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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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bin der älteste Sohn eines blutarmen Vaters von 11.
Kindern, der in einem wilden Schneeberg unsers Lands
erzogen ward, und bis in sein sechszehntes Jahr fast
ohne allen Unterricht blieb, da ich zum H. Nacht-
mahl unterwiesen wurde, auch von selbst ein wenig
schreiben lernte, weil ich grosse Lust dazu hatte. Mein
sel. Vater mußte unter seiner Schuldenlast erliegen,
Haus und Heimath verlassen, und mit seiner zahl-
reichen Familie unterzukommen suchen, wo er konnte
und mochte, und Arbeit und ein kümmerliches Brodt
für uns zu finden war. Die Hälfte von uns war
damals noch unerzogen. Bis in mein neunzehntes
Jahr blieb mir die Welt ganz unbekannt, als ein
schlauer Betrüger mich auf Schaffhausen führte,
um, wie er sagte, mir einen Herrendienst zu ver-
schaffen. Mein Vater war's zufrieden -- und ich
wurde, ohne mein Wissen, an einen preußischen
Werber verkauft, der mich freylich so lange als sei-
nen Bedienten hielt, bis ich nach Berlin kam, wo
man mich unter die Soldaten steckte -- und noch itzt
nicht begreifen wollte, wie man mich so habe betrie-
gen können. Es gieng eben ins Feld. O wie mußt'
ich da meine vorigen in Leichtsinn vollbrachten guten
Tage so theuer büssen! Doch ich flehte zu Gott, und
er half mir ins Vater and. In der ersten Schlacht
bey Lowositz nämlich, kam ich wieder auf freyen Fuß,
und kehrte sofort nach Hause. In dem Städtgen Rhei-
neck
küßt' ich zum erstenmal wieder die Schweitzer-
Erde, und schätzte mich für den glücklichsten Mann,
ob ich schon nichts als ein Paar Brandenburgische

bin der aͤlteſte Sohn eines blutarmen Vaters von 11.
Kindern, der in einem wilden Schneeberg unſers Lands
erzogen ward, und bis in ſein ſechszehntes Jahr faſt
ohne allen Unterricht blieb, da ich zum H. Nacht-
mahl unterwieſen wurde, auch von ſelbſt ein wenig
ſchreiben lernte, weil ich groſſe Luſt dazu hatte. Mein
ſel. Vater mußte unter ſeiner Schuldenlaſt erliegen,
Haus und Heimath verlaſſen, und mit ſeiner zahl-
reichen Familie unterzukommen ſuchen, wo er konnte
und mochte, und Arbeit und ein kuͤmmerliches Brodt
fuͤr uns zu finden war. Die Haͤlfte von uns war
damals noch unerzogen. Bis in mein neunzehntes
Jahr blieb mir die Welt ganz unbekannt, als ein
ſchlauer Betruͤger mich auf Schaffhauſen fuͤhrte,
um, wie er ſagte, mir einen Herrendienſt zu ver-
ſchaffen. Mein Vater war’s zufrieden — und ich
wurde, ohne mein Wiſſen, an einen preußiſchen
Werber verkauft, der mich freylich ſo lange als ſei-
nen Bedienten hielt, bis ich nach Berlin kam, wo
man mich unter die Soldaten ſteckte — und noch itzt
nicht begreifen wollte, wie man mich ſo habe betrie-
gen koͤnnen. Es gieng eben ins Feld. O wie mußt’
ich da meine vorigen in Leichtſinn vollbrachten guten
Tage ſo theuer buͤſſen! Doch ich flehte zu Gott, und
er half mir ins Vater and. In der erſten Schlacht
bey Lowoſitz naͤmlich, kam ich wieder auf freyen Fuß,
und kehrte ſofort nach Hauſe. In dem Staͤdtgen Rhei-
neck
kuͤßt’ ich zum erſtenmal wieder die Schweitzer-
Erde, und ſchaͤtzte mich fuͤr den gluͤcklichſten Mann,
ob ich ſchon nichts als ein Paar Brandenburgiſche

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[220/0236] bin der aͤlteſte Sohn eines blutarmen Vaters von 11. Kindern, der in einem wilden Schneeberg unſers Lands erzogen ward, und bis in ſein ſechszehntes Jahr faſt ohne allen Unterricht blieb, da ich zum H. Nacht- mahl unterwieſen wurde, auch von ſelbſt ein wenig ſchreiben lernte, weil ich groſſe Luſt dazu hatte. Mein ſel. Vater mußte unter ſeiner Schuldenlaſt erliegen, Haus und Heimath verlaſſen, und mit ſeiner zahl- reichen Familie unterzukommen ſuchen, wo er konnte und mochte, und Arbeit und ein kuͤmmerliches Brodt fuͤr uns zu finden war. Die Haͤlfte von uns war damals noch unerzogen. Bis in mein neunzehntes Jahr blieb mir die Welt ganz unbekannt, als ein ſchlauer Betruͤger mich auf Schaffhauſen fuͤhrte, um, wie er ſagte, mir einen Herrendienſt zu ver- ſchaffen. Mein Vater war’s zufrieden — und ich wurde, ohne mein Wiſſen, an einen preußiſchen Werber verkauft, der mich freylich ſo lange als ſei- nen Bedienten hielt, bis ich nach Berlin kam, wo man mich unter die Soldaten ſteckte — und noch itzt nicht begreifen wollte, wie man mich ſo habe betrie- gen koͤnnen. Es gieng eben ins Feld. O wie mußt’ ich da meine vorigen in Leichtſinn vollbrachten guten Tage ſo theuer buͤſſen! Doch ich flehte zu Gott, und er half mir ins Vater and. In der erſten Schlacht bey Lowoſitz naͤmlich, kam ich wieder auf freyen Fuß, und kehrte ſofort nach Hauſe. In dem Staͤdtgen Rhei- neck kuͤßt’ ich zum erſtenmal wieder die Schweitzer- Erde, und ſchaͤtzte mich fuͤr den gluͤcklichſten Mann, ob ich ſchon nichts als ein Paar Brandenburgiſche

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/236>, abgerufen am 25.04.2024.