Drangsalen ist wunderbar, ist göttlich. Was die Menschen schaffen, vergeht. Die Schulen, die sie gründen, bestehen selten zwei oder drei Jahrhunderte, wenn auch die gelehrtesten und angesehensten Männer sie in's Leben rufen; die Paläste, die sie bauen, werden im Laufe der Zeit schwer von Sturm und Regen ge- schädigt und verfallen; die Fürstenthrone, die sie auf- richten, werden morsch und zerbrechen in Stücke; die mächtigsten Reiche, die man mit den größten Mühen fest zusammenkittet, werden auseinander gerissen und elend zerstückelt. Alles vergeht, Alles altert und wirb schwach, nur die Kirche besteht, nur die Kirche wankt nicht. Während Alles um sie herum in Trümmer fällt, steht sie ruhig und fest, hoffnungsvoll und un- überwindlich da in allen Stürmen, die tobend um und über sie rasen.
3.
Wunderbar groß erscheint uns ferner die katholische Kirche durch die Einheit, die wir in ihr wahrnehmen. - "
Quot capita, tot sensus. Wie viel Köpf', so viel Sinn'." Ueberall finden wir Ver- schiedenheit und Widersprüche der Ansichten und Wechsel der Meinungen. Es liegt im menschlichen Herzen die Neigung, seine eigenen abweichenden Gedanken den An- sichten Anderer entgegenzusetzen. Daher platzen die Geister so leicht auf einander los, daher so viel Disput und Uneinigkeit unter den Menschen. Wo finden wir Einheit, beständige und unveränderliche Einheit des
Drangsalen ist wunderbar, ist göttlich. Was die Menschen schaffen, vergeht. Die Schulen, die sie gründen, bestehen selten zwei oder drei Jahrhunderte, wenn auch die gelehrtesten und angesehensten Männer sie in's Leben rufen; die Paläste, die sie bauen, werden im Laufe der Zeit schwer von Sturm und Regen ge- schädigt und verfallen; die Fürstenthrone, die sie auf- richten, werden morsch und zerbrechen in Stücke; die mächtigsten Reiche, die man mit den größten Mühen fest zusammenkittet, werden auseinander gerissen und elend zerstückelt. Alles vergeht, Alles altert und wirb schwach, nur die Kirche besteht, nur die Kirche wankt nicht. Während Alles um sie herum in Trümmer fällt, steht sie ruhig und fest, hoffnungsvoll und un- überwindlich da in allen Stürmen, die tobend um und über sie rasen.
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Wunderbar groß erscheint uns ferner die katholische Kirche durch die Einheit, die wir in ihr wahrnehmen. – „
Quot capita, tot sensus. Wie viel Köpf', so viel Sinn'.“ Ueberall finden wir Ver- schiedenheit und Widersprüche der Ansichten und Wechsel der Meinungen. Es liegt im menschlichen Herzen die Neigung, seine eigenen abweichenden Gedanken den An- sichten Anderer entgegenzusetzen. Daher platzen die Geister so leicht auf einander los, daher so viel Disput und Uneinigkeit unter den Menschen. Wo finden wir Einheit, beständige und unveränderliche Einheit des
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Drangsalen ist wunderbar, ist göttlich. Was die
Menschen schaffen, vergeht. Die Schulen, die sie gründen,
bestehen selten zwei oder drei Jahrhunderte, wenn auch
die gelehrtesten und angesehensten Männer sie in's
Leben rufen; die Paläste, die sie bauen, werden im
Laufe der Zeit schwer von Sturm und Regen ge-
schädigt und verfallen; die Fürstenthrone, die sie auf-
richten, werden morsch und zerbrechen in Stücke; die
mächtigsten Reiche, die man mit den größten Mühen
fest zusammenkittet, werden auseinander gerissen und
elend zerstückelt. Alles vergeht, Alles altert und wirb
schwach, nur die Kirche besteht, nur die Kirche wankt
nicht. Während Alles um sie herum in Trümmer
fällt, steht sie ruhig und fest, hoffnungsvoll und un-
überwindlich da in allen Stürmen, die tobend um und
über sie rasen.
3.
Wunderbar groß erscheint uns ferner die katholische
Kirche durch die Einheit, die wir in ihr
wahrnehmen. – „ Quot capita, tot sensus. Wie
viel Köpf', so viel Sinn'.“ Ueberall finden wir Ver-
schiedenheit und Widersprüche der Ansichten und Wechsel
der Meinungen. Es liegt im menschlichen Herzen die
Neigung, seine eigenen abweichenden Gedanken den An-
sichten Anderer entgegenzusetzen. Daher platzen die
Geister so leicht auf einander los, daher so viel Disput
und Uneinigkeit unter den Menschen. Wo finden wir
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/118>, abgerufen am 23.04.2024.
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