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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Allgemeines über die Lummen.
das Meer hinab, fischen gemeinschaftlich und kehren wieder zum Neste zurück, an welchem sie sich
später in alle Geschäfte der Bebrütung theilen. Das Weibchen legt nur ein einziges, aber sehr
großes Ei, welches kreiselförmig gestaltet, starkschalig, grobkörnig und auf lichtem Grunde dunkler
gefleckt und gezeichnet ist, aber so vielfach abwechselt, daß man unter Hunderten kaum zwei findet,
welche sich vollständig ähneln. Die Grundfarbe kann von Weiß durch Gelb und Grau alle
Schattirungen durchlaufen, die Zeichnung aus Flecken, Punkten, Tüpfeln bestehen, welche spär-
licher oder dichter über die Oberfläche zerstreut sind, am vorderen oder hinteren Ende kranzartig sich
vereinigen oder gleichmäßig über die ganze Oberfläche sich vertheilen. Eigentliche Nester werden nicht
gebaut, die Eier vielmehr ohne jegliche Unterlage auf das nackte Gestein gelegt, hier nicht einmal die
größeren Kieselchen weggescharrt. Von abschüssigen Flächen stürzen Hunderte und Tausende in das
Meer hinab und zertrümmern. Sofort nach dem Legen beginnt die Bebrütung, und dabei lösen sich
nicht blos die beiden Gatten eines Paares ab, sondern es finden sich, den glaubwürdigsten Berichten
zu Folge, auf allen Vogelbergen auch gutmüthige Ueberzählige, welche sich mit wahrer Freude auf
das unbesetzte Ei stürzen und es flugs ein wenig bebrüten. Früher nahm man an, daß letzteres
sitzend geschehe; wer aber einen Vogelberg besucht, sieht sehr bald, daß die Vögel hierbei dieselbe Lage
wie andere einnehmen. Nach dreißig- bis fünfunddreißigtägiger Brutzeit entschlüpft das Junge, ein
Wesen, welches eher einem grauschwarzen Wollklumpen als einem Vogel gleicht, aber, Dank der
Sorgfalt, welche ihm von seinen Eltern und allen übrigen unbeschäftigten Lummen gewidmet wird,
rasch heranwächst, das Dunenkleid bald ablegt und binnen Monatsfrist bereits befiedert ist. Nunmehr
vertauschen die Jungen ihre Felsensitze mit dem Meere, "ein Wechsel", sagt Naumann, "welcher
nicht ohne alle Gefahr ist, wie ein auffallendes, ängstliches Hin- und Hertrippeln, Schreien der
Familie beim Herannahen der Katastrophe deutlich genug kund gibt. Das Junge stürzt sich jetzt
mit einem Sprunge von der Felsenkante auf das Meer hinab und die Alten ihm nach, taucht in dem-
selben Augenblicke, als es das Wasser zum ersten Male berührt, auch gleich unter, wobei ihm die
Alten ebenfalls folgen, und wenn es mit ihnen wieder heraufgekommen, drängt es unter lautem
Pfeifen sich ängstlich an sie, wie wenn es Schutz bei ihnen suchen und auf ihren Rücken wollte, muß
sich jedoch darein fügen, mit dem nassen Elemente nähere Bekanntschaft zu machen, wird nach öfterem
Untertauchen mit den Alten auch bald vertrauter mit ihm. Sie geben ihm sofort Anleitung zum
Selbstfangen seiner Nahrungsmittel, weil ihm Dies von jetzt an allein überlassen bleibt, halten sich
jedoch zu anderweitiger Beschützung zu ihm und geleiten es auf das Meer hinaus, wo man dann oft
viele Meilen vom Lande solche Alte mit ihren meist erst halberwachsenen Jungen und gewöhnlich
mehrere Familien beisammen dem Wind und den Wellen trotzen sieht. Manchem dieser Jungen
bekommt jedoch der Sturz vom Felsen schlecht, namentlich solchen, welche das Unglück haben, unten
auf Steine zu fallen, an denen sie sogleich todt liegen blieben."

