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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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Aber diese Zölle sind es nicht allein, die die Lebenshaltung der
Arbeiter nothwendig niederdrücken werden. Schon hat die Absperrung
der Grenzen vor ausländischem Vieh und das diese Absperrung noch
verschärfende Fleischbeschau-Gesetz die Fleischpreise so in die Höhe
geschraubt, daß sie pro Pfund diesseits und jenseits der deutschen
Grenzen häufig einen Unterschied zwischen 20 bis 30 Pf. aufweisen, -
in russischen Grenzorten kostet z. B. das Schweinefleisch 20--25 Pf.
pro Pfund, - und selbst das Pferdefleisch, dessen Konsum unter
diesen Umständen steigt, theurer geworden ist. Natürlich kommen
diese Zustände wieder nur den Großgrundbesitzern zu gute, die,
sobald die Einfuhr an Vieh eingeschränkt wird, im Stande sind, ihr
eigenes Vieh möglichst theuer zu verkaufen. Sie können das um
so mehr, als die deutsche Landwirthschaft im Verhältniß zur Zahl
und zum Wachsthum der Bevölkerung einen viel zu geringen Vieh-
bestand besitzt und außer Stande ist, ihn in kurzer Zeit so zu er-
höhen, wie er dem Fleischbedarf entsprechen würde. Unverantwort-
lich erscheint es dieser Thatsache gegenüber, daß die noch vorhandene
Möglichkeit der Vieheinfuhr durch die geplanten Viehzölle vollends
unterbunden wird. Der Fortfall der Einfuhr würde für das deutsche
Volk ein Manko von 7 Millionen Rindern und Schweinen bedeuten,
der durch die Produktion der deutschen Landwirthschaft um so weniger
sofort wett gemacht werden könnte, als sie vierzig Jahre brauchte,
um auch nur 3 1/2 Millionen Stück Vieh mehr hervorzubringen.
Dabei verbraucht die deutsche Bevölkerung anerkanntermaßen so wie so
nur wenig Fleisch: pro Jahr und Kopf wurde ein Konsum von
34 Kilogramm festgestellt, während die Engländer 52 Kilogramm
verzehren. Schon heute kann die Masse der Proletarier sich Fleisch
nur an Sonn- und Feiertagen leisten; schon heute ist seine Be-
schaffenheit meist jämmerlich, sein Nährwerth ein minimaler. Und
schon heute zeigen sich die Folgen einer ungenügenden Zufuhr der
dem Körper nöthigsten Stoffe: die Rekruten-Aushebungen, die von
Jahr zu Jahr schlechtere Resultate ergeben, sprechen dafür. Die
Junker aber, die Agrarier, die Großgrundbesitzer, die ihre Sorge um
die Erhaltung des Staates in seiner gegenwärtigen Gestalt mit so
viel Aufwand an tönenden Worten stets im Munde führen, zeigen,
daß sie im Grunde auch nur ums goldene Kalb tanzen: denn sie
sind es, die durch ihr Geschrei nach hohen Brot- und Viehzöllen die
Tüchtigkeit der Armee, jener werthvollsten Stütze von Thron und
Altar, zu verringern trachten. Sie haben ihr Ziel erreicht; das
Fleisch wird vollends vom Tische des Arbeiters verschwinden und
durch ein Mehr an Kartoffeln ersetzt werden müssen. Für ihre
Unersättlichkeit sind aber all diese Zölle noch nicht genug. Damit sich
das Volk die fehlenden Nährstoffe auch ja nicht auf andere Weise
verschaffen kann - z. B. durch einen stärkeren Zucker-, Obst-,
Butter- und Eierkonsum -, hat die Regierung ihnen den Liebes-
dienst erwiesen, all diese Lebensmittel mit Zöllen zu belasten. Das

Aber diese Zölle sind es nicht allein, die die Lebenshaltung der
Arbeiter nothwendig niederdrücken werden. Schon hat die Absperrung
der Grenzen vor ausländischem Vieh und das diese Absperrung noch
verschärfende Fleischbeschau-Gesetz die Fleischpreise so in die Höhe
geschraubt, daß sie pro Pfund diesseits und jenseits der deutschen
Grenzen häufig einen Unterschied zwischen 20 bis 30 Pf. aufweisen, –
in russischen Grenzorten kostet z. B. das Schweinefleisch 20—25 Pf.
pro Pfund, – und selbst das Pferdefleisch, dessen Konsum unter
diesen Umständen steigt, theurer geworden ist. Natürlich kommen
diese Zustände wieder nur den Großgrundbesitzern zu gute, die,
sobald die Einfuhr an Vieh eingeschränkt wird, im Stande sind, ihr
eigenes Vieh möglichst theuer zu verkaufen. Sie können das um
so mehr, als die deutsche Landwirthschaft im Verhältniß zur Zahl
und zum Wachsthum der Bevölkerung einen viel zu geringen Vieh-
bestand besitzt und außer Stande ist, ihn in kurzer Zeit so zu er-
höhen, wie er dem Fleischbedarf entsprechen würde. Unverantwort-
lich erscheint es dieser Thatsache gegenüber, daß die noch vorhandene
Möglichkeit der Vieheinfuhr durch die geplanten Viehzölle vollends
unterbunden wird. Der Fortfall der Einfuhr würde für das deutsche
Volk ein Manko von 7 Millionen Rindern und Schweinen bedeuten,
der durch die Produktion der deutschen Landwirthschaft um so weniger
sofort wett gemacht werden könnte, als sie vierzig Jahre brauchte,
um auch nur 3 ½ Millionen Stück Vieh mehr hervorzubringen.
