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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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wollte. Ich hatte schon A. 71 oder 72. meine We-
berey, obgleich mit ziemlichem Verlust ab mir gela-
den; das brachte mir eben auch nicht den beßten Ruf;
denn mein Baumwollenbrauch wurde dadurch geringer
-- also mein Baumwollenherr unzufrieden und mür-
risch. Desto eher sollt' ich die alten Baumwollenschul-
den bezahlen, und konnt' es doch desto weniger. So
verstrich ein Jahr nach dem andern. Bald flößte
mir mein guter Geist frischen Muth und neue Hoff-
nung ein, daß mir doch noch einst durch die Zeit zu
helfen seyn werde: Nur allzuoft aber verfiel ich wieder
in düstere Schwermuth; und zwar, die Wahrheit zu
gestehen, meist wenn ich zahlen sollte, und doch we-
der aus noch ein wußte. Und da ich mich, wie schon
oft gesagt, keiner Seele glaubte entdecken zu dürfen,
nahm ich in diesen muthlosen Stunden meine Zuflucht
zum Lesen und Schreiben; lehnte und durchstänkerte
jedes Buch das ich kriegen konnte, in der Hoffnung
etwas zu finden das auf meinen Zustand paßte; fieng
halbe Nächte durch weisse und schwarze Grillen, und
fand allemal Erleichterung, wenn ich meine gedrängte
Brust aufs Papier ausschütten konnte; klagte da mei-
ne Lage schriftlich meinem Vater im Himmel, befahl
ihm alle meine Sachen, fest überzeugt, Er meine es
doch am beßten mit mir; Er kenne am genauesten
meine ganze Lage, und werde noch alles zum Guten
lenken. Dann ward der Entschluß fest bey mir, die
Dinge die da kommen sollten, ruhig abzuwarten wie
sie kommen würden; und in solcher Gemüthsstim-
mung gieng ich allemal zufrieden zu Bette, und schlief
wie ein König.

wollte. Ich hatte ſchon A. 71 oder 72. meine We-
berey, obgleich mit ziemlichem Verluſt ab mir gela-
den; das brachte mir eben auch nicht den beßten Ruf;
denn mein Baumwollenbrauch wurde dadurch geringer
— alſo mein Baumwollenherr unzufrieden und muͤr-
riſch. Deſto eher ſollt’ ich die alten Baumwollenſchul-
den bezahlen, und konnt’ es doch deſto weniger. So
verſtrich ein Jahr nach dem andern. Bald floͤßte
mir mein guter Geiſt friſchen Muth und neue Hoff-
nung ein, daß mir doch noch einſt durch die Zeit zu
helfen ſeyn werde: Nur allzuoft aber verfiel ich wieder
in duͤſtere Schwermuth; und zwar, die Wahrheit zu
geſtehen, meiſt wenn ich zahlen ſollte, und doch we-
der aus noch ein wußte. Und da ich mich, wie ſchon
oft geſagt, keiner Seele glaubte entdecken zu duͤrfen,
nahm ich in dieſen muthloſen Stunden meine Zuflucht
zum Leſen und Schreiben; lehnte und durchſtaͤnkerte
jedes Buch das ich kriegen konnte, in der Hoffnung
etwas zu finden das auf meinen Zuſtand paßte; fieng
halbe Naͤchte durch weiſſe und ſchwarze Grillen, und
fand allemal Erleichterung, wenn ich meine gedraͤngte
Bruſt aufs Papier ausſchuͤtten konnte; klagte da mei-
ne Lage ſchriftlich meinem Vater im Himmel, befahl
ihm alle meine Sachen, feſt uͤberzeugt, Er meine es
doch am beßten mit mir; Er kenne am genaueſten
meine ganze Lage, und werde noch alles zum Guten
lenken. Dann ward der Entſchluß feſt bey mir, die
Dinge die da kommen ſollten, ruhig abzuwarten wie
ſie kommen wuͤrden; und in ſolcher Gemuͤthsſtim-
mung gieng ich allemal zufrieden zu Bette, und ſchlief
wie ein Koͤnig.

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[207/0223] wollte. Ich hatte ſchon A. 71 oder 72. meine We- berey, obgleich mit ziemlichem Verluſt ab mir gela- den; das brachte mir eben auch nicht den beßten Ruf; denn mein Baumwollenbrauch wurde dadurch geringer — alſo mein Baumwollenherr unzufrieden und muͤr- riſch. Deſto eher ſollt’ ich die alten Baumwollenſchul- den bezahlen, und konnt’ es doch deſto weniger. So verſtrich ein Jahr nach dem andern. Bald floͤßte mir mein guter Geiſt friſchen Muth und neue Hoff- nung ein, daß mir doch noch einſt durch die Zeit zu helfen ſeyn werde: Nur allzuoft aber verfiel ich wieder in duͤſtere Schwermuth; und zwar, die Wahrheit zu geſtehen, meiſt wenn ich zahlen ſollte, und doch we- der aus noch ein wußte. Und da ich mich, wie ſchon oft geſagt, keiner Seele glaubte entdecken zu duͤrfen, nahm ich in dieſen muthloſen Stunden meine Zuflucht zum Leſen und Schreiben; lehnte und durchſtaͤnkerte jedes Buch das ich kriegen konnte, in der Hoffnung etwas zu finden das auf meinen Zuſtand paßte; fieng halbe Naͤchte durch weiſſe und ſchwarze Grillen, und fand allemal Erleichterung, wenn ich meine gedraͤngte Bruſt aufs Papier ausſchuͤtten konnte; klagte da mei- ne Lage ſchriftlich meinem Vater im Himmel, befahl ihm alle meine Sachen, feſt uͤberzeugt, Er meine es doch am beßten mit mir; Er kenne am genaueſten meine ganze Lage, und werde noch alles zum Guten lenken. Dann ward der Entſchluß feſt bey mir, die Dinge die da kommen ſollten, ruhig abzuwarten wie ſie kommen wuͤrden; und in ſolcher Gemuͤthsſtim- mung gieng ich allemal zufrieden zu Bette, und ſchlief wie ein Koͤnig.

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/223>, abgerufen am 28.03.2024.