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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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noch durch das Elend ihrer Kinder aufgerüttelt wird aus ihrem
dumm-zufriedenen Traumleben? Jch glaube es nicht; könnten wir
nur mit unserer Stimme die Ohren aller Frauen erreichen, wir
würden auch ihre Herzen gewinnen; und aus den Millionen, die un-
wissend und verängstigt abseits stehen und kaum wissen, was um sie
her geschieht, würde ein Heer opfermuthiger Heldinnen sich formen,
an dessen Fahnen der Sieg sich heftet.




5. Die Parteien und die Frauen.

Die Zahl der politischen Parteien in Deutschland pflegt den
Uneingeweihten zunächst zu verwirren; es giebt ihrer nicht weniger
als vierzehn: die Deutschkonservativen, die Freikonservativen, der
Bund der Landwirte, der Bauernbund, das Zentrum, die Polen, die
Elsässer, die Welfen, die Antisemiten, die Nationalliberalen, die
Freisinnige Vereinigung, die Freisinnige Volkspartei, die Süddeutsche
Volkspartei, die Sozialdemokratie. Aber trotz dieser Anzahl sind
die Unterschiede zwischen der weitaus größten Menge dieser Parteien
nicht so tiefgreifende, daß ihre Kenntniß dadurch erschwert würde.
Vor allem lassen sie sich in zwei große Gruppen eintheilen: die eine
umfaßt alle diejenigen Parteien, die auf dem Boden der gegen-
wärtigen Gesellschaftsordnung stehen und sie erhalten wollen, es sind
ihrer gerade dreizehn - eine böse Zahl! Die andere, zu der allein
die Sozialdemokratie gehört, bekämpft sie - die kapitalistische -
und will an ihre Stelle eine sozialistische setzen, in der der Gegensatz
zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Kapitalisten und Proletariern,
nicht mehr existiren soll. Die dreizehn Parteien der ersten Gruppe,
die man kurzweg die bürgerlichen zu nennen pflegt, sind einig in
der Bekämpfung der Partei der zweiten Gruppe, der Vertretung
des Proletariats, unter sich aber weisen sie eine Reihe wichtiger
Differenzen auf, die wir hier nur soweit verfolgen können, als sie
für die Jnteressen der Frauen in Betracht kommen. Denn sobald
zugegeben wird, daß die Politik ihres Landes für die Frauen nicht
gleichgültig sein kann, sobald wird auch der Nachweis verlangt werden
müssen, welche politische Richtung mit ihren Jnteressen im Ein-
klang steht.

Die Konservativen aller Schattirungen - die Deutsch-
Konservativen, die Freikonservativen, der Bund der Landwirthe, der
Bauernbund - haben sich um die Wünsche und Bedürfnisse der
Frauen bisher sehr wenig gekümmert. Sie stehen auf dem Stand-
punkt: "Die Frau gehört ins Haus" und vertreten ihn, blind für
die thatsächlichen Verhältnisse. Sie kämpfen daher gegen jede Er-
weiterung der Frauenrechte, gegen jeden Versuch, die Abhängigkeit

noch durch das Elend ihrer Kinder aufgerüttelt wird aus ihrem
dumm-zufriedenen Traumleben? Jch glaube es nicht; könnten wir
nur mit unserer Stimme die Ohren aller Frauen erreichen, wir
würden auch ihre Herzen gewinnen; und aus den Millionen, die un-
wissend und verängstigt abseits stehen und kaum wissen, was um sie
her geschieht, würde ein Heer opfermuthiger Heldinnen sich formen,
an dessen Fahnen der Sieg sich heftet.




