erhob sich einer der Geschwornen und sagte: Müßte ich auch fünf hundert Franken Strafe bezahlen, ich halte das nicht länger aus. Ich bekomme Krämpfe, ich falle in Ohnmacht, wenn der Advokat noch län¬ ger spricht; meine Langeweile ist unerträglich! Der Advokat lächelte und schwieg. Der Präsident und die Richter lächelten; alle Zuhörer lächelten, und waren des Scherzes froh, der Allen wohlthat. Aber den folgenden Tag erfuhr man, daß der gute Ge¬ schworne, als er nach Hause gekommen, einen An¬ fall von Schlag gehabt, und daß man ihm zu Ader lassen mußte. Das vermag die Langeweile!
In ein Kaffehaus in Mailand traten vor eini¬ ger Zeit zwei österreichische Offiziere in bürgerlicher Kleidung. Der Eine fragte den Andern, ob er Cho¬ colade trinken wolle? Dieser antwortete: er möge lieber Thee. Gleich darauf wurden die Offiziere vor die Polizei geladen, und ihnen vorgehalten, sie wären Revolutionaire, Carbonari, Liberale und sie sollten nur alles gestehen, dann würde man ihnen vielleicht das Leben schenken. Die Offiziere sahen sich einander verwundert an, und betheuerten ihre Unschuld. Unschuldig? donnerte der Polizei-Direktor. Herbei, Zeuge! Da kam ein italienischer Spion, und sagte den Offizieren ins Gesicht, sie hätten im Kaffehause von Freiheit gesprochen. Der gute Spion hatte lieber Thee gehört und das für Liberte
erhob ſich einer der Geſchwornen und ſagte: Müßte ich auch fünf hundert Franken Strafe bezahlen, ich halte das nicht länger aus. Ich bekomme Krämpfe, ich falle in Ohnmacht, wenn der Advokat noch län¬ ger ſpricht; meine Langeweile iſt unerträglich! Der Advokat lächelte und ſchwieg. Der Präſident und die Richter lächelten; alle Zuhörer lächelten, und waren des Scherzes froh, der Allen wohlthat. Aber den folgenden Tag erfuhr man, daß der gute Ge¬ ſchworne, als er nach Hauſe gekommen, einen An¬ fall von Schlag gehabt, und daß man ihm zu Ader laſſen mußte. Das vermag die Langeweile!
In ein Kaffehaus in Mailand traten vor eini¬ ger Zeit zwei öſterreichiſche Offiziere in bürgerlicher Kleidung. Der Eine fragte den Andern, ob er Cho¬ colade trinken wolle? Dieſer antwortete: er möge lieber Thee. Gleich darauf wurden die Offiziere vor die Polizei geladen, und ihnen vorgehalten, ſie wären Revolutionaire, Carbonari, Liberale und ſie ſollten nur alles geſtehen, dann würde man ihnen vielleicht das Leben ſchenken. Die Offiziere ſahen ſich einander verwundert an, und betheuerten ihre Unſchuld. Unſchuldig? donnerte der Polizei-Direktor. Herbei, Zeuge! Da kam ein italieniſcher Spion, und ſagte den Offizieren ins Geſicht, ſie hätten im Kaffehauſe von Freiheit geſprochen. Der gute Spion hatte lieber Thee gehört und das für Liberté
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erhob ſich einer der Geſchwornen und ſagte: Müßte
ich auch fünf hundert Franken Strafe bezahlen, ich
halte das nicht länger aus. Ich bekomme Krämpfe,
ich falle in Ohnmacht, wenn der Advokat noch län¬
ger ſpricht; meine Langeweile iſt unerträglich! Der
Advokat lächelte und ſchwieg. Der Präſident und
die Richter lächelten; alle Zuhörer lächelten, und
waren des Scherzes froh, der Allen wohlthat. Aber
den folgenden Tag erfuhr man, daß der gute Ge¬
ſchworne, als er nach Hauſe gekommen, einen An¬
fall von Schlag gehabt, und daß man ihm zu Ader
laſſen mußte. Das vermag die Langeweile!
In ein Kaffehaus in Mailand traten vor eini¬
ger Zeit zwei öſterreichiſche Offiziere in bürgerlicher
Kleidung. Der Eine fragte den Andern, ob er Cho¬
colade trinken wolle? Dieſer antwortete: er möge
lieber Thee. Gleich darauf wurden die Offiziere
vor die Polizei geladen, und ihnen vorgehalten, ſie
wären Revolutionaire, Carbonari, Liberale und ſie
ſollten nur alles geſtehen, dann würde man ihnen
vielleicht das Leben ſchenken. Die Offiziere ſahen
ſich einander verwundert an, und betheuerten ihre
Unſchuld. Unſchuldig? donnerte der Polizei-Direktor.
Herbei, Zeuge! Da kam ein italieniſcher Spion,
und ſagte den Offizieren ins Geſicht, ſie hätten im
Kaffehauſe von Freiheit geſprochen. Der gute Spion
hatte lieber Thee gehört und das für Liberté
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/232>, abgerufen am 24.04.2024.
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