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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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derben entgegen. Unsere Fürsten und unsere Edel¬
leute spotten jetzt über solche Verblendung und über¬
heben sich ihrer eigenen Weisheit. Sie mögen spot¬
ten. Wenn sich ein Erdbeben naht, das wittert der
tiefsinnigste Naturforscher nicht; aber die Hunde wer¬
den gleich unruhig und heulen.

Es ist noch etwas Anders was die deutschen
Verhältnisse so mißlich macht, weil es der Freiheit
ihre besten Waffen raubt: die Kunst und die Wissen¬
schaft. Unsere Gelehrten, Schriftsteller und Dichter
haben keinen Zutritt in die höhern Stände; weil
unser hochmüthiger und geistloser Adel sie zugleich
verachtet und fürchtet. Und geschieht es selten ein¬
mal; daß man sie nicht zurückstößt, sind sie blöde
und unbeholfen, weil sie arm sind, und sie den Muth
und den Stolz nicht gewinnen können, den nur die
Unabhängigkeit giebt. Beaumarchais, der Sohn eines
bürgerlichen Uhrmachers, seinen Geist zum Passe,
den damals kein Minister, keine Exzellenz, kein Edel¬
mann das Visa zu verweigern die Unverschämtheit
hatte, drang durch seine Gewandheit bis zu den
Stufen des Thrones vor, und erhob sich zu einem
der reichsten Männer Frankreichs. Als Figaro er¬
schien, sagte man: es habe dem Dichter weniger
Geist gekostet das Stück zu schreiben, als es auf die
Bühne zu bringen. Was hat Beaumarchais nicht
Alles gethan und geduldet, um seinen Zweck zu er¬

derben entgegen. Unſere Fürſten und unſere Edel¬
leute ſpotten jetzt über ſolche Verblendung und über¬
heben ſich ihrer eigenen Weisheit. Sie mögen ſpot¬
ten. Wenn ſich ein Erdbeben naht, das wittert der
tiefſinnigſte Naturforſcher nicht; aber die Hunde wer¬
den gleich unruhig und heulen.

Es iſt noch etwas Anders was die deutſchen
Verhältniſſe ſo mißlich macht, weil es der Freiheit
ihre beſten Waffen raubt: die Kunſt und die Wiſſen¬
ſchaft. Unſere Gelehrten, Schriftſteller und Dichter
haben keinen Zutritt in die höhern Stände; weil
unſer hochmüthiger und geiſtloſer Adel ſie zugleich
verachtet und fürchtet. Und geſchieht es ſelten ein¬
mal; daß man ſie nicht zurückſtößt, ſind ſie blöde
und unbeholfen, weil ſie arm ſind, und ſie den Muth
und den Stolz nicht gewinnen können, den nur die
Unabhängigkeit giebt. Beaumarchais, der Sohn eines
bürgerlichen Uhrmachers, ſeinen Geiſt zum Paſſe,
den damals kein Miniſter, keine Exzellenz, kein Edel¬
mann das Viſa zu verweigern die Unverſchämtheit
hatte, drang durch ſeine Gewandheit bis zu den
Stufen des Thrones vor, und erhob ſich zu einem
der reichſten Männer Frankreichs. Als Figaro er¬
ſchien, ſagte man: es habe dem Dichter weniger
Geiſt gekoſtet das Stück zu ſchreiben, als es auf die
Bühne zu bringen. Was hat Beaumarchais nicht
Alles gethan und geduldet, um ſeinen Zweck zu er¬

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[34/0046] derben entgegen. Unſere Fürſten und unſere Edel¬ leute ſpotten jetzt über ſolche Verblendung und über¬ heben ſich ihrer eigenen Weisheit. Sie mögen ſpot¬ ten. Wenn ſich ein Erdbeben naht, das wittert der tiefſinnigſte Naturforſcher nicht; aber die Hunde wer¬ den gleich unruhig und heulen. Es iſt noch etwas Anders was die deutſchen Verhältniſſe ſo mißlich macht, weil es der Freiheit ihre beſten Waffen raubt: die Kunſt und die Wiſſen¬ ſchaft. Unſere Gelehrten, Schriftſteller und Dichter haben keinen Zutritt in die höhern Stände; weil unſer hochmüthiger und geiſtloſer Adel ſie zugleich verachtet und fürchtet. Und geſchieht es ſelten ein¬ mal; daß man ſie nicht zurückſtößt, ſind ſie blöde und unbeholfen, weil ſie arm ſind, und ſie den Muth und den Stolz nicht gewinnen können, den nur die Unabhängigkeit giebt. Beaumarchais, der Sohn eines bürgerlichen Uhrmachers, ſeinen Geiſt zum Paſſe, den damals kein Miniſter, keine Exzellenz, kein Edel¬ mann das Viſa zu verweigern die Unverſchämtheit hatte, drang durch ſeine Gewandheit bis zu den Stufen des Thrones vor, und erhob ſich zu einem der reichſten Männer Frankreichs. Als Figaro er¬ ſchien, ſagte man: es habe dem Dichter weniger Geiſt gekoſtet das Stück zu ſchreiben, als es auf die Bühne zu bringen. Was hat Beaumarchais nicht Alles gethan und geduldet, um ſeinen Zweck zu er¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/46>, abgerufen am 25.04.2024.