Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fänger. Sperrvögel. Schwalben.
naturnothwendigen Beschränkung, bewohnen die Sperrvögel jede Oertlichkeit. Den einen bieten
Waldungen, den anderen Steppen und Heiden, diesen Gebirgsthäler mit steilen Felsenwänden, jenen
alte Gebäude oder die Wohnungen der Menschen die erwünschten Aufenthaltsorte.

Unter allen Begabungen der Sperrvögel steht ihre Flugfähigkeit obenan. Auf ihr beruht, falls
man so sagen darf, das ganze Leben. Jedes andere Vermögen erscheint als nebensächlich, im Ver-
gleich zu der Gabe des Flugs. Die Sperrvögel sind mehr oder weniger fremd auf dem Boden, in
Zweigen, in den Höhlungen des Gesteins, obwohl sie diesen wie jene zeitweilig aufsuchen müssen:
wirklich heimisch sind sie nur in der Luft. Diese ist der Boden, auf dem sie sich im Vollgefühl ihrer
Kraft bewegen, das Meer, welches sie durchsegeln, der Acker, welchen sie bebauen. Es ist etwas
Wunderbares um die Kraft, um die Ausdauer, mit welcher Einzelne von ihnen fliegen! Sie scheinen
keine Ermattung zu kennen; die Muskeln, welche ihre Fittige bewegen, scheinen keiner Erschlaffung
unterworfen zu sein. Gewisse Arten verbringen, wie wir annehmen dürfen, den ganzen, langen
Sommertag fliegend in hoher Luft, ohne auszuruhen; andere gönnen sich eine kurze Rast, weniger um
sich von der Anstrengung der Bewegung zu erholen, als vielmehr, um sich mit anderen ihrer Art zu
vereinigen. Erst die vollkommen eingetretene Nacht setzt ihrem Fliegen ein Ziel. Diejenigen, welche
bei Nacht thätig sind, stehen den bei Tage arbeitenden in jeder Hinsicht und so auch im Fluge nach.

Die Art und Weise der Flugbewegung ist verschieden, und es läßt sich hier eben nur sagen, daß
der Flug Alles in sich vereinigt, was wir mit dem Begriff "Fliegen" verbinden können: Schnelle und
Ausdauer, Leichtigkeit und Zierlichkeit, Geschick und Behendigkeit. Fast alle Verrichtungen, welche
ein Sperrvogel überhaupt auszuführen hat, können und müssen von ihm im Fluge ausgeführt werden.
Fliegend nur zeigen sich die hierher zu zählenden Vögel befähigt; im Uebrigen wollen sie uns hilflos
erscheinen. Jhr Gang ist höchstens ein Trippeln, gewöhnlich kaum mehr als ein Kriechen, oft nicht
einmal dieses, weil dann von Gehen überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann. Der Fittig ist
das Werkzeug, welches das Leben dieser Geschöpfe ermöglicht; der Fuß kann es höchstens zeitweilig
erleichtern.

Hinsichtlich anderer Begabungen der Sperrvögel ist wenig zu bemerken. Das Auge ist sehr ein-
seitig auf Kosten der übrigen Sinne entwickelt; Gehör und Gefühl scheinen noch ziemlich ausgebildet,
Geruch und Geschmack kaum mehr als angedeutet zu sein -- freilich sind wir nicht fähig, hierüber mit
Bestimmtheit zu urtheilen. Der Verstand ist mittelmäßig. Einige sind als kluge Geschöpfe zu
bezeichnen; die Mehrzahl hingegen gehört zu den einfältigsten aller Vögel. Jene sind necklustig, diese
streitsüchtig; die edelsten bekunden Erkenntniß verschiedenartiger Verhältnisse und entsprechendes
Handeln; die tiefer stehenden bethätigen höchstens eine rohe List oder eine plumpe Neugier. Gesellig
sind sie fast alle, nicht wenige auch während der Zeit ihrer Liebe; doch wird das Gegentheil eben-
falls beobachtet. Die Paare halten treu zu einander, und die Eltern sind ihren Kindern in
hoher Liebe zugethan.

