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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Jnfusorien.
Fortpflanzung; diese Vorgänge beanspruchen aber nicht, wie bei den höheren Thierklassen, Monate,
sondern Tage oder sogar nur Stunden.

Daß die Fortpflanzung durch Knospenbildung und Theilung oder auf geschlechtlichem
Wege durch Eier bewerkstelligt wird, ist oben schon an Stylonychia und Epistylis erörtert. Bei
der Theilung, welche indeß keineswegs ein so einfacher Vorgang ist, wie das Wort zu sagen
scheint, sondern von sehr complicirten inneren und äußeren Umbildungen begleitet sein kann, ist
doch das Resultat, daß die Theilsprößlinge bis auf unwesentliche Differenzen dem Jndividuum
gleich sind, als dessen Längs- oder Querhälften sie auftreten. Die Vermehrung durch äußere
Knospen findet vorzugsweise bei den Glockenthierchen statt; die Jungen sind bei der Trennung
vom mütterlichen Boden oft ganz anders gestaltet, als beim Stammthier, und müssen daher eine
Reihe von Verwandlungen durchmachen. Häufiger ist aber bei anderen Sippen die innere Keim-
oder Knospenbildung, wobei in der Regel der rundliche oder längliche Kern, jene oben betrachtete
einfache oder doppelte Drüse von großer Bedeutung ist. Sie kann ganz oder theilweise zur
Bildung eines oder mehrerer neuer Jndividuen verwendet werden, die in der Regel in fremd-
artiger Gestalt den Mutterkörper durchbrechen und von Demjenigen, der den Ursprung nicht
belauschte, nach Art und Gattung mißkannt werden. Daß dieselbe Drüse periodenweise auch als
wirklicher Eierstock thätig, ist eine zwar sehr auffallende, aber durch sorgsame Beobachtungen
sicher gestellte Thatsache.

"Diese manchfaltigen Vermehrungs-Weisen" -- so faßt Bronn die Angaben darüber
zusammen -- "mit einander vereinigt, mußten, in Verbindung mit der Kürze der Zeit, nach
welcher ein junges Thierchen selbst wieder vermehrungsfähig wird, zu ganz ungeheueren Zahlen-
ergebnissen führen, wenn nicht die Erschöpfung des sich vermehrenden Jndividuums denselben eine
Grenze setzte. Man muß daher die wirklich beobachtete Vermehrung von der bloß auf einige
Fälle hin berechneten wohl unterscheiden. So bedarf die Theilung einer Vorticelline nur 3/4 bis
1 Stunde, was, da jedes Theilganze anfangs sich eben so bald wieder theilen kann, binnen
10 Stunden schon 1000 und binnen 20 Stunden 1,000,000 Jndividnen gäbe; in Wirklichkeit
erfolgen aber zwischen den einzelnen Theilungen immer größere Zwischenräume und endlich ein
völliger Stillstand, so daß bloß die Entstehung von nur 8 Jndividnen binnen 3, von nur
64 Jndividuen binnen 6 und von 200 binnen 24 Stunden beobachtet worden ist. Jn anderen
Fällen ist die Theilung langsamer, aber andauernder. So braucht das Pantoffelthierchen
(Paramaecium aurelia, aus der Abtheilung der Holotricha) wenigstens 2, oft aber auch viel
mehr Stunden zu einer Längstheilung und kann sich in 24 Stunden verachtfachen, was dann
in einer Woche 2 Millionen gäbe. Stylonychia gibt in 24 Stunden durch Quertheilung drei
Theilganze, welche nach 24stündiger Reife binnen 24 Stunden wieder 12 liefern, so daß auch hier
binnen 20 Tagen eine mögliche Vervielfältigung bis zu einer Million angenommen werden darf."

Nicht wenige Jnfusorien verbinden mit dieser erstaunlichen Reproductionskraft auch die
Fähigkeit, beim Eintrocknen der Gewässer sich mit einer schützenden Hülle zu umgeben, sich zu
incystiren, um im eingetrockneten Schlamme neues Aufleben zu erwarten oder im Staube über
Berg und Thal getragen zu werden. Sie theilen diese Zählebigkeit, wie wir wissen, mit vielen
anderen niederen Organismen und deren Keimen, und die Erkenntniß dieser Verhältnisse hat
längst der ehemals als ein Wunder angestaunten Erscheinung, wenn auf Regen nach langer
Dürre die eben entstandenen kleinen Teiche binnen wenigen Tagen eine reiche Lebensfülle zeigen,
das Gepräge von etwas Außergewöhnlichem und Unerklärbarem abgestreift.



Jnfuſorien.
Fortpflanzung; dieſe Vorgänge beanſpruchen aber nicht, wie bei den höheren Thierklaſſen, Monate,
ſondern Tage oder ſogar nur Stunden.

