Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

schlecht aus, das die bedeutendsten Rollen nie auf
neue würdige Art darstellen sah.

Aber wie viel strenger noch als es geschehen
hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬
wisse Ehrfurcht meinen Tadel bescheidener gemacht.
An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte,
war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß
die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬
vermuthet eine Erbschaft von vierzigtausend Franken
Renten gemacht habe. Das Geld ist der wahre
Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor.
Diese Erbschaftsgeschichte ist sehr merkwürdig und voller
Moral und Philosophie; sogar etwas Religion kömmt
darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung
diese Geschichte nicht gelesen haben, schreiben Sie
mir es, ich erzähle sie Ihnen dann. Damit Sie
aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬
hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬
gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter
Liebhaber zu verstehen sei. Der alte Herr der un¬
sere Susanna zur Erbin eingesetzt, war ihr Liebha¬
ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬
haber jeder Königin zu sein. Er hatte sie, aber sie
hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und
nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann
rächt sich für weibliche Grausamkeit nie anders, als
durch ein Geschenk von vierzig tausend Franken Renten.

ſchlecht aus, das die bedeutendſten Rollen nie auf
neue würdige Art darſtellen ſah.

Aber wie viel ſtrenger noch als es geſchehen
hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬
wiſſe Ehrfurcht meinen Tadel beſcheidener gemacht.
An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte,
war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß
die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬
vermuthet eine Erbſchaft von vierzigtauſend Franken
Renten gemacht habe. Das Geld iſt der wahre
Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor.
Dieſe Erbſchaftsgeſchichte iſt ſehr merkwürdig und voller
Moral und Philoſophie; ſogar etwas Religion kömmt
darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung
dieſe Geſchichte nicht geleſen haben, ſchreiben Sie
mir es, ich erzähle ſie Ihnen dann. Damit Sie
aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬
hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬
gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter
Liebhaber zu verſtehen ſei. Der alte Herr der un¬
ſere Suſanna zur Erbin eingeſetzt, war ihr Liebha¬
ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬
haber jeder Königin zu ſein. Er hatte ſie, aber ſie
hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und
nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann
rächt ſich für weibliche Grauſamkeit nie anders, als
durch ein Geſchenk von vierzig tauſend Franken Renten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="30"/>
&#x017F;chlecht aus, das die bedeutend&#x017F;ten Rollen nie auf<lb/>
neue würdige Art dar&#x017F;tellen &#x017F;ah.</p><lb/>
          <p>Aber wie viel &#x017F;trenger noch als es ge&#x017F;chehen<lb/>
hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Ehrfurcht meinen Tadel be&#x017F;cheidener gemacht.<lb/>
An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte,<lb/>
war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß<lb/>
die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬<lb/>
vermuthet eine Erb&#x017F;chaft von vierzigtau&#x017F;end Franken<lb/>
Renten gemacht habe. Das Geld i&#x017F;t der wahre<lb/>
Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor.<lb/>
Die&#x017F;e Erb&#x017F;chaftsge&#x017F;chichte i&#x017F;t &#x017F;ehr merkwürdig und voller<lb/>
Moral und Philo&#x017F;ophie; &#x017F;ogar etwas Religion kömmt<lb/>
darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung<lb/>
die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte nicht gele&#x017F;en haben, &#x017F;chreiben Sie<lb/>
mir es, ich erzähle &#x017F;ie Ihnen dann. Damit Sie<lb/>
aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬<lb/>
hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬<lb/>
gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter<lb/>
Liebhaber zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ei. Der alte Herr der un¬<lb/>
&#x017F;ere Su&#x017F;anna zur Erbin einge&#x017F;etzt, war ihr Liebha¬<lb/>
ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬<lb/>
haber jeder Königin zu &#x017F;ein. Er hatte &#x017F;ie, aber &#x017F;ie<lb/>
hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und<lb/>
nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann<lb/>
rächt &#x017F;ich für weibliche Grau&#x017F;amkeit nie anders, als<lb/>
durch ein Ge&#x017F;chenk von vierzig tau&#x017F;end Franken Renten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0042] ſchlecht aus, das die bedeutendſten Rollen nie auf neue würdige Art darſtellen ſah. Aber wie viel ſtrenger noch als es geſchehen hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬ wiſſe Ehrfurcht meinen Tadel beſcheidener gemacht. An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte, war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬ vermuthet eine Erbſchaft von vierzigtauſend Franken Renten gemacht habe. Das Geld iſt der wahre Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor. Dieſe Erbſchaftsgeſchichte iſt ſehr merkwürdig und voller Moral und Philoſophie; ſogar etwas Religion kömmt darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung dieſe Geſchichte nicht geleſen haben, ſchreiben Sie mir es, ich erzähle ſie Ihnen dann. Damit Sie aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬ hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬ gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter Liebhaber zu verſtehen ſei. Der alte Herr der un¬ ſere Suſanna zur Erbin eingeſetzt, war ihr Liebha¬ ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬ haber jeder Königin zu ſein. Er hatte ſie, aber ſie hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann rächt ſich für weibliche Grauſamkeit nie anders, als durch ein Geſchenk von vierzig tauſend Franken Renten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/42
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/42>, abgerufen am 23.04.2024.