Mit dem Vorhandensein oder dem Fehlen der Singmuskeln steht im Zusammenhang, daß gewissen
Sperrvögeln die Gabe des Gefanges zu Theil geworden, während die übrigen höchstens im Stande
sind, schrille, spinnende oder klagende Laute hervorzubringen. Jch glaube nicht, daß auf diesen Unter-
schied so großes Gewicht gelegt werden darf, als es in der Neuzeit von einzelnen Forschern geschehen:
die höhere oder niedere Begabung in dieser Hinsicht scheint mir vielmehr für Sperrvögel ziemlich
bedeutungslos zu sein.

Hinsichtlich der Nahrung und der Ernährung ähneln sich alle Mitglieder unserer Ordnung. Sie
leben von Kerbthieren der verschiedensten Art und nur ausnahmsweise nebenbei auch von kleinen
Wirbelthieren oder mehr oder weniger ausschließlich von Beeren und anderen Früchten. Die Kerb-
thiere werden von ihnen im Fluge erjagt, und dabei eben kommt jede Fertigkeit des Fluges zur
Anwendung, dabei der ungeheure Rachen zur Geltung. Diejenigen, welche bei Tage jagen, durch-
suchen sehr verschiedene Luftschichten; sie schweben dicht über dem Boden dahin und erheben sich mit
den Falken um die Wette; die Nachtvögel der Ordnung jagen mehr in der Tiefe, innerhalb eines

Die Fänger. Sperrvögel. Schwalben.
naturnothwendigen Beſchränkung, bewohnen die Sperrvögel jede Oertlichkeit. Den einen bieten
Waldungen, den anderen Steppen und Heiden, dieſen Gebirgsthäler mit ſteilen Felſenwänden, jenen
alte Gebäude oder die Wohnungen der Menſchen die erwünſchten Aufenthaltsorte.

Unter allen Begabungen der Sperrvögel ſteht ihre Flugfähigkeit obenan. Auf ihr beruht, falls
man ſo ſagen darf, das ganze Leben. Jedes andere Vermögen erſcheint als nebenſächlich, im Ver-
gleich zu der Gabe des Flugs. Die Sperrvögel ſind mehr oder weniger fremd auf dem Boden, in
Zweigen, in den Höhlungen des Geſteins, obwohl ſie dieſen wie jene zeitweilig aufſuchen müſſen:
wirklich heimiſch ſind ſie nur in der Luft. Dieſe iſt der Boden, auf dem ſie ſich im Vollgefühl ihrer
Kraft bewegen, das Meer, welches ſie durchſegeln, der Acker, welchen ſie bebauen. Es iſt etwas
Wunderbares um die Kraft, um die Ausdauer, mit welcher Einzelne von ihnen fliegen! Sie ſcheinen
keine Ermattung zu kennen; die Muskeln, welche ihre Fittige bewegen, ſcheinen keiner Erſchlaffung
unterworfen zu ſein. Gewiſſe Arten verbringen, wie wir annehmen dürfen, den ganzen, langen
Sommertag fliegend in hoher Luft, ohne auszuruhen; andere gönnen ſich eine kurze Raſt, weniger um
ſich von der Anſtrengung der Bewegung zu erholen, als vielmehr, um ſich mit anderen ihrer Art zu
vereinigen. Erſt die vollkommen eingetretene Nacht ſetzt ihrem Fliegen ein Ziel. Diejenigen, welche
bei Nacht thätig ſind, ſtehen den bei Tage arbeitenden in jeder Hinſicht und ſo auch im Fluge nach.

Die Art und Weiſe der Flugbewegung iſt verſchieden, und es läßt ſich hier eben nur ſagen, daß
der Flug Alles in ſich vereinigt, was wir mit dem Begriff „Fliegen‟ verbinden können: Schnelle und
Ausdauer, Leichtigkeit und Zierlichkeit, Geſchick und Behendigkeit. Faſt alle Verrichtungen, welche
ein Sperrvogel überhaupt auszuführen hat, können und müſſen von ihm im Fluge ausgeführt werden.
Fliegend nur zeigen ſich die hierher zu zählenden Vögel befähigt; im Uebrigen wollen ſie uns hilflos
erſcheinen. Jhr Gang iſt höchſtens ein Trippeln, gewöhnlich kaum mehr als ein Kriechen, oft nicht
einmal dieſes, weil dann von Gehen überhaupt nicht mehr geſprochen werden kann. Der Fittig iſt
das Werkzeug, welches das Leben dieſer Geſchöpfe ermöglicht; der Fuß kann es höchſtens zeitweilig
erleichtern.

