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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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das wäre dumm. Hier ist man im Mittelpunkte,
Europa hat die Augen auf Paris gerichtet, man sie¬
het den Begebenheiten in das Angesicht, und kann in
deren Mienen lesen, was sie etwa verschweigen
möchten. In Deutschland aber stehen wir in dem
Rücken der Begebenheiten und wir werden nichts
erfahren, als was sie uns über die Schultern weg
zurufen. Und was theilen sie uns mit? Nur un¬
verschämte Lügen. Wenn der Krieg ausbricht, wird
man den deutschen Zeitungen, die ohnedies nur un¬
verständlich gestammelt, aus Vorsicht gar die Zunge
aus dem Halse schneiden. Es kann kommen, daß
der Feind nur eine Stunde von unseren Thoren
stehet und wir erfahren es nicht, bis er uns mit
Einquartirungszetteln in die Stube kommt. Die
französischen Blätter, wenn auch der Krieg die Po¬
sten nicht unterbricht, werden gewiß zurückgehalten
werden. Sie können sich denken, wie mir in solcher
Dunkelheit zu Muthe seyn wird. Und was haben
wir in Deutschland, für wen auch der Krieg günstig
ausfalle, zu erwarten? Das schöne Glück, entweder
den Zwerg Diebitsch mit seinen Kosaken zu beher¬
bergen, oder französische Offiziere, die, kämen sie
auch anfänglich mit den besten Gesinnungen für Recht
und Freiheit zu uns, durch deutsche bürgerliche Feig¬

das wäre dumm. Hier iſt man im Mittelpunkte,
Europa hat die Augen auf Paris gerichtet, man ſie¬
het den Begebenheiten in das Angeſicht, und kann in
deren Mienen leſen, was ſie etwa verſchweigen
möchten. In Deutſchland aber ſtehen wir in dem
Rücken der Begebenheiten und wir werden nichts
erfahren, als was ſie uns über die Schultern weg
zurufen. Und was theilen ſie uns mit? Nur un¬
verſchämte Lügen. Wenn der Krieg ausbricht, wird
man den deutſchen Zeitungen, die ohnedies nur un¬
verſtändlich geſtammelt, aus Vorſicht gar die Zunge
aus dem Halſe ſchneiden. Es kann kommen, daß
der Feind nur eine Stunde von unſeren Thoren
ſtehet und wir erfahren es nicht, bis er uns mit
Einquartirungszetteln in die Stube kommt. Die
franzöſiſchen Blätter, wenn auch der Krieg die Po¬
ſten nicht unterbricht, werden gewiß zurückgehalten
werden. Sie können ſich denken, wie mir in ſolcher
Dunkelheit zu Muthe ſeyn wird. Und was haben
wir in Deutſchland, für wen auch der Krieg günſtig
ausfalle, zu erwarten? Das ſchöne Glück, entweder
den Zwerg Diebitſch mit ſeinen Koſaken zu beher¬
bergen, oder franzöſiſche Offiziere, die, kämen ſie
auch anfänglich mit den beſten Geſinnungen für Recht
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[192/0206] das wäre dumm. Hier iſt man im Mittelpunkte, Europa hat die Augen auf Paris gerichtet, man ſie¬ het den Begebenheiten in das Angeſicht, und kann in deren Mienen leſen, was ſie etwa verſchweigen möchten. In Deutſchland aber ſtehen wir in dem Rücken der Begebenheiten und wir werden nichts erfahren, als was ſie uns über die Schultern weg zurufen. Und was theilen ſie uns mit? Nur un¬ verſchämte Lügen. Wenn der Krieg ausbricht, wird man den deutſchen Zeitungen, die ohnedies nur un¬ verſtändlich geſtammelt, aus Vorſicht gar die Zunge aus dem Halſe ſchneiden. Es kann kommen, daß der Feind nur eine Stunde von unſeren Thoren ſtehet und wir erfahren es nicht, bis er uns mit Einquartirungszetteln in die Stube kommt. Die franzöſiſchen Blätter, wenn auch der Krieg die Po¬ ſten nicht unterbricht, werden gewiß zurückgehalten werden. Sie können ſich denken, wie mir in ſolcher Dunkelheit zu Muthe ſeyn wird. Und was haben wir in Deutſchland, für wen auch der Krieg günſtig ausfalle, zu erwarten? Das ſchöne Glück, entweder den Zwerg Diebitſch mit ſeinen Koſaken zu beher¬ bergen, oder franzöſiſche Offiziere, die, kämen ſie auch anfänglich mit den beſten Geſinnungen für Recht und Freiheit zu uns, durch deutſche bürgerliche Feig¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/206>, abgerufen am 20.04.2024.