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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Eiförmige Gromie.
seinem Wege an eine Theilungsstelle des Fadens, so steht es oft eine Zeit lang still, bis es den
einen oder den anderen Weg einschlägt. Bei brückenförmigen Verbindungen der Fäden fließen
auch die Kügelchen von einem zum anderen über, und da begegnet es nicht selten, daß ein
centrifugaler Strom von einem centripetalen erfaßt und zum Umkehren gezwungen wird. Auch
im Jnnern eines breiteren Fadens beobach-
[Abbildung] Eiförmige Gromie (Gromia oviformis). Bergr. 300.
tet man zuweilen ein Stillstehen, ein
Schwanken und schließliches Umkehren ein-
zelner Körperchen."

"Die Fäden bestehen aus einer äußerst
feinkörnigen Grundmasse. Ein Unterschied
von Haut und Jnhalt existirt an denselben
nicht. -- Die regelmäßig auf- und ab-
steigende Bewegung der Kügelchen läßt sich
nur erklären als hervorgebracht durch das
Hin- und Zurückströmen der aus dem
Jnnern der Schale stammenden, fließen-
dem Wachs zu vergleichenden, homogenen
kontraktilen Substanz, welche in der einen
Hälfte jedes Fadens eine centrifugale, in
der anderen eine centripetale Richtung ver-
folgt und natürlich die größeren Kügel-
chen, welche uns allein von der Gegen-
wart einer solchen Bewegung in Kenntniß
setzen, mit sich führt."

"Stoßen die Fäden auf ihrem Wege
an irgend einen zur Nahrung brauch-
bar erscheinenden Körper, eine Bacillarie
(einzellige Kiesel-Alge), einen kürzeren
Oscillatoriensaden, so legen sie sich an
denselben an und breiten sich über ihm
aus, indem sie mit benachbarten zusam-
menfließen. So bilden sie eine mehr oder
weniger vollständige Hülle um denselben.
Jn dieser, wie in den Fäden, hört die
Strömung der Kügelchen jetzt auf. Die
Fäden krümmen und verkürzen sich,
fließen bei diesen Bewegungen immer mehr zu einem dichten Netz oder zu breiteren Platten
zusammen, bis die Beute führende Masse der Schalenöffnung nahe gekommen ist und schließlich
in dieselbe zurückgezogen wird. Ganz ähnliche Erscheinungen beobachtet man auch, wenn die
Fäden aus irgend einem anderen Grunde sich zurückziehen. Die regelmäßigen Körnchenströme
stehen still, die Fäden krümmen sich, indem sie von dem Glase, an dem sie sich festgeheftet hatten,
loslassen, fließen häufiger als vorher zusammen und gelangen endlich als unförmliche, zersetzter
organischer Substanz ähnlich sehende Masse zur Schalenöffnung, in welche sie langsam auf-
genommen werden."

Diese Beschreibung der veränderlichen, fließenden Fortsätze, welche, einem Wurzelgeflecht
gleichend, der ganzen Klasse den Namen der Wurzelfüßer (Rhizopoda) verschafft haben, ist in
allen Zügen wahr. Wir entnehmen also daraus, daß bei ihnen eine und dieselbe formlose Substanz
für die Bewegung, Ernährung und Empfindung sorgt. Die von fremden Körpern berührten

Taschenberg und Schmidt, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 65

Eiförmige Gromie.
ſeinem Wege an eine Theilungsſtelle des Fadens, ſo ſteht es oft eine Zeit lang ſtill, bis es den
einen oder den anderen Weg einſchlägt. Bei brückenförmigen Verbindungen der Fäden fließen
auch die Kügelchen von einem zum anderen über, und da begegnet es nicht ſelten, daß ein
centrifugaler Strom von einem centripetalen erfaßt und zum Umkehren gezwungen wird. Auch
im Jnnern eines breiteren Fadens beobach-
[Abbildung] Eiförmige Gromie (Gromia oviformis). Bergr. 300.
tet man zuweilen ein Stillſtehen, ein
Schwanken und ſchließliches Umkehren ein-
zelner Körperchen.“

„Die Fäden beſtehen aus einer äußerſt
feinkörnigen Grundmaſſe. Ein Unterſchied
von Haut und Jnhalt exiſtirt an denſelben
nicht. — Die regelmäßig auf- und ab-
ſteigende Bewegung der Kügelchen läßt ſich
nur erklären als hervorgebracht durch das
Hin- und Zurückſtrömen der aus dem
Jnnern der Schale ſtammenden, fließen-
dem Wachs zu vergleichenden, homogenen
kontraktilen Subſtanz, welche in der einen
Hälfte jedes Fadens eine centrifugale, in
der anderen eine centripetale Richtung ver-
folgt und natürlich die größeren Kügel-
chen, welche uns allein von der Gegen-
wart einer ſolchen Bewegung in Kenntniß
ſetzen, mit ſich führt.“