Hinſichtlich anderer Begabungen der Sperrvögel iſt wenig zu bemerken. Das Auge iſt ſehr ein-
ſeitig auf Koſten der übrigen Sinne entwickelt; Gehör und Gefühl ſcheinen noch ziemlich ausgebildet,
Geruch und Geſchmack kaum mehr als angedeutet zu ſein — freilich ſind wir nicht fähig, hierüber mit
Beſtimmtheit zu urtheilen. Der Verſtand iſt mittelmäßig. Einige ſind als kluge Geſchöpfe zu
bezeichnen; die Mehrzahl hingegen gehört zu den einfältigſten aller Vögel. Jene ſind neckluſtig, dieſe
ſtreitſüchtig; die edelſten bekunden Erkenntniß verſchiedenartiger Verhältniſſe und entſprechendes
Handeln; die tiefer ſtehenden bethätigen höchſtens eine rohe Liſt oder eine plumpe Neugier. Geſellig
ſind ſie faſt alle, nicht wenige auch während der Zeit ihrer Liebe; doch wird das Gegentheil eben-
falls beobachtet. Die Paare halten treu zu einander, und die Eltern ſind ihren Kindern in
hoher Liebe zugethan.

Mit dem Vorhandenſein oder dem Fehlen der Singmuskeln ſteht im Zuſammenhang, daß gewiſſen
Sperrvögeln die Gabe des Gefanges zu Theil geworden, während die übrigen höchſtens im Stande
ſind, ſchrille, ſpinnende oder klagende Laute hervorzubringen. Jch glaube nicht, daß auf dieſen Unter-
ſchied ſo großes Gewicht gelegt werden darf, als es in der Neuzeit von einzelnen Forſchern geſchehen:
die höhere oder niedere Begabung in dieſer Hinſicht ſcheint mir vielmehr für Sperrvögel ziemlich
bedeutungslos zu ſein.