Die Vogelberge werden von den Menschen regelmäßig abgeerntet und gewähren je nach ihrer
Größe und der Anzahl der auf ihnen brütenden Vögel eine mehr oder minder reichliche Ausbeute an
Eiern und Jungen. Erstere versendet man im Norden ziemlich weit, letztere werden eingepökelt und
für den Winter aufbewahrt. Auf den Faröerinseln hat sich eine eigene Kaste von Leuten gebildet,
um die Berge auszunutzen, Vogelfänger, welche keine Gefahr scheuen und dem Tode in hundertfacher
Gestalt kühn ins Auge sehen müssen, während sie ihr Handwerk ausüben, von denen kaum einer auf
dem Siechbette stirbt. Sie erklettern die Felsen von unten her oder lassen sich an langen Seilen von
oben herab, schwingen sich an diesen bis funfzig Fuß weit, um einen mit brütenden Vögeln bedeckten
Absatz zu erreichen, fußen auf Gesimsen, welche kaum für einen Vogel Raum genug haben, und
machen das unmöglich Scheinende möglich. Jn Grönland erlegt man die Lummen während des
Winters zu Tausenden mit dem Feuergewehr, bemächtigt sich ihrer auch noch in einer anderen, sehr
eigenthümlichen Weise. Sie kommen nämlich an ihren Brutfelsen an, bevor das Eis aufgebrochen
ist, und bringen dort die kurze Nacht schlafend zu. Nach ihrer Ankunft nun begeben sich die Grön-
länder so still als möglich zu dem Berge, erschrecken, dort angekommen, die Vögel, indem sie plötzlich

Allgemeines über die Lummen.
das Meer hinab, fiſchen gemeinſchaftlich und kehren wieder zum Neſte zurück, an welchem ſie ſich
ſpäter in alle Geſchäfte der Bebrütung theilen. Das Weibchen legt nur ein einziges, aber ſehr
großes Ei, welches kreiſelförmig geſtaltet, ſtarkſchalig, grobkörnig und auf lichtem Grunde dunkler
gefleckt und gezeichnet iſt, aber ſo vielfach abwechſelt, daß man unter Hunderten kaum zwei findet,
welche ſich vollſtändig ähneln. Die Grundfarbe kann von Weiß durch Gelb und Grau alle
Schattirungen durchlaufen, die Zeichnung aus Flecken, Punkten, Tüpfeln beſtehen, welche ſpär-
licher oder dichter über die Oberfläche zerſtreut ſind, am vorderen oder hinteren Ende kranzartig ſich
vereinigen oder gleichmäßig über die ganze Oberfläche ſich vertheilen. Eigentliche Neſter werden nicht
gebaut, die Eier vielmehr ohne jegliche Unterlage auf das nackte Geſtein gelegt, hier nicht einmal die
größeren Kieſelchen weggeſcharrt. Von abſchüſſigen Flächen ſtürzen Hunderte und Tauſende in das
Meer hinab und zertrümmern. Sofort nach dem Legen beginnt die Bebrütung, und dabei löſen ſich
nicht blos die beiden Gatten eines Paares ab, ſondern es finden ſich, den glaubwürdigſten Berichten
zu Folge, auf allen Vogelbergen auch gutmüthige Ueberzählige, welche ſich mit wahrer Freude auf
das unbeſetzte Ei ſtürzen und es flugs ein wenig bebrüten. Früher nahm man an, daß letzteres
ſitzend geſchehe; wer aber einen Vogelberg beſucht, ſieht ſehr bald, daß die Vögel hierbei dieſelbe Lage
wie andere einnehmen. Nach dreißig- bis fünfunddreißigtägiger Brutzeit entſchlüpft das Junge, ein
Weſen, welches eher einem grauſchwarzen Wollklumpen als einem Vogel gleicht, aber, Dank der
Sorgfalt, welche ihm von ſeinen Eltern und allen übrigen unbeſchäftigten Lummen gewidmet wird,
raſch heranwächſt, das Dunenkleid bald ablegt und binnen Monatsfriſt bereits befiedert iſt. Nunmehr
vertauſchen die Jungen ihre Felſenſitze mit dem Meere, „ein Wechſel“, ſagt Naumann, „welcher
nicht ohne alle Gefahr iſt, wie ein auffallendes, ängſtliches Hin- und Hertrippeln, Schreien der
Familie beim Herannahen der Kataſtrophe deutlich genug kund gibt. Das Junge ſtürzt ſich jetzt
mit einem Sprunge von der Felſenkante auf das Meer hinab und die Alten ihm nach, taucht in dem-
