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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

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Einleitung.
abgestossen, von D und E aber angezogen und daher gegen
seine ursprüngliche Ruhelage zurückgetrieben. Schwingt jedes
Molekül um eine derartige Ruhelage, so hat der Körper eine
fixe Gestalt; er befindet sich im festen Aggregatzustande. Die
einzige Folge der Wärmebewegung wird sein, dass dadurch
die Ruhelagen der Moleküle etwas auseinandergedrängt, daher
der Körper etwas ausgedehnt wird. Werden aber die Wärme-
bewegungen immer lebhafter, so gelangt man endlich zu einem
Punkte, wo ein Molekül zwischen seine beiden Nachbarmoleküle
hindurchgedrängt wird von der Ruhelage A bis nach A" (Fig. 1).
Es wird dann nicht mehr zu seiner alten Ruhelage zurück-
getrieben, sondern verlässt dieselbe bleibend. Findet dies bei
vielen Molekülen statt, so müssen dieselben wie Regenwürmer
nebeneinander hindurchkriechen, der Körper ist geschmolzen.
Mag man diese Vorstellung auch vielleicht roh und kindlich
finden, mag dieselbe vielleicht später bedeutend modificirt
werden und namentlich die scheinbare Abstossungskraft viel-
leicht eine blosse Folge der Bewegung sein, jedenfalls wird
man zugeben, dass, wenn die Bewegung der Moleküle über
eine gewisse Grenze gewachsen ist, einzelne Moleküle von der
Oberfläche des Körpers ganz abgerissen werden und frei in
den Raum hinausfliegen müssen; der Körper verdunstet. Be-
findet er sich in einem geschlossenen Gefässe, so füllt sich
dasselbe mit frei fliegenden Molekülen, und diese dringen hier
und da wieder in den Körper ein; sobald die Anzahl der
wiedereindringenden im Durchschnitte gleich der Anzahl der
sich abreissenden ist, sagt man, dass der Raum des Gefässes
mit dem Dampfe des betreffenden Körpers gesättigt ist.

Ein genügend grosses geschlossenes Gefäss, in welchem
sich ausschliesslich derartige frei herumfliegende Moleküle
befinden, liefert das Bild eines Gases. Wirken keine äusseren
Kräfte auf die Moleküle, so fliegen diese während der
weitaus grössten Zeit ihrer Bewegung wie abgeschossene
Flintenkugeln in geradlinigen Bahnen mit constanter Geschwin-
digkeit. Nur wenn ein Molekül zufällig sehr nahe an ein
anderes oder an die Gefässwand gelangt, wird es aus seiner
geradlinigen Bahn abgelenkt. Der Druck des Gases erklärt
sich aus der Stosswirkung dieser Moleküle auf die Wand des
Gefässes.

Einleitung.
abgestossen, von D und E aber angezogen und daher gegen
seine ursprüngliche Ruhelage zurückgetrieben. Schwingt jedes
Molekül um eine derartige Ruhelage, so hat der Körper eine
fixe Gestalt; er befindet sich im festen Aggregatzustande. Die
einzige Folge der Wärmebewegung wird sein, dass dadurch
die Ruhelagen der Moleküle etwas auseinandergedrängt, daher
der Körper etwas ausgedehnt wird. Werden aber die Wärme-
bewegungen immer lebhafter, so gelangt man endlich zu einem
Punkte, wo ein Molekül zwischen seine beiden Nachbarmoleküle
hindurchgedrängt wird von der Ruhelage A bis nach A″ (Fig. 1).
Es wird dann nicht mehr zu seiner alten Ruhelage zurück-
getrieben, sondern verlässt dieselbe bleibend. Findet dies bei
vielen Molekülen statt, so müssen dieselben wie Regenwürmer
nebeneinander hindurchkriechen, der Körper ist geschmolzen.
Mag man diese Vorstellung auch vielleicht roh und kindlich
finden, mag dieselbe vielleicht später bedeutend modificirt
werden und namentlich die scheinbare Abstossungskraft viel-
leicht eine blosse Folge der Bewegung sein, jedenfalls wird
man zugeben, dass, wenn die Bewegung der Moleküle über
eine gewisse Grenze gewachsen ist, einzelne Moleküle von der
Oberfläche des Körpers ganz abgerissen werden und frei in
den Raum hinausfliegen müssen; der Körper verdunstet. Be-
findet er sich in einem geschlossenen Gefässe, so füllt sich
dasselbe mit frei fliegenden Molekülen, und diese dringen hier
und da wieder in den Körper ein; sobald die Anzahl der
wiedereindringenden im Durchschnitte gleich der Anzahl der
sich abreissenden ist, sagt man, dass der Raum des Gefässes
mit dem Dampfe des betreffenden Körpers gesättigt ist.