Hinſichtlich der Nahrung und der Ernährung ähneln ſich alle Mitglieder unſerer Ordnung. Sie
leben von Kerbthieren der verſchiedenſten Art und nur ausnahmsweiſe nebenbei auch von kleinen
Wirbelthieren oder mehr oder weniger ausſchließlich von Beeren und anderen Früchten. Die Kerb-
thiere werden von ihnen im Fluge erjagt, und dabei eben kommt jede Fertigkeit des Fluges zur
Anwendung, dabei der ungeheure Rachen zur Geltung. Diejenigen, welche bei Tage jagen, durch-
ſuchen ſehr verſchiedene Luftſchichten; ſie ſchweben dicht über dem Boden dahin und erheben ſich mit
den Falken um die Wette; die Nachtvögel der Ordnung jagen mehr in der Tiefe, innerhalb eines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0662" n="626"/><fw place="top" type="header">Die Fänger. Sperrvögel. Schwalben.</fw><lb/>
naturnothwendigen Be&#x017F;chränkung, bewohnen die Sperrvögel jede Oertlichkeit. Den einen bieten<lb/>
Waldungen, den anderen Steppen und Heiden, die&#x017F;en Gebirgsthäler mit &#x017F;teilen Fel&#x017F;enwänden, jenen<lb/>
alte Gebäude oder die Wohnungen der Men&#x017F;chen die erwün&#x017F;chten Aufenthaltsorte.</p><lb/>
          <p>Unter allen Begabungen der Sperrvögel &#x017F;teht ihre Flugfähigkeit obenan. Auf ihr beruht, falls<lb/>
man &#x017F;o &#x017F;agen darf, das ganze Leben. Jedes andere Vermögen er&#x017F;cheint als neben&#x017F;ächlich, im Ver-<lb/>
gleich zu der Gabe des Flugs. Die Sperrvögel &#x017F;ind mehr oder weniger fremd auf dem Boden, in<lb/>
Zweigen, in den Höhlungen des Ge&#x017F;teins, obwohl &#x017F;ie die&#x017F;en wie jene zeitweilig auf&#x017F;uchen mü&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
wirklich heimi&#x017F;ch &#x017F;ind &#x017F;ie nur in der Luft. Die&#x017F;e i&#x017F;t der Boden, auf dem &#x017F;ie &#x017F;ich im Vollgefühl ihrer<lb/>
Kraft bewegen, das Meer, welches &#x017F;ie durch&#x017F;egeln, der Acker, welchen &#x017F;ie bebauen. Es i&#x017F;t etwas<lb/>
Wunderbares um die Kraft, um die Ausdauer, mit welcher Einzelne von ihnen fliegen! Sie &#x017F;cheinen<lb/>
keine Ermattung zu kennen; die Muskeln, welche ihre Fittige bewegen, &#x017F;cheinen keiner Er&#x017F;chlaffung<lb/>
unterworfen zu &#x017F;ein. Gewi&#x017F;&#x017F;e Arten verbringen, wie wir annehmen dürfen, den ganzen, langen<lb/>
Sommertag fliegend in hoher Luft, ohne auszuruhen; andere gönnen &#x017F;ich eine kurze Ra&#x017F;t, weniger um<lb/>
&#x017F;ich von der An&#x017F;trengung der Bewegung zu erholen, als vielmehr, um &#x017F;ich mit anderen ihrer Art zu<lb/>
vereinigen. Er&#x017F;t die vollkommen eingetretene Nacht &#x017F;etzt ihrem Fliegen ein Ziel. Diejenigen, welche<lb/>
bei Nacht thätig &#x017F;ind, &#x017F;tehen den bei Tage arbeitenden in jeder Hin&#x017F;icht und &#x017F;o auch im Fluge nach.</p><lb/>
          <p>Die Art und Wei&#x017F;e der Flugbewegung i&#x017F;t ver&#x017F;chieden, und es läßt &#x017F;ich hier eben nur &#x017F;agen, daß<lb/>
der Flug Alles in &#x017F;ich vereinigt, was wir mit dem Begriff &#x201E;Fliegen&#x201F; verbinden können: Schnelle und<lb/>
Ausdauer, Leichtigkeit und Zierlichkeit, Ge&#x017F;chick und Behendigkeit. Fa&#x017F;t alle Verrichtungen, welche<lb/>
ein Sperrvogel überhaupt auszuführen hat, können und mü&#x017F;&#x017F;en von ihm im Fluge ausgeführt werden.<lb/>
Fliegend nur zeigen &#x017F;ich die hierher zu zählenden Vögel befähigt; im Uebrigen wollen &#x017F;ie uns hilflos<lb/>
er&#x017F;cheinen. Jhr Gang i&#x017F;t höch&#x017F;tens ein Trippeln, gewöhnlich kaum mehr als ein Kriechen, oft nicht<lb/>
einmal die&#x017F;es, weil dann von Gehen überhaupt nicht mehr ge&#x017F;prochen werden kann. Der Fittig i&#x017F;t<lb/>
das Werkzeug, welches das Leben die&#x017F;er Ge&#x017F;chöpfe ermöglicht; der Fuß kann es höch&#x017F;tens zeitweilig<lb/>
erleichtern.</p><lb/>