ſelben Augenblicke, als es das Waſſer zum erſten Male berührt, auch gleich unter, wobei ihm die
Alten ebenfalls folgen, und wenn es mit ihnen wieder heraufgekommen, drängt es unter lautem
Pfeifen ſich ängſtlich an ſie, wie wenn es Schutz bei ihnen ſuchen und auf ihren Rücken wollte, muß
ſich jedoch darein fügen, mit dem naſſen Elemente nähere Bekanntſchaft zu machen, wird nach öfterem
Untertauchen mit den Alten auch bald vertrauter mit ihm. Sie geben ihm ſofort Anleitung zum
Selbſtfangen ſeiner Nahrungsmittel, weil ihm Dies von jetzt an allein überlaſſen bleibt, halten ſich
jedoch zu anderweitiger Beſchützung zu ihm und geleiten es auf das Meer hinaus, wo man dann oft
viele Meilen vom Lande ſolche Alte mit ihren meiſt erſt halberwachſenen Jungen und gewöhnlich
mehrere Familien beiſammen dem Wind und den Wellen trotzen ſieht. Manchem dieſer Jungen
bekommt jedoch der Sturz vom Felſen ſchlecht, namentlich ſolchen, welche das Unglück haben, unten
auf Steine zu fallen, an denen ſie ſogleich todt liegen blieben.“

Die Vogelberge werden von den Menſchen regelmäßig abgeerntet und gewähren je nach ihrer
Größe und der Anzahl der auf ihnen brütenden Vögel eine mehr oder minder reichliche Ausbeute an
Eiern und Jungen. Erſtere verſendet man im Norden ziemlich weit, letztere werden eingepökelt und
für den Winter aufbewahrt. Auf den Faröerinſeln hat ſich eine eigene Kaſte von Leuten gebildet,
um die Berge auszunutzen, Vogelfänger, welche keine Gefahr ſcheuen und dem Tode in hundertfacher
Geſtalt kühn ins Auge ſehen müſſen, während ſie ihr Handwerk ausüben, von denen kaum einer auf
dem Siechbette ſtirbt. Sie erklettern die Felſen von unten her oder laſſen ſich an langen Seilen von
oben herab, ſchwingen ſich an dieſen bis funfzig Fuß weit, um einen mit brütenden Vögeln bedeckten
Abſatz zu erreichen, fußen auf Geſimſen, welche kaum für einen Vogel Raum genug haben, und
machen das unmöglich Scheinende möglich. Jn Grönland erlegt man die Lummen während des
Winters zu Tauſenden mit dem Feuergewehr, bemächtigt ſich ihrer auch noch in einer anderen, ſehr
eigenthümlichen Weiſe. Sie kommen nämlich an ihren Brutfelſen an, bevor das Eis aufgebrochen
iſt, und bringen dort die kurze Nacht ſchlafend zu. Nach ihrer Ankunft nun begeben ſich die Grön-
länder ſo ſtill als möglich zu dem Berge, erſchrecken, dort angekommen, die Vögel, indem ſie plötzlich

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[953/1005] Allgemeines über die Lummen. das Meer hinab, fiſchen gemeinſchaftlich und kehren wieder zum Neſte zurück, an welchem ſie ſich ſpäter in alle Geſchäfte der Bebrütung theilen. Das Weibchen legt nur ein einziges, aber ſehr großes Ei, welches kreiſelförmig geſtaltet, ſtarkſchalig, grobkörnig und auf lichtem Grunde dunkler gefleckt und gezeichnet iſt, aber ſo vielfach abwechſelt, daß man unter Hunderten kaum zwei findet, welche ſich vollſtändig ähneln. Die Grundfarbe kann von Weiß durch Gelb und Grau alle Schattirungen durchlaufen, die Zeichnung aus Flecken, Punkten, Tüpfeln beſtehen, welche ſpär- licher oder dichter über die Oberfläche zerſtreut ſind, am vorderen oder hinteren Ende kranzartig ſich vereinigen oder gleichmäßig über die ganze Oberfläche ſich vertheilen. Eigentliche Neſter werden nicht gebaut, die Eier vielmehr ohne jegliche Unterlage auf das nackte Geſtein gelegt, hier nicht einmal die größeren Kieſelchen weggeſcharrt. Von abſchüſſigen Flächen ſtürzen Hunderte und Tauſende in das Meer hinab und zertrümmern. Sofort nach dem Legen beginnt die Bebrütung, und dabei löſen ſich nicht blos die beiden Gatten eines Paares ab, ſondern es finden