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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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"beyseite legen konntest. Du magst und kannst's al-
"so nicht aufgeben. Thätest du's, müßtest du gleich
"deine Schulden bezahlen; und das wär' dir itzt pur
"unmöglich". Auch in andern Punkten gieng's mir
nicht besser. Mein kleiner Vorrath von Erdapfeln
und anderm Gemüß aus meinem Gärtchen, was mir
die Dieben übriggelassen, war aufgezehrt; ich muß-
te mich also Tag für Tag aus der Mühle verprovian-
tiren; das kostete mich am End der Woche eine hüb-
sche Handvell Münze, nur vor Rothmähl und Rauch-
brodt. Dennoch war ich noch immer guter Hoffnung;
hatte auch nicht Eine schlaflose Nacht, und sagte alle-
weil: "Der Himmel wird schon sorgen, und noch
"alles zum Beßten lenken"! "Ja"! rispostirte dann
meine Jöbin: "Wie du's verdient; Ich bin un-
"schuldig. Hätt'st du die gute Zeit in Obacht ge-
"nommen, du Schlingel! und deine Hände mehr in
"den Teig gesteckt, als deine Nase in die Bücher".
-- "Sie hat Recht"! dacht' ich dann; "aber
"der Himmel wird doch sorgen" -- und schwieg.
Freylich konnt' ich meine schuldlosen Kinder unmög-
lich hungerleiden sehn, so lang ich noch Kredit fand.
Die Noth stieg um diese Zeit so hoch, daß viele ei-
gentlich blutarme Leuthe kaum den Frühling erwar-
ten mochten, wo sie Wurzeln und Kräuter finden konn-
ten. Auch ich kochte allerhand dergleichen, und härte
meine jungen Vögel noch immer lieber mit frischem
Laub genährt, als es einem meiner erbarmenswürdi-
gen Landsmänner nachgemacht, dem ich mit eignen
Augen zusah, wie er mit seinen Kindern von einem

„beyſeite legen konnteſt. Du magſt und kannſt’s al-
„ſo nicht aufgeben. Thaͤteſt du’s, muͤßteſt du gleich
„deine Schulden bezahlen; und das waͤr’ dir itzt pur
„unmoͤglich„. Auch in andern Punkten gieng’s mir
nicht beſſer. Mein kleiner Vorrath von Erdapfeln
und anderm Gemuͤß aus meinem Gaͤrtchen, was mir
die Dieben uͤbriggelaſſen, war aufgezehrt; ich muß-
te mich alſo Tag fuͤr Tag aus der Muͤhle verprovian-
tiren; das koſtete mich am End der Woche eine huͤb-
ſche Handvell Muͤnze, nur vor Rothmaͤhl und Rauch-
brodt. Dennoch war ich noch immer guter Hoffnung;
hatte auch nicht Eine ſchlafloſe Nacht, und ſagte alle-
weil: „Der Himmel wird ſchon ſorgen, und noch
„alles zum Beßten lenken„! „Ja„! riſpoſtirte dann
meine Joͤbin: „Wie du’s verdient; Ich bin un-
„ſchuldig. Haͤtt’ſt du die gute Zeit in Obacht ge-
„nommen, du Schlingel! und deine Haͤnde mehr in
„den Teig geſteckt, als deine Naſe in die Buͤcher„.
— „Sie hat Recht„! dacht’ ich dann; „aber
„der Himmel wird doch ſorgen„ — und ſchwieg.
Freylich konnt’ ich meine ſchuldloſen Kinder unmoͤg-
lich hungerleiden ſehn, ſo lang ich noch Kredit fand.
Die Noth ſtieg um dieſe Zeit ſo hoch, daß viele ei-
gentlich blutarme Leuthe kaum den Fruͤhling erwar-
ten mochten, wo ſie Wurzeln und Kraͤuter finden konn-
ten. Auch ich kochte allerhand dergleichen, und haͤrte
meine jungen Voͤgel noch immer lieber mit friſchem
Laub genaͤhrt, als es einem meiner erbarmenswuͤrdi-
gen Landsmaͤnner nachgemacht, dem ich mit eignen
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[197/0213] „beyſeite legen konnteſt. Du magſt und kannſt’s al- „ſo nicht aufgeben. Thaͤteſt du’s, muͤßteſt du gleich „deine Schulden bezahlen; und das waͤr’ dir itzt pur „unmoͤglich„. Auch in andern Punkten gieng’s mir nicht beſſer. Mein kleiner Vorrath von Erdapfeln und anderm Gemuͤß aus meinem Gaͤrtchen, was mir die Dieben uͤbriggelaſſen, war aufgezehrt; ich muß- te mich alſo Tag fuͤr Tag aus der Muͤhle verprovian- tiren; das koſtete mich am End der Woche eine huͤb- ſche Handvell Muͤnze, nur vor Rothmaͤhl und Rauch- brodt. Dennoch war ich noch immer guter Hoffnung; hatte auch nicht Eine ſchlafloſe Nacht, und ſagte alle- weil: „Der Himmel wird ſchon ſorgen, und noch „alles zum Beßten lenken„! „Ja„! riſpoſtirte dann meine Joͤbin: „Wie du’s verdient; Ich bin un- „ſchuldig. Haͤtt’ſt du die gute Zeit in Obacht ge- „nommen, du Schlingel! und deine Haͤnde mehr in „den Teig geſteckt, als deine Naſe in die Buͤcher„. — „Sie hat Recht„! dacht’ ich dann; „aber „der Himmel wird doch ſorgen„ — und ſchwieg. Freylich konnt’ ich meine ſchuldloſen Kinder unmoͤg- lich hungerleiden ſehn, ſo lang ich noch Kredit fand. Die Noth ſtieg um dieſe Zeit ſo hoch, daß viele ei- gentlich blutarme Leuthe kaum den Fruͤhling erwar- ten mochten, wo ſie Wurzeln und Kraͤuter finden konn- ten. Auch ich kochte allerhand dergleichen, und haͤrte meine jungen Voͤgel noch immer lieber mit friſchem Laub genaͤhrt, als es einem meiner erbarmenswuͤrdi- gen Landsmaͤnner nachgemacht, dem ich mit eignen Augen zuſah, wie er mit ſeinen Kindern von einem

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/213>, abgerufen am 19.04.2024.