Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

Gestern Abend hatten wir ein patriotisches Es¬
sen, etwa sechszig Deutsche, meistens Handlungs-Kom¬
mis. Der Zweck der deutschen Association für die
Preßfreiheit wurde besprochen, und da zeigte sich denn
wieder, was sich in jeder Gesellschaft zeigt. Einige
sind begeistert; die Andern, der Wärme froh, die
ihnen fehlt, sonnen sich gern; die meisten sind kalt,
bleiben es gern und müssen mit Gewalt ins Feuer
geworfen werden. Deutsche Bedenklichkeiten ohne
Ende. Von den Juli-Tagen wollte der Eine nicht
gesprochen haben: das könne uns verdächtig machen.
Andere unterschrieben, aber nur mit Buchstaben, und
erklärten alle Theilnahme zu verweigern, wenn sie
ihre Namen nennen müßten. Es war zum Lachen.
Sie stürzten nach dem Essen, als sie warm gewor¬
den, wie blind nach dem Tische zu, worauf der Sub¬
scribtions-Zettel lag, gleich Einem, der in Gefahr,
vor der er zittert, die er aber nicht fliehen kann, mit
geschlossenen Augen stürzt. Deutsche Art trat in
dem Antrage mächtig hervor: sie müssen doch eine
Regierung haben, ein Komite, Präsidenten, Sekre¬
tair. Sie wollten für eine Freiheit kämpfen, die ih¬


Geſtern Abend hatten wir ein patriotiſches Eſ¬
ſen, etwa ſechszig Deutſche, meiſtens Handlungs-Kom¬
mis. Der Zweck der deutſchen Aſſociation für die
Preßfreiheit wurde beſprochen, und da zeigte ſich denn
wieder, was ſich in jeder Geſellſchaft zeigt. Einige
ſind begeiſtert; die Andern, der Wärme froh, die
ihnen fehlt, ſonnen ſich gern; die meiſten ſind kalt,
bleiben es gern und müſſen mit Gewalt ins Feuer
geworfen werden. Deutſche Bedenklichkeiten ohne
Ende. Von den Juli-Tagen wollte der Eine nicht
geſprochen haben: das könne uns verdächtig machen.
Andere unterſchrieben, aber nur mit Buchſtaben, und
erklärten alle Theilnahme zu verweigern, wenn ſie
ihre Namen nennen müßten. Es war zum Lachen.
Sie ſtürzten nach dem Eſſen, als ſie warm gewor¬
den, wie blind nach dem Tiſche zu, worauf der Sub¬
ſcribtions-Zettel lag, gleich Einem, der in Gefahr,
vor der er zittert, die er aber nicht fliehen kann, mit
geſchloſſenen Augen ſtürzt. Deutſche Art trat in
dem Antrage mächtig hervor: ſie müſſen doch eine
Regierung haben, ein Komité, Präſidenten, Sekre¬
tair. Sie wollten für eine Freiheit kämpfen, die ih¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0245" n="231"/>
        <div>
          <dateline> <hi rendition="#right">Montag, den 27. Februar.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern Abend hatten wir ein patrioti&#x017F;ches E&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en, etwa &#x017F;echszig Deut&#x017F;che, mei&#x017F;tens Handlungs-Kom¬<lb/>
mis. Der Zweck der deut&#x017F;chen A&#x017F;&#x017F;ociation für die<lb/>
Preßfreiheit wurde be&#x017F;prochen, und da zeigte &#x017F;ich denn<lb/>
wieder, was &#x017F;ich in jeder Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zeigt. Einige<lb/>
&#x017F;ind begei&#x017F;tert; die Andern, der Wärme froh, die<lb/>
ihnen fehlt, &#x017F;onnen &#x017F;ich gern; die mei&#x017F;ten &#x017F;ind kalt,<lb/>
bleiben es gern und mü&#x017F;&#x017F;en mit Gewalt ins Feuer<lb/>
geworfen werden. Deut&#x017F;che Bedenklichkeiten ohne<lb/>
Ende. Von den Juli-Tagen wollte der Eine nicht<lb/>
ge&#x017F;prochen haben: das könne uns verdächtig machen.<lb/>
Andere unter&#x017F;chrieben, aber nur mit Buch&#x017F;taben, und<lb/>
erklärten alle Theilnahme zu verweigern, wenn &#x017F;ie<lb/>
ihre Namen nennen müßten. Es war zum Lachen.<lb/>
Sie &#x017F;türzten nach dem E&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;ie warm gewor¬<lb/>
den, wie blind nach dem Ti&#x017F;che zu, worauf der Sub¬<lb/>
&#x017F;cribtions-Zettel lag, gleich Einem, der in Gefahr,<lb/>
vor der er zittert, die er aber nicht fliehen kann, mit<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Augen &#x017F;türzt. Deut&#x017F;che Art trat in<lb/>
dem Antrage mächtig hervor: &#x017F;ie mü&#x017F;&#x017F;en doch eine<lb/>
Regierung haben, ein Komit<hi rendition="#aq">é</hi>, Prä&#x017F;identen, Sekre¬<lb/>
tair. Sie wollten für eine Freiheit kämpfen, die ih¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0245] Montag, den 27. Februar. Geſtern Abend hatten wir ein patriotiſches Eſ¬ ſen, etwa ſechszig Deutſche, meiſtens Handlungs-Kom¬ mis. Der Zweck der deutſchen Aſſociation für die Preßfreiheit wurde beſprochen, und da zeigte ſich denn wieder, was ſich in jeder Geſellſchaft zeigt. Einige ſind begeiſtert; die Andern, der Wärme froh, die ihnen fehlt, ſonnen ſich gern; die meiſten ſind kalt, bleiben es gern und müſſen mit Gewalt ins Feuer geworfen werden. Deutſche Bedenklichkeiten ohne Ende. Von den Juli-Tagen wollte der Eine nicht geſprochen haben: das könne uns verdächtig machen. Andere unterſchrieben, aber nur mit Buchſtaben, und erklärten alle Theilnahme zu verweigern, wenn ſie ihre Namen nennen müßten. Es war zum Lachen. Sie ſtürzten nach dem Eſſen, als ſie warm gewor¬ den, wie blind nach dem Tiſche zu, worauf der Sub¬ ſcribtions-Zettel lag, gleich Einem, der in Gefahr, vor der er zittert, die er aber nicht fliehen kann, mit geſchloſſenen Augen ſtürzt. Deutſche Art trat in dem Antrage mächtig hervor: ſie müſſen doch eine Regierung haben, ein Komité, Präſidenten, Sekre¬ tair. Sie wollten für eine Freiheit kämpfen, die ih¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/245
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/245>, abgerufen am 23.04.2024.