„Stoßen die Fäden auf ihrem Wege
an irgend einen zur Nahrung brauch-
bar erſcheinenden Körper, eine Bacillarie
(einzellige Kieſel-Alge), einen kürzeren
Oscillatorienſaden, ſo legen ſie ſich an
denſelben an und breiten ſich über ihm
aus, indem ſie mit benachbarten zuſam-
menfließen. So bilden ſie eine mehr oder
weniger vollſtändige Hülle um denſelben.
Jn dieſer, wie in den Fäden, hört die
Strömung der Kügelchen jetzt auf. Die
Fäden krümmen und verkürzen ſich,
fließen bei dieſen Bewegungen immer mehr zu einem dichten Netz oder zu breiteren Platten
zuſammen, bis die Beute führende Maſſe der Schalenöffnung nahe gekommen iſt und ſchließlich
in dieſelbe zurückgezogen wird. Ganz ähnliche Erſcheinungen beobachtet man auch, wenn die
Fäden aus irgend einem anderen Grunde ſich zurückziehen. Die regelmäßigen Körnchenſtröme
ſtehen ſtill, die Fäden krümmen ſich, indem ſie von dem Glaſe, an dem ſie ſich feſtgeheftet hatten,
loslaſſen, fließen häufiger als vorher zuſammen und gelangen endlich als unförmliche, zerſetzter
organiſcher Subſtanz ähnlich ſehende Maſſe zur Schalenöffnung, in welche ſie langſam auf-
genommen werden.“

Dieſe Beſchreibung der veränderlichen, fließenden Fortſätze, welche, einem Wurzelgeflecht
gleichend, der ganzen Klaſſe den Namen der Wurzelfüßer (Rhizopoda) verſchafft haben, iſt in
allen Zügen wahr. Wir entnehmen alſo daraus, daß bei ihnen eine und dieſelbe formloſe Subſtanz
für die Bewegung, Ernährung und Empfindung ſorgt. Die von fremden Körpern berührten

Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 65
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[1025/1083] Eiförmige Gromie. ſeinem Wege an eine Theilungsſtelle des Fadens, ſo ſteht es oft eine Zeit lang ſtill, bis es den einen oder den anderen Weg einſchlägt. Bei brückenförmigen Verbindungen der Fäden fließen auch die Kügelchen von einem zum anderen über, und da begegnet es nicht ſelten, daß ein centrifugaler Strom von einem centripetalen erfaßt und zum Umkehren gezwungen wird. Auch im Jnnern eines breiteren Fadens beobach- [Abbildung Eiförmige Gromie (Gromia oviformis). Bergr. 300.] tet man zuweilen ein Stillſtehen, ein Schwanken und ſchließliches Umkehren ein- zelner Körperchen.“ „Die Fäden beſtehen aus einer äußerſt feinkörnigen Grundmaſſe. Ein Unterſchied von Haut und Jnhalt exiſtirt an denſelben nicht. — Die regelmäßig auf- und ab- ſteigende Bewegung der Kügelchen läßt ſich nur erklären als hervorgebracht durch das Hin- und Zurückſtrömen der aus dem Jnnern der Schale ſtammenden, fließen- dem Wachs zu vergleichenden, homogenen kontraktilen Subſtanz, welche in der einen Hälfte jedes Fadens eine centrifugale, in der anderen eine centripetale Richtung ver- folgt und natürlich die größeren Kügel- chen, welche uns allein von der Gegen- wart einer ſolchen Bewegung in Kenntniß ſetzen, mit ſich führt.“ „Stoßen die Fäden auf ihrem Wege an irgend einen zur Nahrung brauch- bar erſcheinenden Körper, eine Bacillarie (einzellige Kieſel-Alge), einen kürzeren Oscillatorienſaden, ſo legen ſie ſich an denſelben an und breiten ſich über ihm aus, indem ſie mit benachbarten zuſam- menfließen. So bilden ſie eine mehr oder weniger vollſtändige Hülle um denſelben. Jn dieſer, wie in den Fäden, hört die Strömung der Kügelchen jetzt auf. Die Fäden krümmen und verkürzen ſich, fließen bei dieſen Bewegungen immer mehr zu einem dichten Netz oder zu breiteren Platten zuſammen, bis die Beute führende Maſſe der Schalenöffnung nahe gekommen iſt und ſchließlich in dieſelbe zurückgezogen wird. Ganz ähnliche Erſcheinungen beobachtet man auch, wenn die Fäden aus irgend einem anderen Grunde ſich zurückziehen. Die regelmäßigen Körnchenſtröme ſtehen ſtill, die Fäden krümmen ſich, indem ſie von dem Glaſe, an dem ſie ſich feſtgeheftet hatten, loslaſſen, fließen häufiger als vorher zuſammen und gelangen endlich als unförmliche, zerſetzter organiſcher Subſtanz ähnlich ſehende Maſſe zur Schalenöffnung, in welche ſie langſam auf- genommen werden.“ Dieſe Beſchreibung der veränderlichen, fließenden Fortſätze, welche, einem Wurzelgeflecht gleichend, der ganzen Klaſſe den Namen der Wurzelfüßer (Rhizopoda) verſchafft haben, iſt in allen Zügen wahr. Wir entnehmen alſo daraus, daß bei ihnen eine und dieſelbe formloſe Subſtanz für die Bewegung, Ernährung und Empfindung ſorgt. Die von fremden Körpern berührten Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 65

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1025. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1083>, abgerufen am 28.03.2024.