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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Orangenrothes Urschleimwesen.
unabhängige direkte Beobachtung. Jn allen, den Radiolarien und Polythalamien sich anschließenden
Wurzelfüßern kommt ein Organismus, d. i. ein aus verschiedenen Theilen oder Organen
zusammengesetzter Körper, wenn auch noch so einfach, dadurch zu Stande, daß in der Sarkode-
masse Bläschen und besondere Kerne enthalten sind. Es muß aber, so parador es klingt,
Organismen ohne Organe gegeben haben, und es gibt deren noch in Menge. Für diese
"Organismen ohne Organe, welche in vollkommen ausgebildetem Zustande einen frei beweglichen,
nackten, vollkommen strukturlose und homogenen Sarkodekörper bilden", hat ihr Monographist
Häckel den Namen der Moneren vorgeschlagen. Trotz ihrer Einfachheit gehen sie doch im
Aussehen, Art der Verästelung der Scheinfüßchen, in der Entwicklung und Lebensweise so
auseinander, daß nicht weniger als sieben Sippen, freilich fast alle mit nur einer Art, unter-
schieden werden konnten. Wir haben eine beliebige herausgenommen, das orangerothe
Urschleimwesen
(Protomyxa aurantiaca), von Häckel an der Küste der canarischen Jnsel
Lanzarote entdeckt, ein einfachster formloser Protoplasmakörper, welcher verästelte und mit einander
verschmelzende Scheinfüßchen treibt.

Wir würden uns mit Recht den Vorwurf, die Grenzen des "Thierlebens" zu überschreiten,
zuziehen, wollten wir näher auf die Lebenserscheinungen dieser Wesen eingehen. Aber bis zu
ihnen hin mußten wir uns durch die Labyrinthe der niederen Thierwelt durcharbeiten. Jn dem
Bilde der Protomyxa aurantiaca strahlt uns ein Symbol entgegen, eine, wenn auch mikroskopische
Sonne, welche den Pfad durch den Entwicklungsgang der gesammten organischen Welt erleuchtet,
ein Symbol der größten Einfachheit zugleich und der Möglichkeit der allseitigsten Ausbildung
und Vervollkommnung.



Orangenrothes Urſchleimweſen.
unabhängige direkte Beobachtung. Jn allen, den Radiolarien und Polythalamien ſich anſchließenden
Wurzelfüßern kommt ein Organismus, d. i. ein aus verſchiedenen Theilen oder Organen
zuſammengeſetzter Körper, wenn auch noch ſo einfach, dadurch zu Stande, daß in der Sarkode-
maſſe Bläschen und beſondere Kerne enthalten ſind. Es muß aber, ſo parador es klingt,
Organismen ohne Organe gegeben haben, und es gibt deren noch in Menge. Für dieſe
„Organismen ohne Organe, welche in vollkommen ausgebildetem Zuſtande einen frei beweglichen,
nackten, vollkommen ſtrukturloſe und homogenen Sarkodekörper bilden“, hat ihr Monographiſt
Häckel den Namen der Moneren vorgeſchlagen. Trotz ihrer Einfachheit gehen ſie doch im
Ausſehen, Art der Veräſtelung der Scheinfüßchen, in der Entwicklung und Lebensweiſe ſo
auseinander, daß nicht weniger als ſieben Sippen, freilich faſt alle mit nur einer Art, unter-
ſchieden werden konnten. Wir haben eine beliebige herausgenommen, das orangerothe
Urſchleimweſen
(Protomyxa aurantiaca), von Häckel an der Küſte der canariſchen Jnſel
Lanzarote entdeckt, ein einfachſter formloſer Protoplasmakörper, welcher veräſtelte und mit einander
verſchmelzende Scheinfüßchen treibt.

Wir würden uns mit Recht den Vorwurf, die Grenzen des „Thierlebens“ zu überſchreiten,
zuziehen, wollten wir näher auf die Lebenserſcheinungen dieſer Weſen eingehen. Aber bis zu
ihnen hin mußten wir uns durch die Labyrinthe der niederen Thierwelt durcharbeiten. Jn dem
Bilde der Protomyxa aurantiaca ſtrahlt uns ein Symbol entgegen, eine, wenn auch mikroſkopiſche
Sonne, welche den Pfad durch den Entwicklungsgang der geſammten organiſchen Welt erleuchtet,
ein Symbol der größten Einfachheit zugleich und der Möglichkeit der allſeitigſten Ausbildung
und Vervollkommnung.



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[1031/1089] Orangenrothes Urſchleimweſen. unabhängige direkte Beobachtung. Jn allen, den Radiolarien und Polythalamien ſich anſchließenden Wurzelfüßern kommt ein Organismus, d. i. ein aus verſchiedenen Theilen oder Organen zuſammengeſetzter Körper, wenn auch noch ſo einfach, dadurch zu Stande, daß in der Sarkode- maſſe Bläschen und beſondere Kerne enthalten ſind. Es muß aber, ſo parador es klingt, Organismen ohne Organe gegeben haben, und es gibt deren noch in Menge. Für dieſe „Organismen ohne Organe, welche in vollkommen ausgebildetem Zuſtande einen frei beweglichen, nackten, vollkommen ſtrukturloſe und homogenen Sarkodekörper bilden“, hat ihr Monographiſt Häckel den Namen der Moneren vorgeſchlagen. Trotz ihrer Einfachheit gehen ſie doch im Ausſehen, Art der Veräſtelung der Scheinfüßchen, in der Entwicklung und Lebensweiſe ſo auseinander, daß nicht weniger als ſieben Sippen, freilich faſt alle mit nur einer Art, unter- ſchieden werden konnten. Wir haben eine beliebige herausgenommen, das orangerothe Urſchleimweſen (Protomyxa aurantiaca), von Häckel an der Küſte der canariſchen Jnſel Lanzarote entdeckt, ein einfachſter formloſer Protoplasmakörper, welcher veräſtelte und mit einander verſchmelzende Scheinfüßchen treibt. Wir würden uns mit Recht den Vorwurf, die Grenzen des „Thierlebens“ zu überſchreiten, zuziehen, wollten wir näher auf die Lebenserſcheinungen dieſer Weſen eingehen. Aber bis zu ihnen hin mußten wir uns durch die Labyrinthe der niederen Thierwelt durcharbeiten. Jn dem Bilde der Protomyxa aurantiaca ſtrahlt uns ein Symbol entgegen, eine, wenn auch mikroſkopiſche Sonne, welche den Pfad durch den Entwicklungsgang der geſammten organiſchen Welt erleuchtet, ein Symbol der größten Einfachheit zugleich und der Möglichkeit der allſeitigſten Ausbildung und Vervollkommnung.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1031. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1089>, abgerufen am 16.04.2024.