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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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und daß es also zwei französische Könige gewesen,
welche die französische Revolution herbeigeführt. Denn
Adel und Geistlichkeit sind die beiden Enden des Ba¬
lancier-Baumes der Fürsten, da jede Regierung die
nicht auf dem Boden des Volkes ruht, jede monar¬
chische Regierung nur Seiltänzerei ist; fort die
Stange, Plautz der König!

Und hierin ist wieder etwas, das meine deutsche
Hoffnung bis zur Unsichtbarkeit entfernt, und meine
Ungeduld und Verzweiflung vermehrt. Wir haben
keinen Figaro auf der deutschen Bühne, wir werden
nie einen bekommen, denn man wird nie seine Auf¬
führung erlauben. Und kömmt einmal die Zeit, daß
man zu einem solchen Stücke keine Erlaubniß mehr
gebraucht, braucht man auch das Stück nicht mehr.
Um gerecht zu sein, muß man sagen: die Könige
aus dem Hause Bourbon hatten Alle etwas könig¬
liches; in einer verdorbenen Zeit gingen ihnen Ge¬
rechtigkeit und Menschlichkeit nie ganz verloren; der
Hof hatte sie, sie hatten nicht den Hof verdorben,
und sie blieben immer die besten unter den Hofleu¬
ten. Um gerechter zu sein muß man sagen; der
französische Adel des achtzehnten Jahrhunderts war
gebildet, geistreich, von milden Sitten und weit ent¬
fernt von dem düstern Hochmuthe des deutschen
Adels. Darum aber weil sie so gewesen, sahen sie
die Revolution nicht kommen und gingen ihrem Ver¬

Vl. 8

und daß es alſo zwei franzöſiſche Könige geweſen,
welche die franzöſiſche Revolution herbeigeführt. Denn
Adel und Geiſtlichkeit ſind die beiden Enden des Ba¬
lancier-Baumes der Fürſten, da jede Regierung die
nicht auf dem Boden des Volkes ruht, jede monar¬
chiſche Regierung nur Seiltänzerei iſt; fort die
Stange, Plautz der König!

Und hierin iſt wieder etwas, das meine deutſche
Hoffnung bis zur Unſichtbarkeit entfernt, und meine
Ungeduld und Verzweiflung vermehrt. Wir haben
keinen Figaro auf der deutſchen Bühne, wir werden
nie einen bekommen, denn man wird nie ſeine Auf¬
führung erlauben. Und kömmt einmal die Zeit, daß
man zu einem ſolchen Stücke keine Erlaubniß mehr
gebraucht, braucht man auch das Stück nicht mehr.
Um gerecht zu ſein, muß man ſagen: die Könige
aus dem Hauſe Bourbon hatten Alle etwas könig¬
liches; in einer verdorbenen Zeit gingen ihnen Ge¬
rechtigkeit und Menſchlichkeit nie ganz verloren; der
Hof hatte ſie, ſie hatten nicht den Hof verdorben,
und ſie blieben immer die beſten unter den Hofleu¬
ten. Um gerechter zu ſein muß man ſagen; der
franzöſiſche Adel des achtzehnten Jahrhunderts war
gebildet, geiſtreich, von milden Sitten und weit ent¬
fernt von dem düſtern Hochmuthe des deutſchen
Adels. Darum aber weil ſie ſo geweſen, ſahen ſie
die Revolution nicht kommen und gingen ihrem Ver¬

Vl. 8
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[33/0045] und daß es alſo zwei franzöſiſche Könige geweſen, welche die franzöſiſche Revolution herbeigeführt. Denn Adel und Geiſtlichkeit ſind die beiden Enden des Ba¬ lancier-Baumes der Fürſten, da jede Regierung die nicht auf dem Boden des Volkes ruht, jede monar¬ chiſche Regierung nur Seiltänzerei iſt; fort die Stange, Plautz der König! Und hierin iſt wieder etwas, das meine deutſche Hoffnung bis zur Unſichtbarkeit entfernt, und meine Ungeduld und Verzweiflung vermehrt. Wir haben keinen Figaro auf der deutſchen Bühne, wir werden nie einen bekommen, denn man wird nie ſeine Auf¬ führung erlauben. Und kömmt einmal die Zeit, daß man zu einem ſolchen Stücke keine Erlaubniß mehr gebraucht, braucht man auch das Stück nicht mehr. Um gerecht zu ſein, muß man ſagen: die Könige aus dem Hauſe Bourbon hatten Alle etwas könig¬ liches; in einer verdorbenen Zeit gingen ihnen Ge¬ rechtigkeit und Menſchlichkeit nie ganz verloren; der Hof hatte ſie, ſie hatten nicht den Hof verdorben, und ſie blieben immer die beſten unter den Hofleu¬ ten. Um gerechter zu ſein muß man ſagen; der franzöſiſche Adel des achtzehnten Jahrhunderts war gebildet, geiſtreich, von milden Sitten und weit ent¬ fernt von dem düſtern Hochmuthe des deutſchen Adels. Darum aber weil ſie ſo geweſen, ſahen ſie die Revolution nicht kommen und gingen ihrem Ver¬ Vl. 8

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/45>, abgerufen am 25.04.2024.