5. Die Parteien und die Frauen.

Die Zahl der politischen Parteien in Deutschland pflegt den
Uneingeweihten zunächst zu verwirren; es giebt ihrer nicht weniger
als vierzehn: die Deutschkonservativen, die Freikonservativen, der
Bund der Landwirte, der Bauernbund, das Zentrum, die Polen, die
Elsässer, die Welfen, die Antisemiten, die Nationalliberalen, die
Freisinnige Vereinigung, die Freisinnige Volkspartei, die Süddeutsche
Volkspartei, die Sozialdemokratie. Aber trotz dieser Anzahl sind
die Unterschiede zwischen der weitaus größten Menge dieser Parteien
nicht so tiefgreifende, daß ihre Kenntniß dadurch erschwert würde.
Vor allem lassen sie sich in zwei große Gruppen eintheilen: die eine
umfaßt alle diejenigen Parteien, die auf dem Boden der gegen-
wärtigen Gesellschaftsordnung stehen und sie erhalten wollen, es sind
ihrer gerade dreizehn – eine böse Zahl! Die andere, zu der allein
die Sozialdemokratie gehört, bekämpft sie – die kapitalistische –
und will an ihre Stelle eine sozialistische setzen, in der der Gegensatz
zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Kapitalisten und Proletariern,
nicht mehr existiren soll. Die dreizehn Parteien der ersten Gruppe,
die man kurzweg die bürgerlichen zu nennen pflegt, sind einig in
der Bekämpfung der Partei der zweiten Gruppe, der Vertretung
des Proletariats, unter sich aber weisen sie eine Reihe wichtiger
Differenzen auf, die wir hier nur soweit verfolgen können, als sie
für die Jnteressen der Frauen in Betracht kommen. Denn sobald
zugegeben wird, daß die Politik ihres Landes für die Frauen nicht
gleichgültig sein kann, sobald wird auch der Nachweis verlangt werden
müssen, welche politische Richtung mit ihren Jnteressen im Ein-
klang steht.

Die Konservativen aller Schattirungen – die Deutsch-
Konservativen, die Freikonservativen, der Bund der Landwirthe, der
Bauernbund – haben sich um die Wünsche und Bedürfnisse der
Frauen bisher sehr wenig gekümmert. Sie stehen auf dem Stand-
punkt: „Die Frau gehört ins Haus“ und vertreten ihn, blind für
die thatsächlichen Verhältnisse. Sie kämpfen daher gegen jede Er-
weiterung der Frauenrechte, gegen jeden Versuch, die Abhängigkeit

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[30/0029] noch durch das Elend ihrer Kinder aufgerüttelt wird aus ihrem dumm-zufriedenen Traumleben? Jch glaube es nicht; könnten wir nur mit unserer Stimme die Ohren aller Frauen erreichen, wir würden auch ihre Herzen gewinnen; und aus den Millionen, die un- wissend und verängstigt abseits stehen und kaum wissen, was um sie her geschieht, würde ein Heer opfermuthiger Heldinnen sich formen, an dessen Fahnen der Sieg sich heftet. 5. Die Parteien und die Frauen. Die Zahl der politischen Parteien in Deutschland pflegt den Uneingeweihten zunächst zu verwirren; es giebt ihrer nicht weniger als vierzehn: die Deutschkonservativen, die Freikonservativen, der Bund der Landwirte, der Bauernbund, das Zentrum, die Polen, die Elsässer, die Welfen, die Antisemiten, die Nationalliberalen, die Freisinnige Vereinigung, die Freisinnige Volkspartei, die Süddeutsche Volkspartei, die Sozialdemokratie. Aber trotz dieser Anzahl sind die Unterschiede zwischen der weitaus größten Menge dieser Parteien nicht so tiefgreifende, daß ihre Kenntniß dadurch erschwert würde. Vor allem lassen sie sich in zwei große Gruppen eintheilen: die eine umfaßt alle diejenigen Parteien, die auf dem Boden der gegen- wärtigen Gesellschaftsordnung stehen und sie erhalten wollen, es sind ihrer gerade dreizehn – eine böse Zahl! Die andere, zu der allein die Sozialdemokratie gehört, bekämpft sie – die kapitalistische – und will an ihre Stelle eine sozialistische setzen, in der der Gegensatz zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Kapitalisten und Proletariern, nicht mehr existiren soll. Die dreizehn Parteien der ersten Gruppe, die man kurzweg die bürgerlichen zu nennen pflegt, sind einig in der Bekämpfung der Partei der zweiten Gruppe, der Vertretung des Proletariats, unter sich aber weisen sie eine Reihe wichtiger Differenzen auf, die wir hier nur soweit verfolgen können, als sie für die Jnteressen der Frauen in Betracht kommen. Denn sobald zugegeben wird, daß die Politik ihres Landes für die Frauen nicht gleichgültig sein kann, sobald wird auch der Nachweis verlangt werden müssen, welche politische Richtung mit ihren Jnteressen im Ein- klang steht. Die Konservativen aller Schattirungen – die Deutsch- Konservativen, die Freikonservativen, der Bund der Landwirthe, der Bauernbund – haben sich um die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen bisher sehr wenig gekümmert. Sie stehen auf dem Stand- punkt: „Die Frau gehört ins Haus“ und vertreten ihn, blind für die thatsächlichen Verhältnisse. Sie kämpfen daher gegen jede Er- weiterung der Frauenrechte, gegen jeden Versuch, die Abhängigkeit

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/29>, abgerufen am 28.03.2024.