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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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"in Acht, Kerl"! Schärern hingegen klopfte er
bey den nämlichen Anlässen auf die Schulter, und
nannte ihn mit lächelnder Mine einen braven Bursch;
denn der war immer lustig und wohlgemuths, und
sang bald seine Mäurerlieder, bald den Kühreih'n,
obschon er im Herzen dachte wie ich, aber es besser
verbergen konnte. Ein andermal freylich faßt' ich
dann wieder Muth, und dachte: Gott wird alles
wohl machen! Wenn ich vollends Markoni -- der
doch keine geringe Schuld an meinem Unglück war --
auf dem Marsch oder im Lager erblickte, war's mir
immer, ich sehe meinen Vater oder meinen beßten
Freund; wenn er mir zumal vom Pferd herunter
seine Hand bot, die meinige traulich schüttelte --
mir mit liebreicher Wehmuth gleichsam in die Seele
'nein guckte: "Wie geht's, Ollrich! wie geht's?
"'s wird schon besser kommen"! zu mir sagte, und,
ohne meine Antwort zu erwarten, dieselbe aus mei-
nem thränenschimmernden Aug' lesen wollte. O!
ich wünsche dem Mann, wo er immer todt oder le-
bendig seyn mag, noch auf den heutigen Tag alles
Gute; denn von Pirna weg ist er mir nie mehr zu
Gesicht gekommen. -- Mittlerweile hatten wir alle
Morgen die gemessene Ordre erhalten, scharf zu la-
den; dieses veranlaßte unter den ältern Soldaten
immer ein Gerede: "Heute giebt's was! Heut setzt's
"gewiß was ab"! Dann schwitzten wir Jungen frey-
lich an allen Fingern, wenn wir irgend bey einem
Gebüsch' oder Gehölz' vorbeymarschierten, und uns
verfaßt halten mußten. Da spitzte jeder stillschwei-

K

„in Acht, Kerl„! Schärern hingegen klopfte er
bey den naͤmlichen Anlaͤſſen auf die Schulter, und
nannte ihn mit laͤchelnder Mine einen braven Burſch;
denn der war immer luſtig und wohlgemuths, und
ſang bald ſeine Maͤurerlieder, bald den Kuͤhreih’n,
obſchon er im Herzen dachte wie ich, aber es beſſer
verbergen konnte. Ein andermal freylich faßt’ ich
dann wieder Muth, und dachte: Gott wird alles
wohl machen! Wenn ich vollends Markoni — der
doch keine geringe Schuld an meinem Ungluͤck war —
auf dem Marſch oder im Lager erblickte, war’s mir
immer, ich ſehe meinen Vater oder meinen beßten
Freund; wenn er mir zumal vom Pferd herunter
ſeine Hand bot, die meinige traulich ſchuͤttelte —
mir mit liebreicher Wehmuth gleichſam in die Seele
’nein guckte: „Wie geht’s, Ollrich! wie geht’s?
„’s wird ſchon beſſer kommen„! zu mir ſagte, und,
ohne meine Antwort zu erwarten, dieſelbe aus mei-
nem thraͤnenſchimmernden Aug’ leſen wollte. O!
ich wuͤnſche dem Mann, wo er immer todt oder le-
bendig ſeyn mag, noch auf den heutigen Tag alles
Gute; denn von Pirna weg iſt er mir nie mehr zu
Geſicht gekommen. — Mittlerweile hatten wir alle
Morgen die gemeſſene Ordre erhalten, ſcharf zu la-
den; dieſes veranlaßte unter den aͤltern Soldaten
immer ein Gerede: „Heute giebt’s was! Heut ſetzt’s
„gewiß was ab„! Dann ſchwitzten wir Jungen frey-
lich an allen Fingern, wenn wir irgend bey einem
Gebuͤſch’ oder Gehoͤlz’ vorbeymarſchierten, und uns
verfaßt halten mußten. Da ſpitzte jeder ſtillſchwei-

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[145/0161] „in Acht, Kerl„! Schärern hingegen klopfte er bey den naͤmlichen Anlaͤſſen auf die Schulter, und nannte ihn mit laͤchelnder Mine einen braven Burſch; denn der war immer luſtig und wohlgemuths, und ſang bald ſeine Maͤurerlieder, bald den Kuͤhreih’n, obſchon er im Herzen dachte wie ich, aber es beſſer verbergen konnte. Ein andermal freylich faßt’ ich dann wieder Muth, und dachte: Gott wird alles wohl machen! Wenn ich vollends Markoni — der doch keine geringe Schuld an meinem Ungluͤck war — auf dem Marſch oder im Lager erblickte, war’s mir immer, ich ſehe meinen Vater oder meinen beßten Freund; wenn er mir zumal vom Pferd herunter ſeine Hand bot, die meinige traulich ſchuͤttelte — mir mit liebreicher Wehmuth gleichſam in die Seele ’nein guckte: „Wie geht’s, Ollrich! wie geht’s? „’s wird ſchon beſſer kommen„! zu mir ſagte, und, ohne meine Antwort zu erwarten, dieſelbe aus mei- nem thraͤnenſchimmernden Aug’ leſen wollte. O! ich wuͤnſche dem Mann, wo er immer todt oder le- bendig ſeyn mag, noch auf den heutigen Tag alles Gute; denn von Pirna weg iſt er mir nie mehr zu Geſicht gekommen. — Mittlerweile hatten wir alle Morgen die gemeſſene Ordre erhalten, ſcharf zu la- den; dieſes veranlaßte unter den aͤltern Soldaten immer ein Gerede: „Heute giebt’s was! Heut ſetzt’s „gewiß was ab„! Dann ſchwitzten wir Jungen frey- lich an allen Fingern, wenn wir irgend bey einem Gebuͤſch’ oder Gehoͤlz’ vorbeymarſchierten, und uns verfaßt halten mußten. Da ſpitzte jeder ſtillſchwei- K

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/161>, abgerufen am 25.04.2024.