ſich, den glaubwürdigſten Berichten zu Folge, auf allen Vogelbergen auch gutmüthige Ueberzählige, welche ſich mit wahrer Freude auf das unbeſetzte Ei ſtürzen und es flugs ein wenig bebrüten. Früher nahm man an, daß letzteres ſitzend geſchehe; wer aber einen Vogelberg beſucht, ſieht ſehr bald, daß die Vögel hierbei dieſelbe Lage wie andere einnehmen. Nach dreißig- bis fünfunddreißigtägiger Brutzeit entſchlüpft das Junge, ein Weſen, welches eher einem grauſchwarzen Wollklumpen als einem Vogel gleicht, aber, Dank der Sorgfalt, welche ihm von ſeinen Eltern und allen übrigen unbeſchäftigten Lummen gewidmet wird, raſch heranwächſt, das Dunenkleid bald ablegt und binnen Monatsfriſt bereits befiedert iſt. Nunmehr vertauſchen die Jungen ihre Felſenſitze mit dem Meere, „ein Wechſel“, ſagt Naumann, „welcher nicht ohne alle Gefahr iſt, wie ein auffallendes, ängſtliches Hin- und Hertrippeln, Schreien der Familie beim Herannahen der Kataſtrophe deutlich genug kund gibt. Das Junge ſtürzt ſich jetzt mit einem Sprunge von der Felſenkante auf das Meer hinab und die Alten ihm nach, taucht in dem- ſelben Augenblicke, als es das Waſſer zum erſten Male berührt, auch gleich unter, wobei ihm die Alten ebenfalls folgen, und wenn es mit ihnen wieder heraufgekommen, drängt es unter lautem Pfeifen ſich ängſtlich an ſie, wie wenn es Schutz bei ihnen ſuchen und auf ihren Rücken wollte, muß ſich jedoch darein fügen, mit dem naſſen Elemente nähere Bekanntſchaft zu machen, wird nach öfterem Untertauchen mit den Alten auch bald vertrauter mit ihm. Sie geben ihm ſofort Anleitung zum Selbſtfangen ſeiner Nahrungsmittel, weil ihm Dies von jetzt an allein überlaſſen bleibt, halten ſich jedoch zu anderweitiger Beſchützung zu ihm und geleiten es auf das Meer hinaus, wo man dann oft viele Meilen vom Lande ſolche Alte mit ihren meiſt erſt halberwachſenen Jungen und gewöhnlich mehrere Familien beiſammen dem Wind und den Wellen trotzen ſieht. Manchem dieſer Jungen bekommt jedoch der Sturz vom Felſen ſchlecht, namentlich ſolchen, welche das Unglück haben, unten auf Steine zu fallen, an denen ſie ſogleich todt liegen blieben.“ Die Vogelberge werden von den Menſchen regelmäßig abgeerntet und gewähren je nach ihrer Größe und der Anzahl der auf ihnen brütenden Vögel eine mehr oder minder reichliche Ausbeute an Eiern und Jungen. Erſtere verſendet man im Norden ziemlich weit, letztere werden eingepökelt und für den Winter aufbewahrt. Auf den Faröerinſeln hat ſich eine eigene Kaſte von Leuten gebildet, um die Berge auszunutzen, Vogelfänger, welche keine Gefahr ſcheuen und dem Tode in hundertfacher Geſtalt kühn ins Auge ſehen müſſen, während ſie ihr Handwerk ausüben, von denen kaum einer auf dem Siechbette ſtirbt. Sie erklettern die Felſen von unten her oder laſſen ſich an langen Seilen von oben herab, ſchwingen ſich an dieſen bis funfzig Fuß weit, um einen mit brütenden Vögeln bedeckten Abſatz zu erreichen, fußen auf Geſimſen, welche kaum für einen Vogel Raum genug haben, und machen das unmöglich Scheinende möglich. Jn Grönland erlegt man die Lummen während des Winters zu Tauſenden mit dem Feuergewehr, bemächtigt ſich ihrer auch noch in einer anderen, ſehr eigenthümlichen Weiſe. Sie kommen nämlich an ihren Brutfelſen an, bevor das Eis aufgebrochen iſt, und bringen dort die kurze Nacht ſchlafend zu. Nach ihrer Ankunft nun begeben ſich die Grön- länder ſo ſtill als möglich zu dem Berge, erſchrecken, dort angekommen, die Vögel, indem ſie plötzlich

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 953. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/1005>, abgerufen am 18.04.2024.