Dabei verbraucht die deutsche Bevölkerung anerkanntermaßen so wie so
nur wenig Fleisch: pro Jahr und Kopf wurde ein Konsum von
34 Kilogramm festgestellt, während die Engländer 52 Kilogramm
verzehren. Schon heute kann die Masse der Proletarier sich Fleisch
nur an Sonn- und Feiertagen leisten; schon heute ist seine Be-
schaffenheit meist jämmerlich, sein Nährwerth ein minimaler. Und
schon heute zeigen sich die Folgen einer ungenügenden Zufuhr der
dem Körper nöthigsten Stoffe: die Rekruten-Aushebungen, die von
Jahr zu Jahr schlechtere Resultate ergeben, sprechen dafür. Die
Junker aber, die Agrarier, die Großgrundbesitzer, die ihre Sorge um
die Erhaltung des Staates in seiner gegenwärtigen Gestalt mit so
viel Aufwand an tönenden Worten stets im Munde führen, zeigen,
daß sie im Grunde auch nur ums goldene Kalb tanzen: denn sie
sind es, die durch ihr Geschrei nach hohen Brot- und Viehzöllen die
Tüchtigkeit der Armee, jener werthvollsten Stütze von Thron und
Altar, zu verringern trachten. Sie haben ihr Ziel erreicht; das
Fleisch wird vollends vom Tische des Arbeiters verschwinden und
durch ein Mehr an Kartoffeln ersetzt werden müssen. Für ihre
Unersättlichkeit sind aber all diese Zölle noch nicht genug. Damit sich
das Volk die fehlenden Nährstoffe auch ja nicht auf andere Weise
verschaffen kann – z. B. durch einen stärkeren Zucker-, Obst-,
Butter- und Eierkonsum –, hat die Regierung ihnen den Liebes-
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[26/0025] Aber diese Zölle sind es nicht allein, die die Lebenshaltung der Arbeiter nothwendig niederdrücken werden. Schon hat die Absperrung der Grenzen vor ausländischem Vieh und das diese Absperrung noch verschärfende Fleischbeschau-Gesetz die Fleischpreise so in die Höhe geschraubt, daß sie pro Pfund diesseits und jenseits der deutschen Grenzen häufig einen Unterschied zwischen 20 bis 30 Pf. aufweisen, – in russischen Grenzorten kostet z. B. das Schweinefleisch 20—25 Pf. pro Pfund, – und selbst das Pferdefleisch, dessen Konsum unter diesen Umständen steigt, theurer geworden ist. Natürlich kommen diese Zustände wieder nur den Großgrundbesitzern zu gute, die, sobald die Einfuhr an Vieh eingeschränkt wird, im Stande sind, ihr eigenes Vieh möglichst theuer zu verkaufen. Sie können das um so mehr, als die deutsche Landwirthschaft im Verhältniß zur Zahl und zum Wachsthum der Bevölkerung einen viel zu geringen Vieh- bestand besitzt und außer Stande ist, ihn in kurzer Zeit so zu er- höhen, wie er dem Fleischbedarf entsprechen würde. Unverantwort- lich erscheint es dieser Thatsache gegenüber, daß die noch vorhandene Möglichkeit der Vieheinfuhr durch die geplanten Viehzölle vollends unterbunden wird. Der Fortfall der Einfuhr würde für das deutsche Volk ein Manko von 7 Millionen Rindern und Schweinen bedeuten, der durch die Produktion der deutschen Landwirthschaft um so weniger sofort wett gemacht werden könnte, als sie vierzig Jahre brauchte, um auch nur 3 ½ Millionen Stück Vieh mehr hervorzubringen. Dabei verbraucht die deutsche Bevölkerung anerkanntermaßen so wie so nur wenig Fleisch: pro Jahr und Kopf wurde ein Konsum von 34 Kilogramm festgestellt, während die Engländer 52 Kilogramm verzehren. Schon heute kann die Masse der Proletarier sich Fleisch nur an Sonn- und Feiertagen leisten; schon heute ist seine Be- schaffenheit meist jämmerlich, sein Nährwerth ein minimaler. Und schon heute zeigen sich die Folgen einer ungenügenden Zufuhr der dem Körper nöthigsten Stoffe: die Rekruten-Aushebungen, die von Jahr zu Jahr schlechtere Resultate ergeben, sprechen dafür. Die Junker aber, die Agrarier, die Großgrundbesitzer, die ihre Sorge um die Erhaltung des Staates in seiner gegenwärtigen Gestalt mit so viel Aufwand an tönenden Worten stets im Munde führen, zeigen, daß sie im Grunde auch nur ums goldene Kalb tanzen: denn sie sind es, die durch ihr Geschrei nach hohen Brot- und Viehzöllen die Tüchtigkeit der Armee, jener werthvollsten Stütze von Thron und Altar, zu verringern trachten. Sie haben ihr Ziel erreicht; das Fleisch wird vollends vom Tische des Arbeiters verschwinden und durch ein Mehr an Kartoffeln ersetzt werden müssen. Für ihre Unersättlichkeit sind aber all diese Zölle noch nicht genug. Damit sich das Volk die fehlenden Nährstoffe auch ja nicht auf andere Weise verschaffen kann – z. B. durch einen stärkeren Zucker-, Obst-, Butter- und Eierkonsum –, hat die Regierung ihnen den Liebes- dienst erwiesen, all diese Lebensmittel mit Zöllen zu belasten. Das

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/25>, abgerufen am 29.03.2024.