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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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rüchen und alle Betäubungen der mannigfachen Blu¬
men. Dieses Weinen, dieses Weinen ohne Thränen,
habe ich nie gesehen, möchte ich nie sehen im Leben.
Als ihre Thränen zu fließen anfingen, war mir die
Brust wie erleichtert. Hat die Liebe so viel süße
Schmeichelei, kann der Schmerz so edel seyn, durch¬
bohrt Verachtung so tief, kann der Zorn so erhaben,
der Schrecken so erschrecklich, die Bitte so rührend
seyn? Ich wußte das Alles nicht. Fragen Sie
mich: hat sie das gesprochen, gesungen, mit Geber¬
den so dargestellt? Ich weiß es nicht. Es war
Alles verschmolzen. Sie sang nicht blos mit dem
Munde, alle Glieder ihres Körpers sangen. Die
Töne sprühten wie Funken aus ihren Augen, aus
ihren Fingern hervor, sie flossen von ihren Haaren
herab. Sie sang noch, wenn sie schwieg. Ich habe
mich für unverbrennlich gehalten und habe erfahren,
daß ich es nicht bin; ich will künftig auf Feuer und
Licht mehr Acht geben.

Im dritten Akte hätte ich es nicht länger aus¬
halten können, stände nicht zum Glücke ein kleiner
Hanswurst hinter meinem Herzen auf beständiger
Lauer, der immer mit seinen Späßen hervortritt, so¬
bald das Herz zu betrübt und ernst wird. Als die
Scene kam, wo Othello Desdemonen den Tod
ankündigt, und diese, ehe sie niedersank und sich dem

rüchen und alle Betäubungen der mannigfachen Blu¬
men. Dieſes Weinen, dieſes Weinen ohne Thränen,
habe ich nie geſehen, möchte ich nie ſehen im Leben.
Als ihre Thränen zu fließen anfingen, war mir die
Bruſt wie erleichtert. Hat die Liebe ſo viel ſüße
Schmeichelei, kann der Schmerz ſo edel ſeyn, durch¬
bohrt Verachtung ſo tief, kann der Zorn ſo erhaben,
der Schrecken ſo erſchrecklich, die Bitte ſo rührend
ſeyn? Ich wußte das Alles nicht. Fragen Sie
mich: hat ſie das geſprochen, geſungen, mit Geber¬
den ſo dargeſtellt? Ich weiß es nicht. Es war
Alles verſchmolzen. Sie ſang nicht blos mit dem
Munde, alle Glieder ihres Körpers ſangen. Die
Töne ſprühten wie Funken aus ihren Augen, aus
ihren Fingern hervor, ſie floſſen von ihren Haaren
herab. Sie ſang noch, wenn ſie ſchwieg. Ich habe
mich für unverbrennlich gehalten und habe erfahren,
daß ich es nicht bin; ich will künftig auf Feuer und
Licht mehr Acht geben.

Im dritten Akte hätte ich es nicht länger aus¬
halten können, ſtände nicht zum Glücke ein kleiner
Hanswurſt hinter meinem Herzen auf beſtändiger
Lauer, der immer mit ſeinen Späßen hervortritt, ſo¬
bald das Herz zu betrübt und ernſt wird. Als die
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[6/0020] rüchen und alle Betäubungen der mannigfachen Blu¬ men. Dieſes Weinen, dieſes Weinen ohne Thränen, habe ich nie geſehen, möchte ich nie ſehen im Leben. Als ihre Thränen zu fließen anfingen, war mir die Bruſt wie erleichtert. Hat die Liebe ſo viel ſüße Schmeichelei, kann der Schmerz ſo edel ſeyn, durch¬ bohrt Verachtung ſo tief, kann der Zorn ſo erhaben, der Schrecken ſo erſchrecklich, die Bitte ſo rührend ſeyn? Ich wußte das Alles nicht. Fragen Sie mich: hat ſie das geſprochen, geſungen, mit Geber¬ den ſo dargeſtellt? Ich weiß es nicht. Es war Alles verſchmolzen. Sie ſang nicht blos mit dem Munde, alle Glieder ihres Körpers ſangen. Die Töne ſprühten wie Funken aus ihren Augen, aus ihren Fingern hervor, ſie floſſen von ihren Haaren herab. Sie ſang noch, wenn ſie ſchwieg. Ich habe mich für unverbrennlich gehalten und habe erfahren, daß ich es nicht bin; ich will künftig auf Feuer und Licht mehr Acht geben. Im dritten Akte hätte ich es nicht länger aus¬ halten können, ſtände nicht zum Glücke ein kleiner Hanswurſt hinter meinem Herzen auf beſtändiger Lauer, der immer mit ſeinen Späßen hervortritt, ſo¬ bald das Herz zu betrübt und ernſt wird. Als die Scene kam, wo Othello Desdemonen den Tod ankündigt, und dieſe, ehe ſie niederſank und ſich dem

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/20>, abgerufen am 29.03.2024.