das Land und ihre Hochzeiten, ihre Galanterien,
ihre Intriguen. Die Liebe spielt natürlich eine Haupt¬
rolle wie in allen Romanen. Aber es ist keine deut¬
sche Liebe, keine Liebe unseres Lafontaine's, die noch
heißer ist als der Kochbrunnen zu Wiesbaden; son¬
dern es ist eine angenehme warme Liebe, welche die
natürliche Blutwärme des Herzens nie übersteigt.
Monsieur Paul de Kock sagt: "c'est une bien
jolie chose d'aimer et d'etre aime
." -- dabei
kann man sich nicht verbrennen. Und Philosophie
hat er auch, Lebens-Philosophie! Zwar gibt er uns

gekommen, holt er dabei ſo weit aus, als beſchreibe
er Sitten und Gebräuche der Hottentotten. Eine
ganze Reiſebeſchreibung ſchickt er voraus, erzählt wie
er in früher Jugend — Jugend hat keine Tugend —
aus Uebermuth und Zufall in das ferne wilde Land
gerathen; kurz, gibt ſich die größte Mühe zu er¬
klären und zu entſchuldigen, daß er, ein feiner Mann
der großen Welt, einige Male ein grobes Bürger¬
haus beſucht. In Paris ſind die Straßen Provin¬
zen, und man lernt viel Geographie und Statiſtik
aus Kocks Romanen. Es gehen an uns vorüber:
un riche passementier de la rue St. Martin
un riche épicier de la rue aux oursun table¬
tîer de la rue St
. Denisun parfumeur de
la rue St
. Avoie — mit Weibern, Töchtern, Kin¬
dermädchen, Kommis. Und ihre Sonntags-Partieen
auf das Land und ihre Hochzeiten, ihre Galanterien,
ihre Intriguen. Die Liebe ſpielt natürlich eine Haupt¬
rolle wie in allen Romanen. Aber es iſt keine deut¬
ſche Liebe, keine Liebe unſeres Lafontaine's, die noch
heißer iſt als der Kochbrunnen zu Wiesbaden; ſon¬
dern es iſt eine angenehme warme Liebe, welche die
natürliche Blutwärme des Herzens nie überſteigt.
Monsieur Paul de Kock ſagt: „c'est une bien
jolie chose d'aimer et d'être aime
.“ — dabei
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[114/0128] gekommen, holt er dabei ſo weit aus, als beſchreibe er Sitten und Gebräuche der Hottentotten. Eine ganze Reiſebeſchreibung ſchickt er voraus, erzählt wie er in früher Jugend — Jugend hat keine Tugend — aus Uebermuth und Zufall in das ferne wilde Land gerathen; kurz, gibt ſich die größte Mühe zu er¬ klären und zu entſchuldigen, daß er, ein feiner Mann der großen Welt, einige Male ein grobes Bürger¬ haus beſucht. In Paris ſind die Straßen Provin¬ zen, und man lernt viel Geographie und Statiſtik aus Kocks Romanen. Es gehen an uns vorüber: un riche passementier de la rue St. Martin — un riche épicier de la rue aux ours — un table¬ tîer de la rue St. Denis — un parfumeur de la rue St. Avoie — mit Weibern, Töchtern, Kin¬ dermädchen, Kommis. Und ihre Sonntags-Partieen auf das Land und ihre Hochzeiten, ihre Galanterien, ihre Intriguen. Die Liebe ſpielt natürlich eine Haupt¬ rolle wie in allen Romanen. Aber es iſt keine deut¬ ſche Liebe, keine Liebe unſeres Lafontaine's, die noch heißer iſt als der Kochbrunnen zu Wiesbaden; ſon¬ dern es iſt eine angenehme warme Liebe, welche die natürliche Blutwärme des Herzens nie überſteigt. Monsieur Paul de Kock ſagt: „c'est une bien jolie chose d'aimer et d'être aime.“ — dabei kann man ſich nicht verbrennen. Und Philoſophie hat er auch, Lebens-Philoſophie! Zwar gibt er uns

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/128>, abgerufen am 28.03.2024.