Daß die Fortpflanzung durch Knospenbildung und Theilung oder auf geſchlechtlichem
Wege durch Eier bewerkſtelligt wird, iſt oben ſchon an Stylonychia und Epistylis erörtert. Bei
der Theilung, welche indeß keineswegs ein ſo einfacher Vorgang iſt, wie das Wort zu ſagen
ſcheint, ſondern von ſehr complicirten inneren und äußeren Umbildungen begleitet ſein kann, iſt
doch das Reſultat, daß die Theilſprößlinge bis auf unweſentliche Differenzen dem Jndividuum
gleich ſind, als deſſen Längs- oder Querhälften ſie auftreten. Die Vermehrung durch äußere
Knospen findet vorzugsweiſe bei den Glockenthierchen ſtatt; die Jungen ſind bei der Trennung
vom mütterlichen Boden oft ganz anders geſtaltet, als beim Stammthier, und müſſen daher eine
Reihe von Verwandlungen durchmachen. Häufiger iſt aber bei anderen Sippen die innere Keim-
oder Knospenbildung, wobei in der Regel der rundliche oder längliche Kern, jene oben betrachtete
einfache oder doppelte Drüſe von großer Bedeutung iſt. Sie kann ganz oder theilweiſe zur
Bildung eines oder mehrerer neuer Jndividuen verwendet werden, die in der Regel in fremd-
artiger Geſtalt den Mutterkörper durchbrechen und von Demjenigen, der den Urſprung nicht
belauſchte, nach Art und Gattung mißkannt werden. Daß dieſelbe Drüſe periodenweiſe auch als
wirklicher Eierſtock thätig, iſt eine zwar ſehr auffallende, aber durch ſorgſame Beobachtungen
ſicher geſtellte Thatſache.

„Dieſe manchfaltigen Vermehrungs-Weiſen“ — ſo faßt Bronn die Angaben darüber
zuſammen — „mit einander vereinigt, mußten, in Verbindung mit der Kürze der Zeit, nach
welcher ein junges Thierchen ſelbſt wieder vermehrungsfähig wird, zu ganz ungeheueren Zahlen-
ergebniſſen führen, wenn nicht die Erſchöpfung des ſich vermehrenden Jndividuums denſelben eine
Grenze ſetzte. Man muß daher die wirklich beobachtete Vermehrung von der bloß auf einige
Fälle hin berechneten wohl unterſcheiden. So bedarf die Theilung einer Vorticelline nur ¾ bis
1 Stunde, was, da jedes Theilganze anfangs ſich eben ſo bald wieder theilen kann, binnen
10 Stunden ſchon 1000 und binnen 20 Stunden 1,000,000 Jndividnen gäbe; in Wirklichkeit
erfolgen aber zwiſchen den einzelnen Theilungen immer größere Zwiſchenräume und endlich ein
völliger Stillſtand, ſo daß bloß die Entſtehung von nur 8 Jndividnen binnen 3, von nur
64 Jndividuen binnen 6 und von 200 binnen 24 Stunden beobachtet worden iſt. Jn anderen
Fällen iſt die Theilung langſamer, aber andauernder. So braucht das Pantoffelthierchen
(Paramaecium aurelia, aus der Abtheilung der Holotricha) wenigſtens 2, oft aber auch viel
mehr Stunden zu einer Längstheilung und kann ſich in 24 Stunden verachtfachen, was dann
in einer Woche 2 Millionen gäbe. Stylonychia gibt in 24 Stunden durch Quertheilung drei
Theilganze, welche nach 24ſtündiger Reife binnen 24 Stunden wieder 12 liefern, ſo daß auch hier
binnen 20 Tagen eine mögliche Vervielfältigung bis zu einer Million angenommen werden darf.“

Nicht wenige Jnfuſorien verbinden mit dieſer erſtaunlichen Reproductionskraft auch die
Fähigkeit, beim Eintrocknen der Gewäſſer ſich mit einer ſchützenden Hülle zu umgeben, ſich zu
incyſtiren, um im eingetrockneten Schlamme neues Aufleben zu erwarten oder im Staube über
Berg und Thal getragen zu werden. Sie theilen dieſe Zählebigkeit, wie wir wiſſen, mit vielen
anderen niederen Organismen und deren Keimen, und die Erkenntniß dieſer Verhältniſſe hat
längſt der ehemals als ein Wunder angeſtaunten Erſcheinung, wenn auf Regen nach langer
Dürre die eben entſtandenen kleinen Teiche binnen wenigen Tagen eine reiche Lebensfülle zeigen,
das Gepräge von etwas Außergewöhnlichem und Unerklärbarem abgeſtreift.