          <p>Hin&#x017F;ichtlich anderer Begabungen der Sperrvögel i&#x017F;t wenig zu bemerken. Das Auge i&#x017F;t &#x017F;ehr ein-<lb/>
&#x017F;eitig auf Ko&#x017F;ten der übrigen Sinne entwickelt; Gehör und Gefühl &#x017F;cheinen noch ziemlich ausgebildet,<lb/>
Geruch und Ge&#x017F;chmack kaum mehr als angedeutet zu &#x017F;ein &#x2014; freilich &#x017F;ind wir nicht fähig, hierüber mit<lb/>
Be&#x017F;timmtheit zu urtheilen. Der Ver&#x017F;tand i&#x017F;t mittelmäßig. Einige &#x017F;ind als kluge Ge&#x017F;chöpfe zu<lb/>
bezeichnen; die Mehrzahl hingegen gehört zu den einfältig&#x017F;ten aller Vögel. Jene &#x017F;ind necklu&#x017F;tig, die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;treit&#x017F;üchtig; die edel&#x017F;ten bekunden Erkenntniß ver&#x017F;chiedenartiger Verhältni&#x017F;&#x017F;e und ent&#x017F;prechendes<lb/>
Handeln; die tiefer &#x017F;tehenden bethätigen höch&#x017F;tens eine rohe Li&#x017F;t oder eine plumpe Neugier. Ge&#x017F;ellig<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ie fa&#x017F;t alle, nicht wenige auch während der Zeit ihrer Liebe; doch wird das Gegentheil eben-<lb/>
falls beobachtet. Die Paare halten treu zu einander, und die Eltern &#x017F;ind ihren Kindern in<lb/>
hoher Liebe zugethan.</p><lb/>
          <p>Mit dem Vorhanden&#x017F;ein oder dem Fehlen der Singmuskeln &#x017F;teht im Zu&#x017F;ammenhang, daß gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sperrvögeln die Gabe des Gefanges zu Theil geworden, während die übrigen höch&#x017F;tens im Stande<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;chrille, &#x017F;pinnende oder klagende Laute hervorzubringen. Jch glaube nicht, daß auf die&#x017F;en Unter-<lb/>
&#x017F;chied &#x017F;o großes Gewicht gelegt werden darf, als es in der Neuzeit von einzelnen For&#x017F;chern ge&#x017F;chehen:<lb/>
die höhere oder niedere Begabung in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht &#x017F;cheint mir vielmehr <hi rendition="#g">für Sperrvögel</hi> ziemlich<lb/>
bedeutungslos zu &#x017F;ein.</p><lb/>
          <p>Hin&#x017F;ichtlich der Nahrung und der Ernährung ähneln &#x017F;ich alle Mitglieder un&#x017F;erer Ordnung. Sie<lb/>
leben von Kerbthieren der ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Art und nur ausnahmswei&#x017F;e nebenbei auch von kleinen<lb/>
Wirbelthieren oder mehr oder weniger aus&#x017F;chließlich von Beeren und anderen Früchten. Die Kerb-<lb/>
thiere werden von ihnen im Fluge erjagt, und dabei eben kommt jede Fertigkeit des Fluges zur<lb/>
Anwendung, dabei der ungeheure Rachen zur Geltung. Diejenigen, welche bei Tage jagen, durch-<lb/>
&#x017F;uchen &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedene Luft&#x017F;chichten; &#x017F;ie &#x017F;chweben dicht über dem Boden dahin und erheben &#x017F;ich mit<lb/>
den <hi rendition="#g">Falken</hi> um die Wette; die Nachtvögel der Ordnung jagen mehr in der Tiefe, innerhalb eines<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[626/0662] Die Fänger. Sperrvögel. Schwalben. naturnothwendigen Beſchränkung, bewohnen die Sperrvögel jede Oertlichkeit. Den einen bieten Waldungen, den anderen Steppen und Heiden, dieſen Gebirgsthäler mit ſteilen Felſenwänden, jenen alte Gebäude oder die Wohnungen der Menſchen die erwünſchten Aufenthaltsorte. Unter allen Begabungen der Sperrvögel ſteht ihre Flugfähigkeit obenan. Auf ihr beruht, falls man ſo ſagen darf, das ganze Leben. Jedes andere Vermögen erſcheint als nebenſächlich, im Ver- gleich zu der Gabe des Flugs. Die Sperrvögel ſind mehr oder weniger fremd auf dem Boden, in Zweigen, in den Höhlungen des Geſteins, obwohl ſie dieſen wie jene zeitweilig aufſuchen müſſen: wirklich heimiſch ſind ſie nur in der Luft. Dieſe iſt der Boden, auf dem ſie ſich im Vollgefühl