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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

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letzten Belagerung herrühren, der Epheu, der sich bis
zu einer ansehnlichen Höhe emporgerankt hat, selbst die
unscheinbaren Blumen, die sich in oder auf der Mauer
befinden, Alles wird betrachtet. Während das Auge
dies Alles beobachtet, staunt der Geist über die Leistungs-
fähigkeit der Menschen, die hier auf steiler Höhe einst
ein so riesiges Werk aufgeführt, staunt über die Festig-
keit der Mauern, die trotz der Stürme, die seit Jahr-
hunderten über sie hingezogen sind, immer noch stark
und kräftig dastehen. Man wundert sich über das,
was menschlicher Fleiß und menschliche Ausdauer zu
schaffen im Stande sind. Und doch ist ja die frühere
Herrlichkeit und Pracht dahin; kein ernster Burgherr
schreitet mehr gravitätisch einher; keine stolzen Frauen
lustwandeln mehr auf den schön angelegten Pfaden;
keine munteren Kinder tummeln sich mehr im Spiele
herum; in den Rittersälen finden keine Berathungen
oder Festlichteiten mehr statt. Alles ist ruhig, öde
und leer; kein Leben herrscht mehr dort. Nur ein
Raubvogel hat sich sein Nest in der Mauer gebaut
und kleine Insekten schwirren durch die verlassenen
Räume. Wahrhaftig; mehr wie Bewunderung ist
trauriger Ernst und Wehmuth über die Vergänglichkeit
alles Irdischen an dieser Stelle berechtigt.

Auch ich möchte im Geiste meine Leser in diesem
Kapitel vor einen alten Riesenbau, aber einen Bau
geistiger Art hinführen, auf daß sie sich denselben in
seiner Kraft und Herrlichkeit etwas näher anschauen.
Er ist älter als die älteste, längst zerfallene Burg in

letzten Belagerung herrühren, der Epheu, der sich bis
zu einer ansehnlichen Höhe emporgerankt hat, selbst die
unscheinbaren Blumen, die sich in oder auf der Mauer
befinden, Alles wird betrachtet. Während das Auge
dies Alles beobachtet, staunt der Geist über die Leistungs-
fähigkeit der Menschen, die hier auf steiler Höhe einst
ein so riesiges Werk aufgeführt, staunt über die Festig-
keit der Mauern, die trotz der Stürme, die seit Jahr-
hunderten über sie hingezogen sind, immer noch stark
und kräftig dastehen. Man wundert sich über das,
was menschlicher Fleiß und menschliche Ausdauer zu
schaffen im Stande sind. Und doch ist ja die frühere
Herrlichkeit und Pracht dahin; kein ernster Burgherr
schreitet mehr gravitätisch einher; keine stolzen Frauen
lustwandeln mehr auf den schön angelegten Pfaden;
keine munteren Kinder tummeln sich mehr im Spiele
herum; in den Rittersälen finden keine Berathungen
oder Festlichteiten mehr statt. Alles ist ruhig, öde
und leer; kein Leben herrscht mehr dort. Nur ein
Raubvogel hat sich sein Nest in der Mauer gebaut
und kleine Insekten schwirren durch die verlassenen
Räume. Wahrhaftig; mehr wie Bewunderung ist
trauriger Ernst und Wehmuth über die Vergänglichkeit
alles Irdischen an dieser Stelle berechtigt.

Auch ich möchte im Geiste meine Leser in diesem
Kapitel vor einen alten Riesenbau, aber einen Bau
geistiger Art hinführen, auf daß sie sich denselben in
seiner Kraft und Herrlichkeit etwas näher anschauen.
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[91/0103] letzten Belagerung herrühren, der Epheu, der sich bis zu einer ansehnlichen Höhe emporgerankt hat, selbst die unscheinbaren Blumen, die sich in oder auf der Mauer befinden, Alles wird betrachtet. Während das Auge dies Alles beobachtet, staunt der Geist über die Leistungs- fähigkeit der Menschen, die hier auf steiler Höhe einst ein so riesiges Werk aufgeführt, staunt über die Festig- keit der Mauern, die trotz der Stürme, die seit Jahr- hunderten über sie hingezogen sind, immer noch stark und kräftig dastehen. Man wundert sich über das, was menschlicher Fleiß und menschliche Ausdauer zu schaffen im Stande sind. Und doch ist ja die frühere Herrlichkeit und Pracht dahin; kein ernster Burgherr schreitet mehr gravitätisch einher; keine stolzen Frauen lustwandeln mehr auf den schön angelegten Pfaden; keine munteren Kinder tummeln sich mehr im Spiele herum; in den Rittersälen finden keine Berathungen oder Festlichteiten mehr statt. Alles ist ruhig, öde und leer; kein Leben herrscht mehr dort. Nur ein Raubvogel hat sich sein Nest in der Mauer gebaut und kleine Insekten schwirren durch die verlassenen Räume. Wahrhaftig; mehr wie Bewunderung ist trauriger Ernst und Wehmuth über die Vergänglichkeit alles Irdischen an dieser Stelle berechtigt. Auch ich möchte im Geiste meine Leser in diesem Kapitel vor einen alten Riesenbau, aber einen Bau geistiger Art hinführen, auf daß sie sich denselben in seiner Kraft und Herrlichkeit etwas näher anschauen. Er ist älter als die älteste, längst zerfallene Burg in

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Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/103>, abgerufen am 16.04.2024.