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[1016/1072] Jnfuſorien. Fortpflanzung; dieſe Vorgänge beanſpruchen aber nicht, wie bei den höheren Thierklaſſen, Monate, ſondern Tage oder ſogar nur Stunden. Daß die Fortpflanzung durch Knospenbildung und Theilung oder auf geſchlechtlichem Wege durch Eier bewerkſtelligt wird, iſt oben ſchon an Stylonychia und Epistylis erörtert. Bei der Theilung, welche indeß keineswegs ein ſo einfacher Vorgang iſt, wie das Wort zu ſagen ſcheint, ſondern von ſehr complicirten inneren und äußeren Umbildungen begleitet ſein kann, iſt doch das Reſultat, daß die Theilſprößlinge bis auf unweſentliche Differenzen dem Jndividuum gleich ſind, als deſſen Längs- oder Querhälften ſie auftreten. Die Vermehrung durch äußere Knospen findet vorzugsweiſe bei den Glockenthierchen ſtatt; die Jungen ſind bei der Trennung vom mütterlichen Boden oft ganz anders geſtaltet, als beim Stammthier, und müſſen daher eine Reihe von Verwandlungen durchmachen. Häufiger iſt aber bei anderen Sippen die innere Keim- oder Knospenbildung, wobei in der Regel der rundliche oder längliche Kern, jene oben betrachtete einfache oder doppelte Drüſe von großer Bedeutung iſt. Sie kann ganz oder theilweiſe zur Bildung eines oder mehrerer neuer Jndividuen verwendet werden, die in der Regel in fremd- artiger Geſtalt den Mutterkörper durchbrechen und von Demjenigen, der den Urſprung nicht belauſchte, nach Art und Gattung mißkannt werden. Daß dieſelbe Drüſe periodenweiſe auch als wirklicher Eierſtock thätig, iſt eine zwar ſehr auffallende, aber durch ſorgſame Beobachtungen ſicher geſtellte Thatſache. „Dieſe manchfaltigen Vermehrungs-Weiſen“ — ſo faßt Bronn die Angaben darüber zuſammen — „mit einander vereinigt, mußten, in Verbindung mit der Kürze der Zeit, nach welcher ein junges Thierchen ſelbſt wieder vermehrungsfähig wird, zu ganz ungeheueren Zahlen- ergebniſſen führen, wenn nicht die Erſchöpfung des ſich vermehrenden Jndividuums denſelben eine Grenze ſetzte. Man muß daher die wirklich beobachtete Vermehrung von der bloß auf einige Fälle hin berechneten wohl unterſcheiden. So bedarf die Theilung einer Vorticelline nur ¾ bis 1 Stunde, was, da jedes Theilganze anfangs ſich eben ſo bald wieder theilen kann, binnen 10 Stunden ſchon 1000 und binnen 20 Stunden 1,000,000 Jndividnen gäbe; in Wirklichkeit erfolgen aber zwiſchen den einzelnen Theilungen immer größere Zwiſchenräume und endlich ein völliger Stillſtand, ſo daß bloß die Entſtehung von nur 8 Jndividnen binnen 3, von nur 64 Jndividuen binnen 6 und von 200 binnen 24 Stunden beobachtet worden iſt. Jn anderen Fällen iſt die Theilung langſamer, aber andauernder. So braucht das Pantoffelthierchen (Paramaecium aurelia, aus der Abtheilung der Holotricha) wenigſtens 2, oft aber auch viel mehr Stunden zu einer Längstheilung und kann ſich in 24 Stunden verachtfachen, was dann in einer Woche 2 Millionen gäbe. Stylonychia gibt in 24 Stunden durch Quertheilung drei Theilganze, welche nach 24ſtündiger Reife binnen 24 Stunden wieder 12 liefern, ſo daß auch hier binnen 20 Tagen eine mögliche Vervielfältigung bis zu einer Million angenommen werden darf.“ Nicht wenige Jnfuſorien verbinden mit dieſer erſtaunlichen Reproductionskraft auch die Fähigkeit, beim Eintrocknen der Gewäſſer ſich mit einer ſchützenden Hülle zu umgeben, ſich zu incyſtiren, um im eingetrockneten Schlamme neues Aufleben zu erwarten oder im Staube über Berg und Thal getragen zu werden. Sie theilen dieſe Zählebigkeit, wie wir wiſſen, mit vielen anderen niederen Organismen und deren Keimen, und die Erkenntniß dieſer Verhältniſſe hat längſt der ehemals als ein Wunder angeſtaunten Erſcheinung, wenn auf Regen nach langer Dürre die eben entſtandenen kleinen Teiche binnen wenigen Tagen eine reiche Lebensfülle zeigen, das Gepräge von etwas Außergewöhnlichem und Unerklärbarem abgeſtreift.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1016. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1072>, abgerufen am 25.04.2024.