ihrer Kraft bewegen, das Meer, welches ſie durchſegeln, der Acker, welchen ſie bebauen. Es iſt etwas Wunderbares um die Kraft, um die Ausdauer, mit welcher Einzelne von ihnen fliegen! Sie ſcheinen keine Ermattung zu kennen; die Muskeln, welche ihre Fittige bewegen, ſcheinen keiner Erſchlaffung unterworfen zu ſein. Gewiſſe Arten verbringen, wie wir annehmen dürfen, den ganzen, langen Sommertag fliegend in hoher Luft, ohne auszuruhen; andere gönnen ſich eine kurze Raſt, weniger um ſich von der Anſtrengung der Bewegung zu erholen, als vielmehr, um ſich mit anderen ihrer Art zu vereinigen. Erſt die vollkommen eingetretene Nacht ſetzt ihrem Fliegen ein Ziel. Diejenigen, welche bei Nacht thätig ſind, ſtehen den bei Tage arbeitenden in jeder Hinſicht und ſo auch im Fluge nach. Die Art und Weiſe der Flugbewegung iſt verſchieden, und es läßt ſich hier eben nur ſagen, daß der Flug Alles in ſich vereinigt, was wir mit dem Begriff „Fliegen‟ verbinden können: Schnelle und Ausdauer, Leichtigkeit und Zierlichkeit, Geſchick und Behendigkeit. Faſt alle Verrichtungen, welche ein Sperrvogel überhaupt auszuführen hat, können und müſſen von ihm im Fluge ausgeführt werden. Fliegend nur zeigen ſich die hierher zu zählenden Vögel befähigt; im Uebrigen wollen ſie uns hilflos erſcheinen. Jhr Gang iſt höchſtens ein Trippeln, gewöhnlich kaum mehr als ein Kriechen, oft nicht einmal dieſes, weil dann von Gehen überhaupt nicht mehr geſprochen werden kann. Der Fittig iſt das Werkzeug, welches das Leben dieſer Geſchöpfe ermöglicht; der Fuß kann es höchſtens zeitweilig erleichtern. Hinſichtlich anderer Begabungen der Sperrvögel iſt wenig zu bemerken. Das Auge iſt ſehr ein- ſeitig auf Koſten der übrigen Sinne entwickelt; Gehör und Gefühl ſcheinen noch ziemlich ausgebildet, Geruch und Geſchmack kaum mehr als angedeutet zu ſein — freilich ſind wir nicht fähig, hierüber mit Beſtimmtheit zu urtheilen. Der Verſtand iſt mittelmäßig. Einige ſind als kluge Geſchöpfe zu bezeichnen; die Mehrzahl hingegen gehört zu den einfältigſten aller Vögel. Jene ſind neckluſtig, dieſe ſtreitſüchtig; die edelſten bekunden Erkenntniß verſchiedenartiger Verhältniſſe und entſprechendes Handeln; die tiefer ſtehenden bethätigen höchſtens eine rohe Liſt oder eine plumpe Neugier. Geſellig ſind ſie faſt alle, nicht wenige auch während der Zeit ihrer Liebe; doch wird das Gegentheil eben- falls beobachtet. Die Paare halten treu zu einander, und die Eltern ſind ihren Kindern in hoher Liebe zugethan. Mit dem Vorhandenſein oder dem Fehlen der Singmuskeln ſteht im Zuſammenhang, daß gewiſſen Sperrvögeln die Gabe des Gefanges zu Theil geworden, während die übrigen höchſtens im Stande ſind, ſchrille, ſpinnende oder klagende Laute hervorzubringen. Jch glaube nicht, daß auf dieſen Unter- ſchied ſo großes Gewicht gelegt werden darf, als es in der Neuzeit von einzelnen Forſchern geſchehen: die höhere oder niedere Begabung in dieſer Hinſicht ſcheint mir vielmehr für Sperrvögel ziemlich bedeutungslos zu ſein. Hinſichtlich der Nahrung und der Ernährung ähneln ſich alle Mitglieder unſerer Ordnung. Sie leben von Kerbthieren der verſchiedenſten Art und nur ausnahmsweiſe nebenbei auch von kleinen Wirbelthieren oder mehr oder weniger ausſchließlich von Beeren und anderen Früchten. Die Kerb- thiere werden von ihnen im Fluge erjagt, und dabei eben kommt jede Fertigkeit des Fluges zur Anwendung, dabei der ungeheure Rachen zur Geltung. Diejenigen, welche bei Tage jagen, durch- ſuchen ſehr verſchiedene Luftſchichten; ſie ſchweben dicht über dem Boden dahin und erheben ſich mit den Falken um die Wette; die Nachtvögel der Ordnung jagen mehr in der Tiefe, innerhalb eines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/662
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/662>, abgerufen am 16.04.2024.