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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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Wirkung, an rechter Stelle und in der geeigneten Mischung pbo_042.002
anbringt. Gleichgiltig oder gar unrichtig angebracht, ergeben pbo_042.003
sie Stillosigkeit oder Galimatias, wie wir beides pbo_042.004
gegenwärtig in unserer Zeitungslitteratur genugsam beobachten pbo_042.005
können, einseitig bevorzugt, Manier.

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Beim Versuche, sich unter den Redefiguren zu orientieren, pbo_042.007
halte man fest, daß es sich nur darum handeln kann, entweder pbo_042.008
die Sprachbewegung zu variieren, sie zu beschleunigen pbo_042.009
und aufzuhalten, zu steigern und hinabzuleiten, zu entfesseln pbo_042.010
und festzusetzen, oder ihre einzelnen Ruhepunkte zu fixiren, pbo_042.011
wie man das ja ganz analog ausdrückt: zu pointieren.

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§ 35. Festsetzende (pointierende) Figuren.

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Dem letzeren Zweck dienen in diesem Verstande auch die pbo_042.014
Tropen, und die meisten der hierhergestellten Figuren sind auch pbo_042.015
thatsächlich nichts anderes als Tropen, die nur in ihrer Beziehung pbo_042.016
auf den Jnhalt unter eine ganz bestimmte Rubrik pbo_042.017
gebracht werden können. So enthält eben die schon berührte pbo_042.018
Hyperbel eine fühlbare Uebertreibung des bezeichneten verglichenen pbo_042.019
Verhältnisses. Zu ihr gehört daher jedes eigentliche pbo_042.020
Schimpfwort, zumal der in der hyperbolischen Sprache beliebte pbo_042.021
Tiervergleich. Der Tiervergleich der Urpoesie gehört nicht pbo_042.022
hierher. Er ist reiner Tropus. Denn wenn Homer und pbo_042.023
die Bibel ihre Helden mit Ochsen und Eseln, die Araber mit pbo_042.024
Kamelen, die Veden mit Elefanten vergleichen, so beabsichtigen pbo_042.025
sie etwas anderes, als wenn der Student Ochs, Esel, Kamel pbo_042.026
oder Elefant zur Vergleichung heranzieht. Das steht dann pbo_042.027
vielmehr hyperbolisch als bloße Redefigur für einen hohen, pbo_042.028
unmenschlich scheinenden Grad von Dummheit, Störrigkeit, pbo_042.029
Schwerfälligkeit, schimpflichen Eigenschaften.

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Die Litotes (griech. = Schlichtheit, Einfachheit) will ganz

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Wirkung, an rechter Stelle und in der geeigneten Mischung pbo_042.002
anbringt. Gleichgiltig oder gar unrichtig angebracht, ergeben pbo_042.003
sie Stillosigkeit oder Galimatias, wie wir beides pbo_042.004
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können, einseitig bevorzugt, Manier.

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Beim Versuche, sich unter den Redefiguren zu orientieren, pbo_042.007
halte man fest, daß es sich nur darum handeln kann, entweder pbo_042.008
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wie man das ja ganz analog ausdrückt: zu pointieren.

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§ 35. Festsetzende (pointierende) Figuren.

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Dem letzeren Zweck dienen in diesem Verstande auch die pbo_042.014
Tropen, und die meisten der hierhergestellten Figuren sind auch pbo_042.015
thatsächlich nichts anderes als Tropen, die nur in ihrer Beziehung pbo_042.016
auf den Jnhalt unter eine ganz bestimmte Rubrik pbo_042.017
gebracht werden können. So enthält eben die schon berührte pbo_042.018
Hyperbel eine fühlbare Uebertreibung des bezeichneten verglichenen pbo_042.019
Verhältnisses. Zu ihr gehört daher jedes eigentliche pbo_042.020
Schimpfwort, zumal der in der hyperbolischen Sprache beliebte pbo_042.021
Tiervergleich. Der Tiervergleich der Urpoesie gehört nicht pbo_042.022
hierher. Er ist reiner Tropus. Denn wenn Homer und pbo_042.023
die Bibel ihre Helden mit Ochsen und Eseln, die Araber mit pbo_042.024
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oder Elefant zur Vergleichung heranzieht. Das steht dann pbo_042.027
vielmehr hyperbolisch als bloße Redefigur für einen hohen, pbo_042.028
unmenschlich scheinenden Grad von Dummheit, Störrigkeit, pbo_042.029
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Die Litotes (griech. = Schlichtheit, Einfachheit) will ganz

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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/46>, abgerufen am 24.04.2024.