Ein genügend grosses geschlossenes Gefäss, in welchem
sich ausschliesslich derartige frei herumfliegende Moleküle
befinden, liefert das Bild eines Gases. Wirken keine äusseren
Kräfte auf die Moleküle, so fliegen diese während der
weitaus grössten Zeit ihrer Bewegung wie abgeschossene
Flintenkugeln in geradlinigen Bahnen mit constanter Geschwin-
digkeit. Nur wenn ein Molekül zufällig sehr nahe an ein
anderes oder an die Gefässwand gelangt, wird es aus seiner
geradlinigen Bahn abgelenkt. Der Druck des Gases erklärt
sich aus der Stosswirkung dieser Moleküle auf die Wand des
Gefässes.

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[8/0022] Einleitung. abgestossen, von D und E aber angezogen und daher gegen seine ursprüngliche Ruhelage zurückgetrieben. Schwingt jedes Molekül um eine derartige Ruhelage, so hat der Körper eine fixe Gestalt; er befindet sich im festen Aggregatzustande. Die einzige Folge der Wärmebewegung wird sein, dass dadurch die Ruhelagen der Moleküle etwas auseinandergedrängt, daher der Körper etwas ausgedehnt wird. Werden aber die Wärme- bewegungen immer lebhafter, so gelangt man endlich zu einem Punkte, wo ein Molekül zwischen seine beiden Nachbarmoleküle hindurchgedrängt wird von der Ruhelage A bis nach A″ (Fig. 1). Es wird dann nicht mehr zu seiner alten Ruhelage zurück- getrieben, sondern verlässt dieselbe bleibend. Findet dies bei vielen Molekülen statt, so müssen dieselben wie Regenwürmer nebeneinander hindurchkriechen, der Körper ist geschmolzen. Mag man diese Vorstellung auch vielleicht roh und kindlich finden, mag dieselbe vielleicht später bedeutend modificirt werden und namentlich die scheinbare Abstossungskraft viel- leicht eine blosse Folge der Bewegung sein, jedenfalls wird man zugeben, dass, wenn die Bewegung der Moleküle über eine gewisse Grenze gewachsen ist, einzelne Moleküle von der Oberfläche des Körpers ganz abgerissen werden und frei in den Raum hinausfliegen müssen; der Körper verdunstet. Be- findet er sich in einem geschlossenen Gefässe, so füllt sich dasselbe mit frei fliegenden Molekülen, und diese dringen hier und da wieder in den Körper ein; sobald die Anzahl der wiedereindringenden im Durchschnitte gleich der Anzahl der sich abreissenden ist, sagt man, dass der Raum des Gefässes mit dem Dampfe des betreffenden Körpers gesättigt ist. Ein genügend grosses geschlossenes Gefäss, in welchem sich ausschliesslich derartige frei herumfliegende Moleküle befinden, liefert das Bild eines Gases. Wirken keine äusseren Kräfte auf die Moleküle, so fliegen diese während der weitaus grössten Zeit ihrer Bewegung wie abgeschossene Flintenkugeln in geradlinigen Bahnen mit constanter Geschwin- digkeit. Nur wenn ein Molekül zufällig sehr nahe an ein anderes oder an die Gefässwand gelangt, wird es aus seiner geradlinigen Bahn abgelenkt. Der Druck des Gases erklärt sich aus der Stosswirkung dieser Moleküle auf die Wand des Gefässes.

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/22>, abgerufen am 16.04.2024.