Tag. Es ist krank darüber zu werden vor Neid. Wie ein Komet, der sich keiner bürgerlichen Ordnung der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne Abschied, und wollte lieber einsam seyn als ein Knecht der Freundschaft. Nie berührte er die trockene Erde; zwischen Sturm und Schiffbruch steuerte er muthig hin und der Tod war der erste Hafen, den er sah. Wie wurde er umhergeschleudert, aber welche selige Insel hat er auch entdeckt, wohin stiller Wind und der bedächtige Compaß niemals führen! Das ist die königliche Natur. Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und gibt -- das thut jeder Unterthan auch -- König ist wer seinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute sagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre alt geworden; er hat tausend Jahre gelebt. Und wenn sie ihn bedauern, daß er so melancholisch ge¬ wesen! Ist es Gott nicht auch? Melancholie ist die Freudigkeit Gottes. Kann man froh seyn wenn man liebt? Byron haßte die Menschen, weil er die Menschheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte. Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz ist das Glück der Seligen. Am meisten lebt, wer am mei¬ sten leidet. Keiner ist glücklich, an den Gott nicht denkt, ist es nicht in Liebe, sei es in Zorn; nur
Tag. Es iſt krank darüber zu werden vor Neid. Wie ein Komet, der ſich keiner bürgerlichen Ordnung der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne Abſchied, und wollte lieber einſam ſeyn als ein Knecht der Freundſchaft. Nie berührte er die trockene Erde; zwiſchen Sturm und Schiffbruch ſteuerte er muthig hin und der Tod war der erſte Hafen, den er ſah. Wie wurde er umhergeſchleudert, aber welche ſelige Inſel hat er auch entdeckt, wohin ſtiller Wind und der bedächtige Compaß niemals führen! Das iſt die königliche Natur. Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und gibt — das thut jeder Unterthan auch — König iſt wer ſeinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute ſagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre alt geworden; er hat tauſend Jahre gelebt. Und wenn ſie ihn bedauern, daß er ſo melancholiſch ge¬ weſen! Iſt es Gott nicht auch? Melancholie iſt die Freudigkeit Gottes. Kann man froh ſeyn wenn man liebt? Byron haßte die Menſchen, weil er die Menſchheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte. Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz iſt das Glück der Seligen. Am meiſten lebt, wer am mei¬ ſten leidet. Keiner iſt glücklich, an den Gott nicht denkt, iſt es nicht in Liebe, ſei es in Zorn; nur
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Tag. Es iſt krank darüber zu werden vor Neid.
Wie ein Komet, der ſich keiner bürgerlichen Ordnung
der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei
durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne
Abſchied, und wollte lieber einſam ſeyn als ein Knecht
der Freundſchaft. Nie berührte er die trockene Erde;
zwiſchen Sturm und Schiffbruch ſteuerte er muthig
hin und der Tod war der erſte Hafen, den er ſah. Wie
wurde er umhergeſchleudert, aber welche ſelige Inſel hat
er auch entdeckt, wohin ſtiller Wind und der bedächtige
Compaß niemals führen! Das iſt die königliche Natur.
Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und
gibt — das thut jeder Unterthan auch — König iſt wer
ſeinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute
ſagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre
alt geworden; er hat tauſend Jahre gelebt. Und
wenn ſie ihn bedauern, daß er ſo melancholiſch ge¬
weſen! Iſt es Gott nicht auch? Melancholie iſt
die Freudigkeit Gottes. Kann man froh ſeyn wenn
man liebt? Byron haßte die Menſchen, weil er die
Menſchheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte.
Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz iſt das
Glück der Seligen. Am meiſten lebt, wer am mei¬
ſten leidet. Keiner iſt glücklich, an den Gott nicht
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/192>, abgerufen am 17.04.2024.
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