Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

ben dem Absolutismus dienen; nein, Herz und Glau¬
ben sind der Tyrannei verhaßt, auch wenn sie ihr
dienen. Man will freigesinnte, aber gottvergessene
Menschen, die ein Gewissen zu verkaufen, die eine
ursprünglich gute Gesinnung dem Teufel zu verschrei¬
ben haben. Die sucht man, die belohnt man am be¬
sten. Die kann man dem Volke zur Verführung
aufstellen, als hohnlächelnde Beweise vorzeigen, daß
Tugend nichts ist und Ehre eine Waare. So ver¬
knechtet, so entadelt man die Menschheit, daß sie
Gott selbst nicht mehr erkennt und sie der Gewalt der
Tyrannei überläßt.


Heute bin ich ganz vergnügt, daß ich gestern
keinen Brief bekommen. Dafür bekomme ich ihn
heute, oder jeder Funke der Menschlichkeit müßte in
Ihnen erloschen seyn. Haben Sie meine erschüttern¬
den Ermahnungen vom Neujahrstage schon vergessen?
Warten Sie nur, dann schreibe ich Ihnen wieder
einen Brief, der Ihnen das Herz in tausend kleine
Stücke brechen soll.

Den gestrigen Abend brachte ich in einer Soi¬
ree St. Simonienne
zu, bis gegen Mitternacht.
Es ist eine wöchentliche Zusammenkunft, die, wie
jede Andere, der geselligen Unterhaltung gewidmet ist,
und keine besondere religiöse oder doctrinaire Bestim¬

ben dem Abſolutismus dienen; nein, Herz und Glau¬
ben ſind der Tyrannei verhaßt, auch wenn ſie ihr
dienen. Man will freigeſinnte, aber gottvergeſſene
Menſchen, die ein Gewiſſen zu verkaufen, die eine
urſprünglich gute Geſinnung dem Teufel zu verſchrei¬
ben haben. Die ſucht man, die belohnt man am be¬
ſten. Die kann man dem Volke zur Verführung
aufſtellen, als hohnlächelnde Beweiſe vorzeigen, daß
Tugend nichts iſt und Ehre eine Waare. So ver¬
knechtet, ſo entadelt man die Menſchheit, daß ſie
Gott ſelbſt nicht mehr erkennt und ſie der Gewalt der
Tyrannei überläßt.


Heute bin ich ganz vergnügt, daß ich geſtern
keinen Brief bekommen. Dafür bekomme ich ihn
heute, oder jeder Funke der Menſchlichkeit müßte in
Ihnen erloſchen ſeyn. Haben Sie meine erſchüttern¬
den Ermahnungen vom Neujahrstage ſchon vergeſſen?
Warten Sie nur, dann ſchreibe ich Ihnen wieder
einen Brief, der Ihnen das Herz in tauſend kleine
Stücke brechen ſoll.

Den geſtrigen Abend brachte ich in einer Soi¬
rée St. Simonienne
zu, bis gegen Mitternacht.
Es iſt eine wöchentliche Zuſammenkunft, die, wie
jede Andere, der geſelligen Unterhaltung gewidmet iſt,
und keine beſondere religiöſe oder doctrinaire Beſtim¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0166" n="152"/>
ben dem Ab&#x017F;olutismus dienen; nein, Herz und Glau¬<lb/>
ben &#x017F;ind der Tyrannei verhaßt, auch wenn &#x017F;ie ihr<lb/>
dienen. Man will freige&#x017F;innte, aber gottverge&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
Men&#x017F;chen, die ein Gewi&#x017F;&#x017F;en zu verkaufen, die eine<lb/>
ur&#x017F;prünglich gute Ge&#x017F;innung dem Teufel zu ver&#x017F;chrei¬<lb/>
ben haben. Die &#x017F;ucht man, die belohnt man am be¬<lb/>
&#x017F;ten. Die kann man dem Volke zur Verführung<lb/>
auf&#x017F;tellen, als hohnlächelnde Bewei&#x017F;e vorzeigen, daß<lb/>
Tugend nichts i&#x017F;t und Ehre eine Waare. So ver¬<lb/>
knechtet, &#x017F;o entadelt man die Men&#x017F;chheit, daß &#x017F;ie<lb/>
Gott &#x017F;elb&#x017F;t nicht mehr erkennt und &#x017F;ie der Gewalt der<lb/>
Tyrannei überläßt.</p><lb/>
        </div>
        <div>
          <dateline> <hi rendition="#right">Freitag, den 10. Februar.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Heute bin ich ganz vergnügt, daß ich ge&#x017F;tern<lb/>
keinen Brief bekommen. Dafür bekomme ich ihn<lb/>
heute, oder jeder Funke der Men&#x017F;chlichkeit müßte in<lb/>
Ihnen erlo&#x017F;chen &#x017F;eyn. Haben Sie meine er&#x017F;chüttern¬<lb/>
den Ermahnungen vom Neujahrstage &#x017F;chon verge&#x017F;&#x017F;en?<lb/>
Warten Sie nur, dann <choice><sic>&#x017F;chreiben</sic><corr>&#x017F;chreibe</corr></choice> ich Ihnen wieder<lb/>
einen Brief, der Ihnen das Herz in tau&#x017F;end kleine<lb/>
Stücke brechen &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Den ge&#x017F;trigen Abend brachte ich in einer <hi rendition="#aq #g">Soi¬<lb/>
rée St. Simonienne</hi> zu, bis gegen Mitternacht.<lb/>
Es i&#x017F;t eine wöchentliche Zu&#x017F;ammenkunft, die, wie<lb/>
jede Andere, der ge&#x017F;elligen Unterhaltung gewidmet i&#x017F;t,<lb/>
und keine be&#x017F;ondere religiö&#x017F;e oder doctrinaire Be&#x017F;tim¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0166] ben dem Abſolutismus dienen; nein, Herz und Glau¬ ben ſind der Tyrannei verhaßt, auch wenn ſie ihr dienen. Man will freigeſinnte, aber gottvergeſſene Menſchen, die ein Gewiſſen zu verkaufen, die eine urſprünglich gute Geſinnung dem Teufel zu verſchrei¬ ben haben. Die ſucht man, die belohnt man am be¬ ſten. Die kann man dem Volke zur Verführung aufſtellen, als hohnlächelnde Beweiſe vorzeigen, daß Tugend nichts iſt und Ehre eine Waare. So ver¬ knechtet, ſo entadelt man die Menſchheit, daß ſie Gott ſelbſt nicht mehr erkennt und ſie der Gewalt der Tyrannei überläßt. Freitag, den 10. Februar. Heute bin ich ganz vergnügt, daß ich geſtern keinen Brief bekommen. Dafür bekomme ich ihn heute, oder jeder Funke der Menſchlichkeit müßte in Ihnen erloſchen ſeyn. Haben Sie meine erſchüttern¬ den Ermahnungen vom Neujahrstage ſchon vergeſſen? Warten Sie nur, dann ſchreibe ich Ihnen wieder einen Brief, der Ihnen das Herz in tauſend kleine Stücke brechen ſoll. Den geſtrigen Abend brachte ich in einer Soi¬ rée St. Simonienne zu, bis gegen Mitternacht. Es iſt eine wöchentliche Zuſammenkunft, die, wie jede Andere, der geſelligen Unterhaltung gewidmet iſt, und keine beſondere religiöſe oder doctrinaire Beſtim¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/166
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/166>, abgerufen am 28.03.2024.