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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

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Kopf; und dann hat Oldenburg eine Constitution,
so gut und so schön wie eine. O Oldenburger!
Oldenburger!

Neue Ideen wollen sie auch von mir haben!
Ein anderer Narr hat erzählt, er habe in meinem
Buche nicht eine, nicht eine einzige neue Idee ge¬
funden. Spannet alle Euere Professoren auf die
Folter, und wenn sie Euch beim dritten Grade eine
neue Idee bekennen, dann hat ihnen der Schmerz die
Lüge abgepreßt, die sie widerrufen, sobald Ihr sie
von ihrer Qual befreit. -- Schweigt! Ihr wißt
nicht, wie man Völker erzieht. Ich verstehe es bes¬
ser. Ein Volk ist ein Kind! Habt Ihr einen hoff¬
nungsvollen Knaben, geschmückt mit allen Vorzügen
des Körpers, ausgestattet mit allen Gaben des Her¬
zens und des Geistes; aber eine unheilbare Schwäche,
eine schlimme Angewohnheit verunziert des Knaben
gute Natur, oder für einen gemeinen Fehler hat er
Strafe verdient -- werdet Ihr, wie folgt, mit ihm
reden? "Komm her Junge, küsse mich. Du bist
ein herrliches Kind, meine Freude und mein Stolz;
deine Mutter lobt dich, deine Lehrer rühmen dich,
deine Kameraden bewundern dich. Und jetzt hast du
eine Ohrfeige, denn du warst unartig gewesen. Und
jetzt küsse mich wieder, theures Kind!" Nein, so han¬
delt Ihr, so redet Ihr nicht, so thöricht seyd Ihr
nicht. Ihr gebt dem Knaben eine Ohrfeige und von

Kopf; und dann hat Oldenburg eine Conſtitution,
ſo gut und ſo ſchön wie eine. O Oldenburger!
Oldenburger!

Neue Ideen wollen ſie auch von mir haben!
Ein anderer Narr hat erzählt, er habe in meinem
Buche nicht eine, nicht eine einzige neue Idee ge¬
funden. Spannet alle Euere Profeſſoren auf die
Folter, und wenn ſie Euch beim dritten Grade eine
neue Idee bekennen, dann hat ihnen der Schmerz die
Lüge abgepreßt, die ſie widerrufen, ſobald Ihr ſie
von ihrer Qual befreit. — Schweigt! Ihr wißt
nicht, wie man Völker erzieht. Ich verſtehe es beſ¬
ſer. Ein Volk iſt ein Kind! Habt Ihr einen hoff¬
nungsvollen Knaben, geſchmückt mit allen Vorzügen
des Körpers, ausgeſtattet mit allen Gaben des Her¬
zens und des Geiſtes; aber eine unheilbare Schwäche,
eine ſchlimme Angewohnheit verunziert des Knaben
gute Natur, oder für einen gemeinen Fehler hat er
Strafe verdient — werdet Ihr, wie folgt, mit ihm
reden? „Komm her Junge, küſſe mich. Du biſt
ein herrliches Kind, meine Freude und mein Stolz;
deine Mutter lobt dich, deine Lehrer rühmen dich,
deine Kameraden bewundern dich. Und jetzt haſt du
eine Ohrfeige, denn du warſt unartig geweſen. Und
jetzt küſſe mich wieder, theures Kind!“ Nein, ſo han¬
delt Ihr, ſo redet Ihr nicht, ſo thöricht ſeyd Ihr
nicht. Ihr gebt dem Knaben eine Ohrfeige und von

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[148/0162] Kopf; und dann hat Oldenburg eine Conſtitution, ſo gut und ſo ſchön wie eine. O Oldenburger! Oldenburger! Neue Ideen wollen ſie auch von mir haben! Ein anderer Narr hat erzählt, er habe in meinem Buche nicht eine, nicht eine einzige neue Idee ge¬ funden. Spannet alle Euere Profeſſoren auf die Folter, und wenn ſie Euch beim dritten Grade eine neue Idee bekennen, dann hat ihnen der Schmerz die Lüge abgepreßt, die ſie widerrufen, ſobald Ihr ſie von ihrer Qual befreit. — Schweigt! Ihr wißt nicht, wie man Völker erzieht. Ich verſtehe es beſ¬ ſer. Ein Volk iſt ein Kind! Habt Ihr einen hoff¬ nungsvollen Knaben, geſchmückt mit allen Vorzügen des Körpers, ausgeſtattet mit allen Gaben des Her¬ zens und des Geiſtes; aber eine unheilbare Schwäche, eine ſchlimme Angewohnheit verunziert des Knaben gute Natur, oder für einen gemeinen Fehler hat er Strafe verdient — werdet Ihr, wie folgt, mit ihm reden? „Komm her Junge, küſſe mich. Du biſt ein herrliches Kind, meine Freude und mein Stolz; deine Mutter lobt dich, deine Lehrer rühmen dich, deine Kameraden bewundern dich. Und jetzt haſt du eine Ohrfeige, denn du warſt unartig geweſen. Und jetzt küſſe mich wieder, theures Kind!“ Nein, ſo han¬ delt Ihr, ſo redet Ihr nicht, ſo thöricht ſeyd Ihr nicht. Ihr gebt dem Knaben eine Ohrfeige und von

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/162>, abgerufen am 25.04.2024.