Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

der Kampf begann, genossen wir in Frankfurt, wie
überall in Deutschland, wo französische Gesetzgebung
herrschte, gleiche Rechte mit unsern christlichen Brü¬
dern. Und nicht etwa dem Murren des Volkes wurde
diese neue Gleichheit aufgedrungen. Sie überraschte,
wie alles Fremde, doch sie ward willkommen, wie
alles was die Liebe bringt. Die nehmlichen Bürger
tranken herzlich aus einem Glase mit uns, die noch
den Tag vorher uns mit Verachtung angesehen, oder
mit Haß den Blick von uns gewendet. Denn das ist
der Segen des Rechts, wenn es mit Macht gepaart,
daß es wie durch einen Zauber die Neigungen der
Menschen umwandelt: Mistrauen in Vertrauen,
Thorheit in Vernunft, Haß in Liebe. Dem Wasser
gleichet Gerechtigkeit; sie fällt schnell herab und stei¬
get nie hinauf. Jede Regierung vermag in allem,
was gut und schön ist, die Meinungen und Gesin¬
nungen, das Herz und den Willen der Völker um¬
zuwandeln; aber Völker brauchen Jahrhunderte, ihre
Regierungen zu veredlen, und nie der friedlichen
Mahnung, nur der Gewalt gelingt es endlich, ihre
Wildheit zu bezähmen.

Als wir aber aus dem Kampfe zurückkehrten,
fanden wir unsere Väter und Brüder, die wir als
freie Bürger verlassen, als Knechte wieder, und das
sind wir geblieben bis auf heute. Nicht blos die
Rechte des Staatsbürgers, nicht blos die des Orts¬

der Kampf begann, genoſſen wir in Frankfurt, wie
überall in Deutſchland, wo franzöſiſche Geſetzgebung
herrſchte, gleiche Rechte mit unſern chriſtlichen Brü¬
dern. Und nicht etwa dem Murren des Volkes wurde
dieſe neue Gleichheit aufgedrungen. Sie überraſchte,
wie alles Fremde, doch ſie ward willkommen, wie
alles was die Liebe bringt. Die nehmlichen Bürger
tranken herzlich aus einem Glaſe mit uns, die noch
den Tag vorher uns mit Verachtung angeſehen, oder
mit Haß den Blick von uns gewendet. Denn das iſt
der Segen des Rechts, wenn es mit Macht gepaart,
daß es wie durch einen Zauber die Neigungen der
Menſchen umwandelt: Mistrauen in Vertrauen,
Thorheit in Vernunft, Haß in Liebe. Dem Waſſer
gleichet Gerechtigkeit; ſie fällt ſchnell herab und ſtei¬
get nie hinauf. Jede Regierung vermag in allem,
was gut und ſchön iſt, die Meinungen und Geſin¬
nungen, das Herz und den Willen der Völker um¬
zuwandeln; aber Völker brauchen Jahrhunderte, ihre
Regierungen zu veredlen, und nie der friedlichen
Mahnung, nur der Gewalt gelingt es endlich, ihre
Wildheit zu bezähmen.

Als wir aber aus dem Kampfe zurückkehrten,
fanden wir unſere Väter und Brüder, die wir als
freie Bürger verlaſſen, als Knechte wieder, und das
ſind wir geblieben bis auf heute. Nicht blos die
Rechte des Staatsbürgers, nicht blos die des Orts¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0252" n="238"/>
der Kampf begann, geno&#x017F;&#x017F;en wir in Frankfurt, wie<lb/>
überall in Deut&#x017F;chland, wo franzö&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;etzgebung<lb/>
herr&#x017F;chte, gleiche Rechte mit un&#x017F;ern chri&#x017F;tlichen Brü¬<lb/>
dern. Und nicht etwa dem Murren des Volkes wurde<lb/>
die&#x017F;e neue Gleichheit <choice><sic>anfgedrungen</sic><corr>aufgedrungen</corr></choice>. Sie überra&#x017F;chte,<lb/>
wie alles Fremde, doch &#x017F;ie ward willkommen, wie<lb/>
alles was die Liebe bringt. Die nehmlichen Bürger<lb/>
tranken herzlich aus einem Gla&#x017F;e mit uns, die noch<lb/>
den Tag vorher uns mit Verachtung ange&#x017F;ehen, oder<lb/>
mit Haß den Blick von uns gewendet. Denn das i&#x017F;t<lb/>
der Segen des Rechts, wenn es mit Macht gepaart,<lb/>
daß es wie durch einen Zauber die Neigungen der<lb/>
Men&#x017F;chen umwandelt: Mistrauen in Vertrauen,<lb/>
Thorheit in Vernunft, Haß in Liebe. Dem Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
gleichet Gerechtigkeit; &#x017F;ie fällt &#x017F;chnell herab und &#x017F;tei¬<lb/>
get nie hinauf. Jede Regierung vermag in allem,<lb/>
was gut und &#x017F;chön i&#x017F;t, die Meinungen und Ge&#x017F;in¬<lb/>
nungen, das Herz und den Willen der Völker um¬<lb/>
zuwandeln; aber Völker brauchen Jahrhunderte, ihre<lb/>
Regierungen zu veredlen, und nie der friedlichen<lb/>
Mahnung, nur der Gewalt gelingt es endlich, ihre<lb/>
Wildheit zu bezähmen.</p><lb/>
            <p>Als wir aber aus dem Kampfe zurückkehrten,<lb/>
fanden wir un&#x017F;ere Väter und Brüder, die wir als<lb/>
freie Bürger verla&#x017F;&#x017F;en, als Knechte wieder, und das<lb/>
&#x017F;ind wir geblieben bis auf heute. Nicht blos die<lb/>
Rechte des Staatsbürgers, nicht blos die des Orts¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0252] der Kampf begann, genoſſen wir in Frankfurt, wie überall in Deutſchland, wo franzöſiſche Geſetzgebung herrſchte, gleiche Rechte mit unſern chriſtlichen Brü¬ dern. Und nicht etwa dem Murren des Volkes wurde dieſe neue Gleichheit aufgedrungen. Sie überraſchte, wie alles Fremde, doch ſie ward willkommen, wie alles was die Liebe bringt. Die nehmlichen Bürger tranken herzlich aus einem Glaſe mit uns, die noch den Tag vorher uns mit Verachtung angeſehen, oder mit Haß den Blick von uns gewendet. Denn das iſt der Segen des Rechts, wenn es mit Macht gepaart, daß es wie durch einen Zauber die Neigungen der Menſchen umwandelt: Mistrauen in Vertrauen, Thorheit in Vernunft, Haß in Liebe. Dem Waſſer gleichet Gerechtigkeit; ſie fällt ſchnell herab und ſtei¬ get nie hinauf. Jede Regierung vermag in allem, was gut und ſchön iſt, die Meinungen und Geſin¬ nungen, das Herz und den Willen der Völker um¬ zuwandeln; aber Völker brauchen Jahrhunderte, ihre Regierungen zu veredlen, und nie der friedlichen Mahnung, nur der Gewalt gelingt es endlich, ihre Wildheit zu bezähmen. Als wir aber aus dem Kampfe zurückkehrten, fanden wir unſere Väter und Brüder, die wir als freie Bürger verlaſſen, als Knechte wieder, und das ſind wir geblieben bis auf heute. Nicht blos die Rechte des Staatsbürgers, nicht blos die des Orts¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/252
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/252>, abgerufen am 29.03.2024.