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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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dieser seiner letzen Kategorie des metaphorischen Ausdruckes pbo_038.002
durch eine lange Ausführung und mehrere Beispiele. [Annotation]

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§ 30. Grammatische Lehre von den Tropen.

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Es erübrigt, darauf einzugehen, wie im Anschluß pbo_038.005
an Aristoteles Rhetoriker und Grammatiker nun versucht pbo_038.006
haben, die Lehre von den Tropen auszubauen. Sie wollen pbo_038.007
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der materiellen in die formale Unterscheidung wie pbo_038.014
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all dies ungeschickte Handwerkszeug kann das innere pbo_038.016
Verständnis der in den Bildern lebenden poetischen Anschauungskraft pbo_038.017
wenig fördern. Es kommt nicht darauf an, pbo_038.018
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zu schaffen (wo man so leicht wohl kein Ende pbo_038.020
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und sie zu erklären.

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Hiezu aber reicht es nicht aus, daß man beobachtet, wie pbo_038.023
sich die poetischen Wendungen gleichsam auf der Oberfläche pbo_038.024
der Sprache bilden. Es gilt, von unten auf Sprachschöpfung pbo_038.025
und Sprachgestaltung zu verfolgen, um zu erkennen, daß das pbo_038.026
poetische Bild keineswegs bloß als äußerlicher künstlicher Schmuck pbo_038.027
auf den Sprachbaum aufgepfropft wird, sondern dessen eigentümliches, pbo_038.028
natürliches Erzeugnis darstellt. Sehr wohl giebt pbo_038.029
Fr. Th. Vischer (Aesth. III. 1221) zu "bedenken, daß, was pbo_038.030
vom prosaischen Standpunkte bloß anhängender Schmuck, vom

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§ 30. Grammatische Lehre von den Tropen.

pbo_038.004
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wenig fördern. Es kommt nicht darauf an, pbo_038.018
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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/42>, abgerufen am 20.04.2024.