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Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696.

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Die unterschiedlichen Kennzeichen
grosser Schärffe sich untersuchen/ und ohne seinen
Fehlern zu liebkosen solche auf die Wageschale der
Vernunfft legen. Man könne in diesem Urtheil niemals
zu ernsthafft und strenge seyn. Gegen andere wäre die
Gelindigkeit nöthig/ gegen sich selbst die Schärffe.

Die allzu genauen Haußhälterinnen würden
gleichfals durch die Selbst-liebe zum Geitze gebracht:
indem sie alles wolten an sich ziehen und zu sich raf-
fen/ vergäßen sie darüber/ was sie GOtt/ sich selbst/
und dem Nächsten schuldig wären.

Die Spielerinnen erkenneten gleichfals dieses
Laster als ihre Beherrscherin/ und indem sie sich in
unnützem Zeitvertreib aufhielten/ so vergäßen sie so
viel Vernunfft und Tugend anzuwenden/ als zu
Zerstörung dieser schädlichen Passion erfodert würde.

Die Zänckerinnen hätten eben auch dieser Ursa-
che ihre streitige Natur zuzuschreiben. Unter den be-
trübten und schlafflosen. Nächten und unter den
Sorgen-vollen Tagen wäre die Selbst-Liebe ver-
borgen. Diese gäbe ihnen mitten unter ihren ge-
fährlichen Bemühungen/ welche durch die Ge-
wohnheit und die Gesetze autorisiret würden/ ein
falsches Vergnügen/ so sie in ihres Nächsten Scha-
den gründeten.

Diese Selbst-Liebe wäre uns allen von Natur
angebohren/ nachdem der erste Mensch dadurch al-
len seinen Nachkommen/ und sich den Tod über den
Halß gezogen. Vor dem Fall wäre die Liebe edel
und vortrefflich gewesen/ aber unsere ersten Eltern
hätten sie verdorben/ und straffbar durch ihre Aus-
schweiffung gemacht.

Die Selbst-Liebe wäre dem Gesetz und der Ehre

schnur-

Die unterſchiedlichen Kennzeichen
groſſer Schaͤrffe ſich unterſuchen/ und ohne ſeinen
Fehlern zu liebkoſen ſolche auf die Wageſchale der
Vernunfft legẽ. Man koͤñe in dieſem Urtheil niemals
zu ernſthafft und ſtrenge ſeyn. Gegen andere waͤre die
Gelindigkeit noͤthig/ gegen ſich ſelbſt die Schaͤrffe.

Die allzu genauen Haußhaͤlterinnen wuͤrden
gleichfals duꝛch die Selbſt-liebe zum Geitze gebracht:
indem ſie alles wolten an ſich ziehen und zu ſich raf-
fen/ vergaͤßen ſie daruͤber/ was ſie GOtt/ ſich ſelbſt/
und dem Naͤchſten ſchuldig waͤren.

Die Spielerinnen erkenneten gleichfals dieſes
Laſter als ihre Beherꝛſcherin/ und indem ſie ſich in
unnuͤtzem Zeitvertreib aufhielten/ ſo vergaͤßen ſie ſo
viel Vernunfft und Tugend anzuwenden/ als zu
Zerſtoͤrung dieſer ſchaͤdlichen Paſſion erfodert wuͤrde.

Die Zaͤnckerinnen haͤtten eben auch dieſer Urſa-
che ihre ſtreitige Natur zuzuſchreiben. Unter den be-
truͤbten und ſchlaffloſen. Naͤchten und unter den
Sorgen-vollen Tagen waͤre die Selbſt-Liebe ver-
borgen. Dieſe gaͤbe ihnen mitten unter ihren ge-
faͤhrlichen Bemuͤhungen/ welche durch die Ge-
wohnheit und die Geſetze autoriſiret wuͤrden/ ein
falſches Vergnuͤgen/ ſo ſie in ihres Naͤchſten Scha-
den gruͤndeten.

Dieſe Selbſt-Liebe waͤre uns allen von Natur
angebohren/ nachdem der erſte Menſch dadurch al-
len ſeinen Nachkommen/ und ſich den Tod uͤber den
Halß gezogen. Vor dem Fall waͤre die Liebe edel
und vortrefflich geweſen/ aber unſere erſten Eltern
haͤtten ſie verdorben/ und ſtraffbar durch ihre Aus-
ſchweiffung gemacht.

Die Selbſt-Liebe waͤre dem Geſetz und der Ehre

ſchnur-
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[304/0336] Die unterſchiedlichen Kennzeichen groſſer Schaͤrffe ſich unterſuchen/ und ohne ſeinen Fehlern zu liebkoſen ſolche auf die Wageſchale der Vernunfft legẽ. Man koͤñe in dieſem Urtheil niemals zu ernſthafft und ſtrenge ſeyn. Gegen andere waͤre die Gelindigkeit noͤthig/ gegen ſich ſelbſt die Schaͤrffe. Die allzu genauen Haußhaͤlterinnen wuͤrden gleichfals duꝛch die Selbſt-liebe zum Geitze gebracht: indem ſie alles wolten an ſich ziehen und zu ſich raf- fen/ vergaͤßen ſie daruͤber/ was ſie GOtt/ ſich ſelbſt/ und dem Naͤchſten ſchuldig waͤren. Die Spielerinnen erkenneten gleichfals dieſes Laſter als ihre Beherꝛſcherin/ und indem ſie ſich in unnuͤtzem Zeitvertreib aufhielten/ ſo vergaͤßen ſie ſo viel Vernunfft und Tugend anzuwenden/ als zu Zerſtoͤrung dieſer ſchaͤdlichen Paſſion erfodert wuͤrde. Die Zaͤnckerinnen haͤtten eben auch dieſer Urſa- che ihre ſtreitige Natur zuzuſchreiben. Unter den be- truͤbten und ſchlaffloſen. Naͤchten und unter den Sorgen-vollen Tagen waͤre die Selbſt-Liebe ver- borgen. Dieſe gaͤbe ihnen mitten unter ihren ge- faͤhrlichen Bemuͤhungen/ welche durch die Ge- wohnheit und die Geſetze autoriſiret wuͤrden/ ein falſches Vergnuͤgen/ ſo ſie in ihres Naͤchſten Scha- den gruͤndeten. Dieſe Selbſt-Liebe waͤre uns allen von Natur angebohren/ nachdem der erſte Menſch dadurch al- len ſeinen Nachkommen/ und ſich den Tod uͤber den Halß gezogen. Vor dem Fall waͤre die Liebe edel und vortrefflich geweſen/ aber unſere erſten Eltern haͤtten ſie verdorben/ und ſtraffbar durch ihre Aus- ſchweiffung gemacht. Die Selbſt-Liebe waͤre dem Geſetz und der Ehre ſchnur-

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Zitationshilfe: Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bohse_helicon_1696/336>, abgerufen am 24.04.2024.