Fahne hinzupflanzen. Es gibt nichts Theatralische¬ res als diese Stellung, und doch hat sie der Maler gewiß nur nachgeahmt, nicht erfunden. Darin haben es die Franzosen gut, daß sie vermögen mit jeder Großthat im weiten Felde zugleich das Drama zu dichten, das jene Großthat im engen Felde darstellt. Sie sind zugleich Helden und Schauspieler. Man siehet es ganz deutlich an diesem Jünglinge mit der Fahne, wie er seiner Kühnheit und seiner theatrali¬ schen Stellung zugleich froh war. Noch eine andere schöne Gruppe zeichnete sich aus. Ein Mann aus dem Volke, Brust und Schultern nackt, kniet auf die Erde, in dem rechten Arm einen verwundeten hin¬ sinkenden Knaben haltend, die linke Faust gegen die hintenstehenden Soldaten ballend, die den Knaben wohl eben getroffen. An der Schwelle eines Hau¬ ses liegt die Leiche eines Frauenzimmers. Daß mit¬ ten im Kugelregen mehrere Frauenzimmer uner¬ schrocken weilen, um den Verwundeten beizustehen, hat mich weniger gewundert, (sie trieb das Mitleid) als daß andere ohne Furcht zu den Fenstern hinaus sehen. Im Hintergrunde, am Wasser, stehen die königlichen Soldaten. Jenseits schießen die Studen¬ ten herüber. Ich habe unter den Kämpfern wieder gute Röcke gesucht, vornehme und reiche Leute, die mehrere hundert Franken Steuern zahlen und Wäh¬
Fahne hinzupflanzen. Es gibt nichts Theatraliſche¬ res als dieſe Stellung, und doch hat ſie der Maler gewiß nur nachgeahmt, nicht erfunden. Darin haben es die Franzoſen gut, daß ſie vermögen mit jeder Großthat im weiten Felde zugleich das Drama zu dichten, das jene Großthat im engen Felde darſtellt. Sie ſind zugleich Helden und Schauſpieler. Man ſiehet es ganz deutlich an dieſem Jünglinge mit der Fahne, wie er ſeiner Kühnheit und ſeiner theatrali¬ ſchen Stellung zugleich froh war. Noch eine andere ſchöne Gruppe zeichnete ſich aus. Ein Mann aus dem Volke, Bruſt und Schultern nackt, kniet auf die Erde, in dem rechten Arm einen verwundeten hin¬ ſinkenden Knaben haltend, die linke Fauſt gegen die hintenſtehenden Soldaten ballend, die den Knaben wohl eben getroffen. An der Schwelle eines Hau¬ ſes liegt die Leiche eines Frauenzimmers. Daß mit¬ ten im Kugelregen mehrere Frauenzimmer uner¬ ſchrocken weilen, um den Verwundeten beizuſtehen, hat mich weniger gewundert, (ſie trieb das Mitleid) als daß andere ohne Furcht zu den Fenſtern hinaus ſehen. Im Hintergrunde, am Waſſer, ſtehen die königlichen Soldaten. Jenſeits ſchießen die Studen¬ ten herüber. Ich habe unter den Kämpfern wieder gute Röcke geſucht, vornehme und reiche Leute, die mehrere hundert Franken Steuern zahlen und Wäh¬
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Fahne hinzupflanzen. Es gibt nichts Theatraliſche¬
res als dieſe Stellung, und doch hat ſie der Maler
gewiß nur nachgeahmt, nicht erfunden. Darin haben
es die Franzoſen gut, daß ſie vermögen mit jeder
Großthat im weiten Felde zugleich das Drama zu
dichten, das jene Großthat im engen Felde darſtellt.
Sie ſind zugleich Helden und Schauſpieler. Man
ſiehet es ganz deutlich an dieſem Jünglinge mit der
Fahne, wie er ſeiner Kühnheit und ſeiner theatrali¬
ſchen Stellung zugleich froh war. Noch eine andere
ſchöne Gruppe zeichnete ſich aus. Ein Mann aus
dem Volke, Bruſt und Schultern nackt, kniet auf die
Erde, in dem rechten Arm einen verwundeten hin¬
ſinkenden Knaben haltend, die linke Fauſt gegen die
hintenſtehenden Soldaten ballend, die den Knaben
wohl eben getroffen. An der Schwelle eines Hau¬
ſes liegt die Leiche eines Frauenzimmers. Daß mit¬
ten im Kugelregen mehrere Frauenzimmer uner¬
ſchrocken weilen, um den Verwundeten beizuſtehen,
hat mich weniger gewundert, (ſie trieb das Mitleid)
als daß andere ohne Furcht zu den Fenſtern hinaus
ſehen. Im Hintergrunde, am Waſſer, ſtehen die
königlichen Soldaten. Jenſeits ſchießen die Studen¬
ten herüber. Ich habe unter den Kämpfern wieder
gute Röcke geſucht, vornehme und reiche Leute, die
mehrere hundert Franken Steuern zahlen und Wäh¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/30>, abgerufen am 20.04.2024.
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